Rheinische Post - Xanten and Moers
2022 schon 171 Geldautomaten gesprengt
Die Zahl der Taten in Nordrhein-Westfalen dürfte dieses Jahr einen neuen Höchststand erreichen. Die Behörden organisieren ihre Ermittlungsarbeit deshalb neu. Eine Karte zeigt, welche Automaten besonders gefährdet sind.
DÜSSELDORF Trotz intensiver Fahndung und hohen Ermittlungsdrucks ist die Zahl der Geldautomatensprengungen in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr weiter gestiegen. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden gab es 2022 bislang 171 solcher Taten; 2021 waren es 151. Bis Jahresende dürfte der Höchststand von 2020 übertroffen werden, als 176 Attacken gezählt wurden.
„Es stinkt mir gewaltig, dass es Kriminelle gibt, die in Deutschland ein El Dorado für ihre Beutezüge sehen“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags. Die Sprengungen sind laut Reul hochgefährlich und können Unbeteiligte verletzen. „Das zweite Risiko sind die Fluchtfahrten, die an Rücksichtslosigkeit kaum zu überbieten sind“, so der Minister weiter.
Um die Sprengungen einzudämmen, wird auch die Ermittlungsarbeit innerhalb der Polizei in Teilen umstrukturiert. So werden sich bald die Großbehörden des Landes, die zum Beispiel auch für die polizeilichen Schwerpunktthemen Kindesmissbrauch und Mord zuständig sind, mit dem Landeskriminalamt gemeinsam um die Geldautomatensprengungen kümmern.
Die NRW-Polizei hat alle rund 11.000 Geldautomaten des Landes nach ihrem Gefährdungsgrad bewertet und eine entsprechende Landkarte der risikoreichsten Standorte erstellt. „Dann kann die Bank selbst sehen, an welchen Standorten sie – auch im eigenen Interesse – sicherheitstechnisch nachlegen sollte“, so Reul: „Es gibt nämlich Automaten, die sind weniger gefährdet als andere. Diese sensiblen Informationen über die Standorte bekommen selbst innerhalb der Polizei nur sehr wenige. Die Informationen sind für die Banken.“
Viele Banken haben ihre Automaten mittlerweile besser geschützt als noch vor einigen Jahren, sodass es häufig beim Versuch bleibt und die Täter ohne Beute flüchten müssen. So wurde 2022 in 40 Prozent der Fälle
kein Geld erbeutet; außerdem wurden bis zum 8. Dezember 21 Täter festgenommen. Die Polizei erhält zudem auch immer mehr Zeugenhinweise aus der Bevölkerung. So gab es auf dem landesweiten Hinweisportal der Polizei bis zum 6. Dezember 99 Hinweise auf Geldautomatensprenger; 122 Dateien wie Handyvideos wurden dazu aus der Bevölkerung hochgeladen.
Nach Angaben des Innenministeriums haben sich besonders Vernebelungsanlagen bewährt. Demnach haben allein von September bis November in zehn Fällen die Täter ihren Versuch abgebrochen, weil eine solche Anlage ausgelöst wurde. „Man kann das Geld in den Automaten auch mit einer speziellen Technik verkleben, sodass es für die Täter nicht mehr nutzbar ist. Solche Techniken werden auch ständig weiterentwickelt“, sagte Ingo Wünsch, Direktor des Landeskriminalamts.
Nach Angaben der Behörden steckt hinter einem Großteil der Taten eine Szene von mindestens 400 bis 500 Personen aus den niederländischen Ballungszentren Utrecht, Amsterdam und Rotterdam. Bei den Verdächtigen handle es sich überwiegend um Männer zwischen 18 und 40 Jahren mit niederländischer oder marokkanischer Staatsangehörigkeit. Deshalb tauschen sich nordrhein-westfälische Behörden und niederländische Polizei alle zwei Wochen über die neuesten Erkenntnisse aus.
Während die Taten bis vor einigen Jahren fast alle in NRW verübt wurden, registrieren nun auch andere Bundesländer mehr Sprengungen – insbesondere Hessen und Niedersachsen. Dem Landesinnenministerium zufolge spielte sich 2020 noch annähernd die Hälfte aller Fälle in Deutschland in NRW ab; im laufenden Jahr sei es nur noch gut jeder dritte Fall (37,2 Prozent).
Die Opposition äußerte Kritik. „Die Zahlen steigen. Es gab sieben Verletzte. Es ist ein ständiges Problem für die Anwohner, die in Angst leben“, sagte Christina Kampmann von der SPD: „Die Geldautomatensprengungen sind eine Gefahr für die innere Sicherheit.“Ihr Duisburger Parteikollege Benedikt Falszewski forderte, die Banken zu mehr Schutzmaßnahmen zu verpflichten. „In meinem Stadtbezirk mit rund 50.000 Einwohnern ist es zu mindestens drei Sprengungen gekommen. Wenn noch zwei weitere Sprengungen stattfinden, kann keiner mehr Bargeld abholen. Das zeigt die ganze Dramatik“, so Falszewski.