Rheinische Post - Xanten and Moers
Ein Fisch schwimmt um die Welt
Dieser bunte Zeitgenosse hat es weit gebracht – bis zum Buchfestival in Kathmandu und ins Weiße Haus in Washington. Dieses Jahr feiert der Regenbogenfisch seinen 30. Geburtstag. Sein Erfinder verrät, warum er dem Tier dankbar ist.
DÜSSELDORF Er hat Herzen erobert und Türen geöffnet. Er spricht 50 Sprachen von Faröisch bis Vietnamesisch. Deshalb kennt ihn so gut wie jedes Kind. Abenteuer hat er bestanden in der Tiefsee, teilen und verlieren gelernt. Neuerdings hegt er ein gesundes Misstrauen gegen einen „Mitschwimmer“, der die erwachsenen Leser verdächtig an Donald Trump erinnert. Vor 30 Jahren tauchte der erste „Regenbogenfisch“auf.
„Ich mag ihn immer noch. Er ist kein typischer Held“, sagt sein Erfinder Marcus Pfister. Der Schweizer Autor und Illustrator hat seinem Fisch ein Geburtstagsgeschenk gemacht: „Der Liedermacher Detlev Jöcker und ich haben den Regenbogenfisch als MiniMusical neu aufgelegt und wieder auf die Bühne gebracht. Detlef singt, ich lese“, erzählt Pfister.
1992 veröffentlichte der 60-Jährige die erste Geschichte um den bunten
Fisch, der sich dank seines schillernden Schuppenkleids für den schönsten Bewohner des Ozeans hält, darüber einsam wird und Glück erfährt, als er beginnt, seine Glitzerschuppen mit anderen zu teilen.
Es war nicht die Geschichte allein, die dem schicken Fisch Erfolg bescherte, sondern die neuartige Optik des Bilderbuchs: Der Regenbogenfisch funkelte dank Heißfolien-Prägetechnik wirklich. Erstmals wurde damit Silberfolie in einem Kinderbuch durchgehend als Konzept eingesetzt. „Es war ein Eyecatcher. Allein durch seine Optik wirkte das Buch wie ein Geschenk“, erinnert sich Pfister.
Schnell war klar, dass die Startauflage von 30.000 Exemplaren zu knapp kalkuliert war. Rund 30 Millionen Exemplare wurden schließlich verkauft. Eine Erfolgsgeschichte, die Pfister sich nicht hätte träumen lassen: „So ein Buch hat ja immer viel Vorlauf. Als es also erschien, war ich gedanklich schon woanders.“In Europa und den USA wurde der Regenbogenfisch ein Hype. Bis heute ist es sein erfolgreichstes Buch. Dafür ist er dankbar: „Der Regenbogenfisch hat mir den Druck genommen und mir Freiheit gegeben, auch andere Geschichten ohne Erfolgsdruck zu entwickeln.“
Der Zeitgenosse mit Glitzerschuppe erwies sich als Tausendsassa: Er taucht in Hörbüchern, Malvorlagen,
Bilderbuchkinos,
Tänzen, Liedern, pädagogischen Begleitbüchern für Kindergarten und Grundschule und natürlich im Mini-Musical auf. 1994 erschien das Musical, das mit mehr als 500.000 Exemplaren Platinstatus erreichte. Auch im Religionsunterricht war der Fisch mit seiner Botschaft „Teilen macht Freude“ein gern gesehener Gast.
Dabei ging es Pfister nie so sehr um die pädagogische Botschaft: „Bücher müssen Spaß machen, sonst funktionieren sie nicht. Der Regenbogenfisch war ein unsympathischer Typ, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte, und er musste seinen Charakter ändern. Das war die Grundidee“, erzählt Pfister.
Optisch entstand der Fisch aus einer Eule, einer quer liegenden Eule. „Die müde Eule“war Pfisters erstes
Buch (1986). Die Lektorin
von Nord-Süd mochte die Eule und fragte Pfister, ob er nicht so was Ähnliches noch mal entwerfen könnte. Erst als die müde Eule – quasi schlafen gelegt – vor ihm lag, kam dem Illustrator die Idee für den Fisch. Aus den Vogelfedern wurden Schuppen.
Seitdem schwimmt der Regenbogenfisch um die Welt. Er paddelte sogar bis nach Kathamandu (Nepal) zum Bücherfest und bis nach Washington ins Weiße Haus. Dort las Michelle Obama 2016 beim traditionellen Osterfest im Regierungssitz „aus dem Fisch“vor. Neun Geschichten gibt es inzwischen. Im Fünfjahres-Rhythmus erscheint ein neuer Band. Sich am Zeitgeist zu orientieren, ist für Pfister heute wichtiger als früher. Als seine Kinder klein waren, hätten sich die Themen aus dem gemeinsamen Leben ergeben, erzählt er. Aktuell arbeitet Pfister an einem „queeren Buch“. Auch wenn es zur Regenbogen-Symbolik passen würde, wird es sich nicht im Ozean des Regenbogenfisches tummeln. „Einfach Pinguin sein“ist der Arbeitstitel. Es erscheint im
Herbst 2023. „Für Kinder zu schreiben und zugleich Erwachsene anzusprechen, ist immer ein Seiltanz“, sagt Pfister, der nicht bei der Folientechnik stehengeblieben ist: „Ich beschäftige mich gerade mit einer Abklatsch-Technik. Dabei wird Pappe – im wahrsten Sinne des Wortes aufs Papier geklatscht. Die Illustrationen erhalten dadurch Struktur und einen 3D-Effekt.“
Ein aktuelles Thema und eine Person der Zeitgeschichte greift der jüngste Band „Der Regenbogenfisch glaubt nicht alles“auf. Darin will ein großmauliger Meeresbewohner namens Humbrecht den anderen Fischen Angst machen, indem er Lügengeschichten verbreitet, die er aber am nächsten Tag schon wieder vergessen hat. So erzählt er von bedrohlichen Schwärmen, gegen die sich die Fische mit einer Mauer aus Algen und Korallen schützen müssten.
„Der Fisch war anfangs viel ,trumpiger‘, hatte eine richtige Haartolle. Doch dem Verlag in den USA war das zu viel Ähnlichkeit“, sagt Pfister mit Bedauern. So wurden Humbrecht die Flosse gestutzt und die Augenbrauen kupiert. Anders als sein Modell in der Realität findet der wüste Geschichtenerzähler im Buch eine sinnvolle Betätigung im Schwarm. Der Regenbogenfisch macht’s möglich.
Info Weitere Geschichten von Marcus Pfister: „Der Regenbogenfisch glaubt nicht alles“(aktueller Band), Nord-SüdVerlag, 32 Seiten, 18 Euro, ab drei Jahre. „Der Regenbogenfisch“(erster Band), Nord-Süd-Verlag, 32 Seiten, 18 Euro.
„Der Regenbogenfisch und andere Geschichten“und „Der Regenbogenfisch entdeckt die Tiefsee und andere Geschichten“(Hörbücher), Hörcompany, 15 Euro, ab drei Jahre. „Was macht die Farben bunt?“, Nord-Süd-Verlage, 32 Seiten, 14,95 Euro, ab vier Jahre. „Der Weihnachtsstern“, Nord-Süd-Verlag, 32 Seiten, 15 Euro, ab vier Jahre. Weitere Informationen im Internet unter:
www.regenbogenfisch.com