Rheinische Post - Xanten and Moers
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland über viele Austritte in Köln, die „Letzte Generation“und Katar.
Herr Latzel, nur noch 15,4 Prozent der Christen gehen zum Weihnachtsgottesdienst, besagt eine neue Studie der Universität der Bundeswehr in München. Hat Heiligabend seine Anziehungskraft verloren?
THORSTEN LATZEL Wir spüren nach wie vor eine sehr große Nachfrage zu Weihnachten, allein an Heiligabend feiere ich drei Gottesdienste. Natürlich haben sich durch die Pandemie manche Dinge verändert. Für viele Menschen gehört der Gottesdienst aber weiter zur familiären Frömmigkeit dazu. Das deckt sich nicht unbedingt mit Umfragewerten.
Erlauben Sie uns noch eine Zahl: Laut dem „Religionsmonitor“der Bertelsmann-Studie sind es nicht nur immer mehr junge Menschen, die der Kirche den Rücken kehren wollen. Spannend ist, dass 92 Prozent von ihnen sagen: Christ sein geht auch so. Werden die Kirchen überflüssig? LATZEL Die Unterscheidung zwischen Kirchenmitgliedschaft und persönlichem Glauben ist nicht neu. Das kennen wir aus allen EKD-Mitgliedschaftsstudien seit 1972. Die Erfahrung zeigt aber: Glaube braucht Gemeinschaft. Er lebt vom Zuspruch, von Riten, von Begegnung. Es geht ja nicht allein um das eigene Seelenheil. Auch hier liegen Antwortverhalten in Umfragen und Realität auseinander. Richtig ist: Die Anzahl der Christinnen und Christen in Deutschland lässt sich nicht allein an der Zahl der Kirchenmitglieder oder an der Zahl der Gottesdienstteilnehmer ablesen.
Gibt es in schwieriger Zeit mit Krieg und Krisen noch eine frohe Botschaft, die breiten Bevölkerungsschichten Hoffnung macht?
LATZEL Gerade jetzt ist der Glaube an einen Gott wichtig, der die Welt in seinen Händen hält, dessen Liebe allen Menschen gilt und der in uns die Hoffnung auf einen umfassenden Frieden weckt. Diese Botschaft gibt Menschen Kraft, Trost – und unsere Aufgabe ist es, von ihr zu sprechen.
Kann Schule leisten, was in Familien fehlt – an Glauben heranführen? LATZEL Es braucht beides: Aufgeklärte Religion und guten Unterricht, aber auch familiäre religiöse Sozialisation. Mit Kindern in der Bibel lesen, beten, Glauben weitergeben. Wie wir das stärken können, ist ein Thema der Landessynode im Januar.
Ein Thema in vielen Familien ist auch die Klimakrise und wie man sich verhält.Was denken Sie über die radikalen Aktionen der „Letzten Generation“?
LATZEL Ich halte ihre Mittel für kontraproduktiv, weil sie die Gesellschaft spalten und den demokratischen Rechtsstaat infrage stellen. Aber als Christ teile ich den sense of urgency, also die Dringlichkeit des Anliegens. Die Bewahrung der Schöpfung und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts, das sind urchristliche Themen – hier ist Kirche mehr gefragt denn je.
Was also tun?
LATZEL Wir müssen mit den Menschen