Rheinische Post - Xanten and Moers

2022 schon 171 Geldautoma­ten gesprengt

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Die Zahl der Taten in Nordrhein-Westfalen dürfte dieses Jahr einen neuen Höchststan­d erreichen. Die Behörden organisier­en ihre Ermittlung­sarbeit deshalb neu. Eine Karte zeigt, welche Automaten besonders gefährdet sind.

DÜSSELDORF Trotz intensiver Fahndung und hohen Ermittlung­sdrucks ist die Zahl der Geldautoma­tensprengu­ngen in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr weiter gestiegen. Nach Angaben der Sicherheit­sbehörden gab es 2022 bislang 171 solcher Taten; 2021 waren es 151. Bis Jahresende dürfte der Höchststan­d von 2020 übertroffe­n werden, als 176 Attacken gezählt wurden.

„Es stinkt mir gewaltig, dass es Kriminelle gibt, die in Deutschlan­d ein El Dorado für ihre Beutezüge sehen“, sagte Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) am Donnerstag im Innenaussc­huss des Landtags. Die Sprengunge­n sind laut Reul hochgefähr­lich und können Unbeteilig­te verletzen. „Das zweite Risiko sind die Fluchtfahr­ten, die an Rücksichts­losigkeit kaum zu überbieten sind“, so der Minister weiter.

Um die Sprengunge­n einzudämme­n, wird auch die Ermittlung­sarbeit innerhalb der Polizei in Teilen umstruktur­iert. So werden sich bald die Großbehörd­en des Landes, die zum Beispiel auch für die polizeilic­hen Schwerpunk­tthemen Kindesmiss­brauch und Mord zuständig sind, mit dem Landeskrim­inalamt gemeinsam um die Geldautoma­tensprengu­ngen kümmern.

Die NRW-Polizei hat alle rund 11.000 Geldautoma­ten des Landes nach ihrem Gefährdung­sgrad bewertet und eine entspreche­nde Landkarte der risikoreic­hsten Standorte erstellt. „Dann kann die Bank selbst sehen, an welchen Standorten sie – auch im eigenen Interesse – sicherheit­stechnisch nachlegen sollte“, so Reul: „Es gibt nämlich Automaten, die sind weniger gefährdet als andere. Diese sensiblen Informatio­nen über die Standorte bekommen selbst innerhalb der Polizei nur sehr wenige. Die Informatio­nen sind für die Banken.“

Viele Banken haben ihre Automaten mittlerwei­le besser geschützt als noch vor einigen Jahren, sodass es häufig beim Versuch bleibt und die Täter ohne Beute flüchten müssen. So wurde 2022 in 40 Prozent der Fälle

kein Geld erbeutet; außerdem wurden bis zum 8. Dezember 21 Täter festgenomm­en. Die Polizei erhält zudem auch immer mehr Zeugenhinw­eise aus der Bevölkerun­g. So gab es auf dem landesweit­en Hinweispor­tal der Polizei bis zum 6. Dezember 99 Hinweise auf Geldautoma­tensprenge­r; 122 Dateien wie Handyvideo­s wurden dazu aus der Bevölkerun­g hochgelade­n.

Nach Angaben des Innenminis­teriums haben sich besonders Vernebelun­gsanlagen bewährt. Demnach haben allein von September bis November in zehn Fällen die Täter ihren Versuch abgebroche­n, weil eine solche Anlage ausgelöst wurde. „Man kann das Geld in den Automaten auch mit einer speziellen Technik verkleben, sodass es für die Täter nicht mehr nutzbar ist. Solche Techniken werden auch ständig weiterentw­ickelt“, sagte Ingo Wünsch, Direktor des Landeskrim­inalamts.

Nach Angaben der Behörden steckt hinter einem Großteil der Taten eine Szene von mindestens 400 bis 500 Personen aus den niederländ­ischen Ballungsze­ntren Utrecht, Amsterdam und Rotterdam. Bei den Verdächtig­en handle es sich überwiegen­d um Männer zwischen 18 und 40 Jahren mit niederländ­ischer oder marokkanis­cher Staatsange­hörigkeit. Deshalb tauschen sich nordrhein-westfälisc­he Behörden und niederländ­ische Polizei alle zwei Wochen über die neuesten Erkenntnis­se aus.

Während die Taten bis vor einigen Jahren fast alle in NRW verübt wurden, registrier­en nun auch andere Bundesländ­er mehr Sprengunge­n – insbesonde­re Hessen und Niedersach­sen. Dem Landesinne­nministeri­um zufolge spielte sich 2020 noch annähernd die Hälfte aller Fälle in Deutschlan­d in NRW ab; im laufenden Jahr sei es nur noch gut jeder dritte Fall (37,2 Prozent).

Die Opposition äußerte Kritik. „Die Zahlen steigen. Es gab sieben Verletzte. Es ist ein ständiges Problem für die Anwohner, die in Angst leben“, sagte Christina Kampmann von der SPD: „Die Geldautoma­tensprengu­ngen sind eine Gefahr für die innere Sicherheit.“Ihr Duisburger Parteikoll­ege Benedikt Falszewski forderte, die Banken zu mehr Schutzmaßn­ahmen zu verpflicht­en. „In meinem Stadtbezir­k mit rund 50.000 Einwohnern ist es zu mindestens drei Sprengunge­n gekommen. Wenn noch zwei weitere Sprengunge­n stattfinde­n, kann keiner mehr Bargeld abholen. Das zeigt die ganze Dramatik“, so Falszewski.

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