Rheinische Post - Xanten and Moers
Der Traum vom immerwährenden Jetzt
„Die drei ???“sind populärer denn je. Was ist das Geheimnis? Der Autor eines Reiseführers durch den Serienkosmos gibt Antworten.
California Dreamin‘“im Jugendzimmer: Seit Ende der 1960er-Jahre gibt es die in Amerika begründete Krimi-Reihe „Die drei ???“. Nun steht die Veröffentlichung von Folge 220 der Hörspiel-Adaptionen an: „Im Wald der Gefahren“soll im Januar erscheinen. Vor allem in Deutschland sind die Geschichten vielleicht populärer denn je. Die Sprecher der Hörspiele touren durch große Hallen. Und soeben erschien in der Reclam-Reihe „100 Seiten“ein Band über „Die drei ???“. Der Autor André Boße ist seit seiner Kindheit Fan.
Herr Bosse, für viele macht die Zeitlosigkeit den Reiz der Serie aus. Was steht dahinter?
BOSSE Das passt zu den Anmerkungen, die der Psychologe Stephan Grünewald zu Angela Merkel gemacht hat: Die Deutschen wollten sie noch länger behalten und mit ihr möglichst auch in die nächste Krise gehen. Die Deutschen mögen es, wenn alles bleibt, wie es ist. In Krisensituationen haben die Menschen das Bestreben, die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Und in solchen Zeiten spielen Stoffe eine große Rolle, die das Stagnieren gewährleisten. Bei den „Drei ???“ist das Gedächtnis zu Beginn jeder neuen Folge gelöscht und auf null gesetzt. Bei den „Simpsons“ist es ähnlich. Das ist extrem tröstlich in einer Gegenwart, in der man das Radio anmacht und hört, dass Trump Präsident ist, Corona da ist und Krieg in der Ukraine herrscht. Man weiß genau: Mit dem nächsten Vorspann ist wieder alles, wie es immer war. Die „Drei ???“-Folgen führen dich in ein immerwährendes Jetzt. „Wetten, dass..?“macht das auch. Oder der „Tatort“.
„Die drei ???“als sicherer Raum, in dem man nichts zu befürchten hat? BOSSE Ja. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Handys in den Geschichten. Man fragt sich ja, warum Figuren, die in einem Verlies gefangen sind, nicht einfach jemanden anrufen, der sie rausholt. Aber es wird dann gesagt, dass sie das Telefon vergessen haben oder der Akku leer ist. Es wird künstlich eine PräHandy-Welt erschaffen.
Dazu kommt, dass die Sprecher fast 60 sind und immer noch 16 Jahre alte Jungs darstellen.
BOSSE Wirklich shocking ist, dass ich inzwischen älter bin, als die Sprecherin der alten Dame Tante Mathilda
es gewesen ist, als ich die „Drei ???“kennenlernte. So etwas reißt den geschützten Raum dann kurz auf.
Wie ist es überhaupt mit Frauen im
„Drei ???“-Kosmos? Warum spielen die keine Rolle?
BOSSE Es gibt eine Reihe von sehr intelligenten Frauenfiguren, die vor allem Justus herausfordern, weil der als smarter Kopf denkt: Mädchen, die schlauer sind als ich, das darf ja wohl nicht sein. Altes Denken also. Die „Drei ???“hatten Freundinnen, als es den Alterssprung gab: Da waren sie plötzlich nicht mehr 14, sondern 16 und durften Auto fahren. Das kam bei den Fans aber nicht an. Vielleicht, weil das Gegenwartsphänomen aufgebrochen wurde. Die Freundinnen wurden dann herausgeschrieben aus den Büchern. Aber der Fehler liegt ja schon in der Anlage: Man hätte von Anfang an Mädchen mit reinschreiben müssen. Bei den „Fünf Freunden“hat es ja auch geklappt.
Es gab drei große Lager:
„Fünf Freunde“, „TKKG“und
„Drei ???“. Was sagt es über eine Person, wenn sie „Die drei ???“vorzieht?
BOSSE Ich glaube, dass die Geschichten gruseliger sind. „Fünf Freunde“sind zwar auch gruselig, aber da wird nicht mit supranormalen
Phänomenen gespielt, da ist immer naheliegend, was das Böse jeweils ist. Es ist neblig, es gibt eine dunkle Höhe, aber letztendlich ist alles menschlich. „TKKG“erinnert mich an Serien wie „Soko 5113“oder „Großstadtrevier“: nahe am Leben, mit Rockern, Kleinstadt-Kriminalität und wenig weltläufig. „Drei ???“war Amerika, andere Welt, und es war spooky, weil immer der Verdacht im Raum stand, dass es jetzt doch mal ein grüner Geist war oder ein Gespenst. Das „Drei ???“-Publikum hat mehr Bock auf Suspense, Amerika und Horror.
Warum sind die Fußball-Folgen so unbeliebt?
BOSSE Bei den Zugriffszahlen von Spotify schmieren sie ziemlich ab. Die Storys sind hanebüchen und machen keinen Spaß. Die Frage ist, warum es trotzdem so viele gibt. Kann gut sein, dass sie viel verschenkt werden. Wenn die Oma für den Enkel eine „Drei ???“-CD kauft, nimmt sie nicht den Grünen Geist, sondern die Fußballgeschichten, weil der Junge auch Fußball spielt. Darüber geben Spotify-Zahlen natürlich keine Auskunft, da hören ja die erwachsenen Fans. Der Geschenk-Faktor spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aber Verkaufszahlen werden nicht veröffentlicht.
Der Erzähler ist eine besondere Figur. Er schreibt sich tief in das Gedächtnis
der Hörerschaft.
BOSSE Von Beginn an war diese Rolle sehr prominent. Denn es war ja vorgeblich Alfred Hitchcock selbst, der als Erzähler auftrat und Teil der Handlung wurde. Der Erzähler gehört zum Prinzip der absoluten Gegenwart. Er setzt die Klammer und ist immer da. Solange er nicht stirbt, ist alles gut. Und es ist eine Ehre für jeden Sprecher. Das weiß auch der aktuelle Erzähler Axel Milberg. Der ist auch Vater von Kindern, und wenn du nach Hause kommst und sagst: Ich habe einen neuen Job, und das ist kein Arthouse-Film, sondern Sprecher bei den „Drei ???“, kommt das bei denen auch gut an.
Wie wird es mit den „Drei ???“zu Ende gehen? Und wann?
BOSSE Ich hoffe nicht, dass jemand von den Sprechern erkrankt. Ich wünsche mir, dass sie irgendwann sagen: Das war es jetzt, und ein Ende finden, das viele Stränge zusammenbringt und ein Finale erzählt. Da gibt es ein paar Figuren wie den edlen Kunstdieb Victor Hugenay, der als eine Art Professor Moriarty im Hintergrund schwirrt. Ich tippe, dass in zehn Jahren der Deckel draufgemacht wird mit einer schönen Abschiedsfolge, wo Victor Hugenay irgendwas mit der Familie Jonas am Hut hat. Dass er sich vielleicht nicht als Vater, aber doch als Verwandter oder Onkel entpuppt und es zu einer Art Familienzusammenführung kommt.