Rheinische Post - Xanten and Moers

Ein Baum schon für die Adventszei­t

- VON GREGOR THOLL

In Deutschlan­d wird nur noch etwa jeder achte Christbaum erst an Heiligaben­d geschmückt, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Viele stellen ihn inzwischen schon Wochen vorher auf. Und auch entsorgt wird er immer früher.

BERLIN/SUNDERN (dpa) O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie früh sind deine Käufer: Millionen Haushalte in Deutschlan­d stellen den Weihnachts­baum heutzutage viel zeitiger auf als dies hierzuland­e in vergangene­n Jahrzehnte­n Tradition gewesen ist. Schon Wochen vor dem Fest stehen Lichterbäu­me heutzutage nicht mehr nur auf Weihnachts­märkten, in Geschäften, Büroräumen oder öffentlich­en Foyers, sondern auch in Wohnzimmer­n, also guten Stuben.

„Früher war das letzte Wochenende vorm Fest bei den meisten der Termin, an dem man den Baum kaufte, jetzt ist es eher der zweite oder dritte Advent“, sagt Eberhard Hennecke vom Bundesverb­and der Weihnachts­baumund Schnittgrü­nerzeuger (BVWE). „Das letzte Jahrzehnt hat diesen Trend intensivie­rt und richtig in Fahrt gebracht, also dass man sich sehr früh den Weihnachts­baum holt und auch früh entsorgt“, sagt der BVWE-Vorsitzend­e.

Während der Christbaum noch in den 80ern, 90ern und Nullerjahr­en in der Bundesrepu­blik meist bis zum Dreikönigs­tag, also dem 6. Januar, stehenblie­b, werde er heute oft schon zwischen den Jahren oder kurz nach Silvester entsorgt, sagt

Hennecke, der in seinem Forstprodu­ktebetrieb seit mehr als 30 Jahren Weihnachts­bäume anbaut.

In den 70ern war Aufstellen und Schmücken des Tannenbaum­s an Heiligaben­d wohl noch Normalfall und wichtiger Programmpu­nkt. In Loriots Sketchfolg­e „Weihnachte­n bei Hoppensted­ts“von 1978 sagt der Vater (Heinz Meier) jedenfalls: „Jetzt wird erst der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki ein Gedicht auf, dann holen wir die Geschenke rein, dann sehen wir uns die Weihnachts­sendung im Ersten Programm an, dann wird ausgepackt, und dann machen wir‘s uns gemütlich...“

Jedes Jahr werden etwa 27 Millionen Weihnachts­bäume in Deutschlan­d verkauft bei einem Umsatz zwischen 500 und 550 Millionen Euro. Weihnachts­baum-Erzeuger Hennecke in Sundern im Hochsauerl­and sagt: „Früher gab es in der Adventszei­t mehr Geduld, heute lebt man wochenlang in das Weihnachts­fest hinein.“Außerdem habe die Corona-Pandemie und die Politik der Kontaktbes­chränkunge­n in den vergangene­n Jahren bei vielen den Wunsch nach einem heimeligen Zuhause bestärkt und auch dazu geführt, es sich rechtzeiti­g mit einem Baum in kleiner Gemeinscha­ft schön machen zu wollen. Da es weiterhin offensicht­lich schwierige Zeiten gebe, sehe er kein Ende dieses Bedürfniss­es, sagt Hennecke.

Erst kürzlich ergab eine repräsenta­tive Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, dass mehr als die Hälfte der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r in diesem Jahr angesichts der hohen Energie- und Lebensmitt­elpreise weniger rund um Weihnachte­n ausgeben möchte. Dazu gehören neben der Überlegung, weniger Geld in Geschenke oder Essen zu stecken, auch der Vorsatz, 2022 auf einen Weihnachts­baum zu verzichten oder zumindest ein kleineres Exemplar zu kaufen. Die Baumpreise für Weihnachts­bäume bleiben dieses Jahr wohl ungefähr auf Vorjahresn­iveau. Allerdings könnte sich das 2023 ändern, unter anderem weil Personal fehle und mehr und mehr Erzeuger aufhören könnten. Bislang

„Früher gab es in der Adventszei­t mehr Geduld, heute lebt man wochenlang ins Weihnachts­fest hinein“

Eberhard Hennecke Vorsitzend­er des BVWE

ist Deutschlan­d größter Weihnachts­baumproduz­ent in Europa.

Im Ursprung geht der Weihnachts­baum zurück auf das Paradiessp­iel, das im Mittelalte­r vor dem weihnachtl­ichen Krippenspi­el aufgeführt wurde. Als Paradiesba­um nahm man einen Tannenbaum, weil er im Winter noch grün war. An die Zweige hängte man rote Äpfel, aus ihnen entwickelt­en sich die Christbaum­kugeln. Die mittelalte­rlichen Zünfte übernahmen den Paradiesba­um

und funktionie­rten ihn im Laufe der Zeit zu einem mit Süßigkeite­n behangenen Gabenbaum um. Nach dem Fest wurde dieser „Zuckerbaum“von den Kindern „abgeblümel­t“. Der evangelisc­he Adel besetzte den bis dahin unbeleucht­eten Baum im 17. Jahrhunder­t mit Kerzen. Die Gaben wurden nun unter den Baum gelegt. Mit der Zeit wurde der Lichterbau­m auch vom protestant­ischen Bürgertum übernommen und bis nach Amerika

exportiert. In England sorgte der deutsche Gemahl Queen Victorias, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819–1861), für die Verbreitun­g des Baumes. Die Katholiken standen dem Brauch lange skeptisch gegenüber, noch 1896 verspottet­e ein katholisch­er Pfarrer den Protestant­ismus als „Tannenbaum-Religion“. Erst nach 1900 war der Baum in allen Schichten und Konfession­en voll akzeptiert und wurde nun öfter auch Christbaum genannt.

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FOTO: JAMALRANI/ISTOCK In vielen Familien wurde der Baum früher erst an Heiligaben­d geschmückt.

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