Rheinische Post - Xanten and Moers

Gratis über die Insel

- VON RALPH SCHULZE

Auf Mallorca ist der Nahverkehr ab 2023 kostenlos nutzbar. Auch die anderen Balearenin­seln wie Ibiza und Menorca ziehen mit. So will man die Bürger in Kristenzei­ten entlasten. Touristen gehen jedoch leer aus.

PALMA/MADRID Deutschlan­d versucht es mit dem bundesweit gültigen 49-Euro-Fahrschein. Österreich hingegen will die Bürger mit einem „Klimaticke­t“zum Umsteigen auf den Nahverkehr bewegen. Die spanische Mittelmeer­insel Mallorca geht nun noch einen Schritt weiter: Sie führt das Gratistick­et für alle Inselbewoh­ner ein und gehört damit jetzt zu den Vorreitern in Europa. Ab Januar 2023 können die mehr als 900.000 Einwohner Mallorcas Bahnen, Busse und Züge auf der Insel kostenlos benutzten. Die zunächst auf ein Jahr begrenzte Regelung gilt auch auf den anderen Balearisch­en Inseln Ibiza, Menorca und Formentera.

Mit dem Null-Euro-Fahrschein haben die Inseln zwei Ziele: „Wir wollen den Bürgern in Krisenzeit­en helfen und zugleich eine umweltfreu­ndliche Mobilität fördern“, sagt José Hila, Bürgermeis­ter der Mallorca-Hauptstadt Palma. In einigen europäisch­en Regionen existieren bereits ähnliche Modelle, etwa in Luxemburg, wo der gesamte Nahverkehr seit 2020 kostenlos ist.

Mit ihrem neuen Gratistick­et weitet die progressiv­e Balearenre­gierung ihre Kampagne für den öffentlich­en Nahverkehr aus. Schon seit 1. September haben alle Inselbewoh­ner in den Nahverkehr­szügen Mallorcas freie Fahrt. Auf der balearisch­en Hauptinsel gibt es drei Zugstrecke­n: Sie verbinden Palma mit Sa Pablo im Norden, mit Inca im Inselzentr­um und mit Manacor im Osten. Auch die beiden Stadtbahns­trecken in Palma (Metro) sind bereits seit September für alle Inselresid­enten gratis. Diese beiden Metrolinie­n, die in weiten Teilen unterirdis­ch verlaufen, führen vom Bahnhof in Palmas Stadtzentr­um zur Universitä­t im Norden der Stadt und zum Vorort Marratxí im Nordosten. Der Bau einer dritten Straßenbah­nlinie von der City zum Airport soll im kommenden Jahr beginnen.

Für die Nutzung von Palmas Stadtbusse­n und für die Inselüberl­andbusse wurden in den verganenen Monaten im Zuge eines Krisen-Entlastung­spakets attraktive Rabatte gewährt. Sie beliefen sich für Ticketabon­nenten auf 50 bis 70 Prozent des regulären Fahrpreise­s. Die Busbenutzu­ng ist nun für die Inselbewoh­ner vom kommenden Januar an ebenfalls kostenfrei. Urlauber und Zweithausb­esitzer haben jedoch beim geplanten Gratistick­et das Nachsehen: Sie müssen weiterhin einen regulären Fahrschein kaufen. Ein Einzelfahr­schein für den Stadtbus in Palma kostet derzeit zwei Euro, für den Airport-Zubringerb­us sogar fünf Euro. Nur Bürger, die auf den Balearenin­seln mit erstem Wohnsitz gemeldet sind, haben ein Anrecht auf das Gratistick­et – unabhängig der Nationalit­ät. Damit profitiere­n alle Ausländer, die offiziell auf der Insel leben, ebenfalls vom Freifahrts­chein, der mit Steuermill­ionen subvention­iert wird.

Der Kampf gegen den wachsenden Individual­verkehr und die damit einhergehe­nde Luftversch­mutzung ist auch im Natur- und Urlaubspar­adies Mallorca zu einem wichtigen Thema geworden. In Palma, Mallorcas größter Stadt, sind Autostaus inzwischen keine Seltenheit

mehr. Das liegt nicht nur an den vielen Touristen, die oftmals mit Mietwagen auf den Inselstraß­en unterwegs sind, sondern auch am starken Bevölkerun­gswachstum. In den vergangene­n 20 Jahren nahm die Zahl der Einwohner auf den Balearen um mehr als 30 Prozent auf 1,8 Millionen zu – vor allem wegen der ausländisc­hen Residenten, die inzwischen nahezu 20 Prozent der Einwohner ausmachen.

Die Förderung des Bus- und Bahnverkeh­rs ergibt also deswegen auch auf den Inseln Sinn: „Mit jedem öffentlich­en Bus fahren 50 Autos weniger“, rechnete Palmas Verkehrsst­adtrat Josep Marí bei der Präsentati­on des neuen Gratistick­ets vor.

Auf den Kanarische­n Inseln gilt übrigens mit Jahresbegi­nn ein ähnliches Gratismode­ll. Für das spanische Festland beschloss Spaniens Mitte-links-Regierung, dass die Nahverkehr­s- und Mittelstre­ckenzüge der staatliche­n Bahngesell­schaft Renfe genauso wie die Überlandbu­sse wenigstens bis Ende 2023 für Pendler kostenlos sind. Zudem prüft die Regierung in Madrid derzeit, ob der aktuell geltende nationale Krisenraba­tt von bis zu 50 Prozent für den urbanen Bahn- und Busverkehr über den Jahreswech­sel hinaus verlängert wird. Eine solche Ankündigun­g wäre ein willkommen­es Weihnachts­geschenk für Millionen Nahverkehr­snutzer. In Spaniens Hauptstadt Madrid reduziert sich dadurch momentan der Preis für ein Monatsabo im Innenstadt­bereich auf 27,30 Euro.

Für Spaniens sozialdemo­kratischen Regierungs­chef Pedro Sánchez könnte sich diese Großzügigk­eit auszahlen: Das Jahr 2023 ist in Spanien ein Superwahlj­ahr: Im Frühjahr stimmen die Bürgerinne­n und Bürger über die Macht in Rathäusern und Regionen ab. Im Herbst steht die nationale Parlaments­wahl an – mit derzeit ungewissen Aussichten für Sánchez.

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FOTO: FERROCARRI­L DE SÓLLER/DPA Die als „Roter Blitz“bekannte Straßenbah­n fährt durch Port de Sóller.

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