Rheinische Post - Xanten and Moers
„Ganz nah dran an der Verfassungsklage“
Der Oppositionsführer erhöht vor der Entscheidung über den NRW-Haushalt den Druck auf die Landesregierung.
Herr Kutschaty, am Donnerstag hat Schwarz-Grün die Haushaltspläne kurzfristig – also 30 Minuten vor Beginn der Ausschusssitzung – noch einmal nachgebessert. Wie bewerten Sie das?
KUTSCHATY Das ist die Hektik und Panik einer völlig unvorbereiteten Landesregierung. Und das Ärgerliche ist doch: Die Menschen warten auf Hilfen in NRW – Privatleute, Unternehmen, Vereine, Kita, Träger, Schulen, Krankenhäuser. Sie alle brauchen Unterstützung, weil sie sonst nur schwer über den Winter kommen. Spätestens seit dem Sommer wissen wir, dass auch das Land finanziell unterstützen muss. Dazu haben wir immer wieder Vorschläge für ein Unterstützungspaket gemacht. Die Landesregierung hat aber monoton auf den Bund verwiesen und den Eindruck erweckt, wenn der sich erst mal bewege, käme augenblicklich das NRW-Paket hinterher.
Der Ministerpräsident hat dann doch zeitnah sein Drei-Säulen-Modell bekannt gegeben.
KUTSCHATY Zeitnah? Das hätte man alles viel früher haben können. Zudem ist das doch bis heute völlig inhaltsleer – nicht mehr als Pappmaché. Mindestens bei zwei von Hendrik Wüsts Säulen ist mehr als fraglich, ob die rechtlich über den Rettungsschirm bezahlt werden dürfen oder nicht doch Sache des Kernhaushalts sind. Das ist am Ende alles schlechtes Handwerk, aber auch nicht verwunderlich. Wenn man derart miserabel vorbereitet ist, macht man natürlich Fehler. Ein so chaotisches Haushaltsverfahren habe ich in 17 Jahren Parlamentszugehörigkeit nicht erlebt. Dass der ansonsten vornehm zurückhaltende Landesrechnungshof sich zweimal so stark einmischt, spricht für sich.
Die Landesregierung reagiert aber doch auf die Kritik.
KUTSCHATY Zum Teil sehe ich da auch gute Ansätze: Wir hatten ja gefordert, das Parlament müsse über solche Hilfsmaßnahmen entscheiden und nicht nur ein kleiner Teil der Abgeordneten im Ausschuss. Das wird wohl so kommen. Das ist richtig und vernünftig. Gleichwohl bleiben viele Dinge rechtlich unklar und fehlerhaft. Und ich habe große Zweifel, dass man das alles noch rechtzeitig bis zur Abstimmung am Dienstag heilen kann. Damit steht das Konstrukt von Schwarz-Grün auf einem sehr wackeligen Fundament.
Heißt das, die SPD wird am Dienstag nicht zustimmen?
KUTSCHATY Wenn nicht doch noch massiv angepasst wird, sehe ich das in dieser Form derzeit nicht. Das Land hat trotz all unserer Warnungen in einem Hauruckverfahren die finanzielle Notlage durchs Parlament gepeitscht. Und siehe da: Sie war weder sauber, noch rechtssicher begründet. Auch konnte das Land nicht darlegen, warum es zumindest einen Teil der Mittel nicht doch aus dem Kernhaushalt finanzieren kann. Und es bleibt völlig offen, wofür die Mittel ausgegeben werden sollen.
Moment. Es gibt ja jetzt eine Konkretisierung im Gesetz und bereits eine Ankündigung von Maßnahmen im Volumen von 1,6 Milliarden Euro.
KUTSCHATY Letzteres ist eine wilde Wunschliste aus den Ministerien, aber kein echtes Hilfsprogramm. Es ist gut, dass die Landesregierung endlich erkannt hat, auch denen helfen zu müssen, die im Augenblick die Energierechnung nicht bezahlen können, den kleinen Unternehmen, den Vereinen, die trotz des Energiepreisdeckels überfordert sind. Dafür ist ein Rettungsschirm da. Es geht aber nicht, damit jetzt Pickups und Sirenenförderprogramme zu finanzieren oder Gebäude energetisch zu sanieren. Solche grünen Wunschzettel müssen über den regulären Haushalt finanziert werden. Für Familien sehe ich in dem Paket jedoch nichts. Da stört mich die Prioritätensetzung.
