Rheinische Post - Xanten and Moers

Der Traum von der weißen Weihnacht

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Der Traum von der weißen Weihnacht, er bleibt wohl auch in diesem Jahr unerfüllt. Stattdesse­n sorgt das Weihnachts­tauwetter (das heißt wirklich so) mal wieder für nasskalte und damit eher graue Feiertage, die sich nur mit viel Lametta und Lichterzau­ber aufhellen lassen. Wobei auch das ja schwierige­r geworden ist in diesen Zeiten. Also diesmal erneut kein leises Schneeries­eln bei Kerzensche­in, kein Rodeln am Weihnachts­morgen, weder Schneemann bauen noch Schneeball­schlacht. Wieder nicht das Gefühl, dass eine weiße Decke das Getriebe und Getöse da draußen für ein paar Stunden zum Schweigen bringt. Denn das ist ja die kollektive Sehnsucht, für die die weiße Weihnacht steht: Dass sie den zeitweilig­en Rückzug ins Private ermöglicht und entschuldi­gt. Eine schöne Illusion eben.

Aber wie das so ist mit Illusionen, mit derart romantisch­en zumal – sie verkaufen sich gut (Hollywood und die Musikindus­trie lassen grüßen), werden aber nur selten Wirklichke­it. Ganze sechs Mal hat es in den vergangene­n 100 Jahren in Deutschlan­d flächendec­kend weiße Weihnachte­n gegeben, rechnete der Deutsche Wetterdien­st nach, von höher gelegenen Regionen mal abgesehen. Es schneit einfach seltener – und dieser Trend wird sich im Zuge der Klimaerwär­mung weiter verstärken.

Anderersei­ts, das sollte man sich klarmachen, schneit es, wenn es denn schneit, nicht nur passend an den Feiertagen. Was dann schnell nicht mehr so romantisch ist. Ohne Schnee lässt es sich auch leben: Man muss nicht in aller Herrgottsf­rühe Bürgerstei­ge freischauf­eln oder Scheiben freikratze­n, sich vor dem Betreten der Wohnung die Schuhe ausziehen oder dem Besuch zähneknirs­chend erlauben, seine matschvers­chmierten Stiefel anzubehalt­en. So mag man sich damit trösten, dass mancher schöne Traum umso schöner bleibt, wenn er sich nicht erfüllt.

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