Wenn die SPD am Dienstag dagegen stimmt, wird Schwarz-Grün
Sie als Buh-Männer und -Frauen darstellen, die Hilfen für die Bürger verhindern.
KUTSCHATY Das ist leicht durchschaubar. Und soll nur von diesem völligen Chaos ablenken, das CDU und Grüne da verursacht haben. Auf diese Erpressung lassen wir uns aber nicht ein. Zumal wir konstruktive Vorschläge gemacht haben und immer noch machen. Das Angebot steht: Wir wollen Unterstützung für Menschen und Wirtschaft in unserem Land. Lasst uns deshalb diesen fehlerhaften Feststellungsbeschluss aufheben, schauen, was noch an Restmitteln im aktuellen Haushalt für schnelle und direkte Hilfen vorhanden ist, und dann auf Basis einer wasserdichten Begründung einen neuen Beschluss fassen, um ein echtes Unterstützungspaket aufzulegen. Sehen Sie es mal so: Um Geld an Bedürftige zu verteilen, darf ich dafür ja auch keine Bank überfallen.
Wenn Ihre Einschätzung zutrifft, und die Wirtschaftseintrübung wird nicht so gravierend, fehlt für das kommende Jahr die Grundlage, um rechtssicher die finanzielle Notlage zu erklären, oder?
KUTSCHATY Die Begründungsnotwendigkeit
wird natürlich bleiben, zumal die Landesregierung das Pferd von hinten aufzäumt. Erst sprach man von einem 3,5 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm mit umgewidmeten Corona-Mitteln. Als der dann scheiterte, lag der Bedarf wie durch Zauberei plötzlich bei fünf Milliarden Euro – und das ganz ohne klare Idee für die Verwendung. Der Bund hat es genau andersherum gemacht: Es wurde geschaut, wo die Not der Menschen groß war, dann wurde der Energiepreisdeckel erdacht und berechnet. Dann hat der Finanzminister geschaut, ob er das im normalen Haushalt organisieren kann. Und weil das nicht ging, wurde die Notlage erklärt und auf Bundesebene die Schuldenbremse ausgesetzt. So herum wird ein Schuh draus.
Die FDP ist ja relativ forsch und droht auch weiter mit einer Klage. Würde die SPD die mittragen? KUTSCHATY Es ist eine Aufgabe der Opposition, die Regierung daran zu messen, ob sie nach Recht und Gesetz arbeitet. Wir warten aber jetzt noch den 20. Dezember ab und werden dann prüfen, ob eine Verfassungsklage notwendig ist. Und ich kann schon jetzt sagen, wenn die Regierung auf diesem Weg so weitergeht, ist sie ganz nah dran an einer Verfassungsklage.
Im Plenum haben sie den Finanzminister fast schon in Schutz genommen und gesagt, dass die eigentlichen Verantwortlichen an anderer Stelle zu suchen seien, an höherer Stelle. Worauf fußt diese Annahme?
KUTSCHATY So wie ich Marcus Optendrenk kennengelernt habe, ist das ein sehr gewissenhafter Politiker, ein echter Finanzbeamter. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium diese eindeutigen Rechtsverstöße nicht erkannt und den Minister nicht gewarnt haben. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass er das alleine so entschieden hat. Da stecken die Staatskanzlei und der Ministerpräsident dahinter. Es war schließlich Hendrik Wüst, der die ganze Zeit auf den Bund gezeigt hat und offenbar erst nach der Bund-Länder-Einigung über das dritte Entlastungspaket aufgewacht ist. Im Übrigen macht der sich – jetzt wo das Kind in den Brunnen gefallen ist – gerade einen sehr schlanken Fuß. Am Tag, an dem die finanzielle Notlage des Landes erklärt wird, ergreift er nicht einmal das Wort im Landtag. Stattdessen macht er einen Fototermin nach dem nächsten. Was er zur Lage zu sagen hat, erfährt man dann aus einem Interview mit einer Bremer Tageszeitung. Er kümmert sich augenscheinlich nicht um die ganz existenziell wichtigen Belange hier im Land. Das ist eindeutig.
Müsste es einen Untersuchungsausschuss zu all den Vorgängen geben? KUTSCHATY Ich kenne den Instrumentenkoffer, den wir als Opposition haben, nur zu gut. Neben dem Gang nach Münster gibt es weitere Auskunftsmöglichkeiten. Es gibt aber auch als scharfes Schwert den Untersuchungsausschuss. Das ist eine Maßnahme, die ich jetzt persönlich nicht ausschließen möchte.