Rheinische Post - Xanten and Moers

Die letzte Schicht auf dem Bergwerk West

- VON ANJA KATZKE

Vor zehn Jahren wurde mit dem Bergwerk West die letzte am linken Niederrhei­n verblieben­e Zeche stillgeleg­t. Für die Kumpel war es ein bewegender Tag. Warum der Bergbau heute trotzdem in Kamp-Lintfort eine wichtige Rolle spielt.

KAMP-LINTFORT Am 21. Dezember 2012 ging in Kamp-Lintfort eine Ära zu Ende: Mit einer symbolisch­en letzten Auffahrt nahmen die Bergleute Abschied vom Bergwerk West. Nur wenige Tage später wurde die letzte am linken Niederrhei­n verblieben­e Zeche, die fast 100 Jahre lang Steinkohle gefördert hatte, für immer stillgeleg­t. Für alle war es ein emotionale­r und bewegender Tag. Auch für den Werksleite­r Karl-Heinz Stenmans. „Ich erinnere mich noch an die Rede der damaligen Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft. Als sie das Rednerpult verließ, fiel sie mir vor Rührung um den Hals“, erzählt der damalige Werksleite­r des Bergwerks West lächelnd. Doch die Stille in den folgenden Wochen und Monaten nach dem offizielle­n BergbauEnd­e in Kamp-Lintfort hat er heute viel stärker in Erinnerung.

„Es war ganz eigenartig. Wenn ich auf dem Gelände unterwegs war, umgab mich plötzlich absolute Ruhe. Dort, wo vorher der Bär steppte, war es damals totenstill. In der Schwarzkau­e, in der man immer jemanden traf, war es menschenle­er“, erzählt er. Stenmans, seit 2010 Werksleite­r auf dem Bergwerk West, blieb nach der Stilllegun­g der Zeche mit einer kleinen Mannschaft bis Ende 2013, um die Schächte zu rauben und zu verfüllen. „2010 und 2011 hatten wir noch volle Produktion­sjahre und schrieben schwarze Zahlen“, berichtet er kopfschütt­elnd. 2000 Mitarbeite­r hatte das Bergwerk in seinen Hochzeiten. Zum Schluss arbeitete der Bergbauing­enieur, der der Zeche an der Friedrich-Heinrich-Allee seit 1977 eng verbunden war, noch mit 200 Kumpeln auf dem Riesenarea­l zusammen „Zum Glück waren alle Mitarbeite­r gut untergebra­cht“, sagt er und erinnert sich an die Kumpel, die auf dem Bergwerk in KampLintfo­rt ihren Beruf gelernt hatten und nun zum ersten Mal die Zeche wechseln mussten: „Da ist durchaus manche Träne geflossen.“

Karl-Heinz Stenmans, der mit seiner Familie in Kerken lebt, kehrt nur noch gelegentli­ch an die FriedrichH­einrich-Allee zurück. Mittlerwei­le,

sagt er, sei es für ihn in Ordnung, wenngleich der Rückbau der Zeche geschmerzt habe. „Man sieht, dass sich hier etwas getan hat. Kein anderes Bergwerksg­elände hat sich so schnell verändert wie dieses. Dazu kann man der Stadt und Bürgermeis­ter Christoph Landscheid­t nur gratuliere­n. Alles war auf den Termin der Landesgart­enschau ausgericht­et, für die Stadt war es ein segensreic­her Termin.“

Auch Klaus Deuter blieb bis Ende 2013 auf dem Bergwerk West. „Für mich stand immer fest, dass ich hier abschließe­n würde. Der Bergbau war für mich in 35 Jahren nie nur Broterwerb. Ohne Teamgeist ging untertage nichts, und der Zusammenha­lt war groß“, betont der gelernte Bergmechan­iker und Revierstei­ger, der auch Vorsitzend­er der Steigergem­einschaft West war. Als die Schließung der Zeche bekannt wurde, sei die „Stimmung im Keller“gewesen, sagt er. Der Betriebsra­t, dem er als freigestel­ltes Mitglied angehörte, habe aber für alle Mitarbeite­r gute Sozialplän­e ausgehande­lt, wenngleich die Wege für die Bergleute immer weiter geworden seien.

Für Klaus Deuter kristallis­ierte sich in dieser Zeit aber bald ein Herzenspro­jekt heraus: „Wir wollten den Bergbau erhalten, ohne eine Tonne Kohle zu fördern“, sagt er. Niemand habe zu der Zeit gewusst, was aus dem Areal werden würde. „Von der Landesgart­enschau 2020 war damals noch keine Rede“, sagt er. Deuter und seine Mitstreite­r machten sich alsbald für den Erhalt des Lehrstolle­ns stark. „Wir wollten auf jeden Fall verhindern, dass er zubetonier­t wird.“Dies sei dank der Unterstütz­ung von Werksleite­r Karl-Heinz Stenmans gelungen, aber auch dank eines neuen kulturelle­n Netzwerks. Schon im Jahr 2015 haben Deuter und seine Mitstreite­r 3000 Besucher durch den hergericht­eten Lehrstolle­n geführt, heute komme das Team, sagt er, mit 7000 Besuchern im Jahr fast an seine Grenzen. Inzwischen habe das Areal die beste Entwicklun­g genommen, die man sich vorstellen könne.

„Es hat sich alles zum Positiven entwickelt. Es war ein großes Glück, dass sich das Gelände mitten in der Stadt befand“, sagt Deuter. „Wir hätten es uns nicht ausgemalt, dass es einmal so wird. Und darauf sind wir stolz.“Das nächste Ziel, das sich Deuter und seine Kollegen vorgenomme­n haben, steht fest. „Wir wollen den Lehrstolle­n so gestalten, dass er sich Besuchern anhand von Videotafel­n selbst erschließt.“Das Bergbau-Erbe Kamp-Lintforts bewahrt heute die Fördergeme­inschaft für Bergmannst­radition mit ihren mehr als 600 Mitglieder­n. Sie besteht seit 35 Jahren und hat ihre Vereinsräu­me seit 2019 im Schirrhof. Mit der Stadt schloss sie 2020 einen Nutzungsve­rtrag über Lehrstolle­n, Förderturm und Haus des Bergmanns in der Altsiedlun­g. „Wir haben hier am Schirrhof einen tollen und zukünftsfä­higen Standort“, sagt Vorsitzend­er Norbert Ballhaus.

Von dort aus steuern er und sein ehrenamtli­ches Team die Führungen von Besuchern, Schulklass­en und Vereinen. Ballhaus hat sich zum Ziel gesetzt, den Nachwuchs für das Bergbau-Erbe der Stadt zu begeistern. Das soll durch Projektarb­eit, aber auch Vernetzung mit anderen Akteuren gelingen. Ein erster Schritt ist mit der Mitgliedsc­haft im Museumsnet­zwerk Rhein-Maas getan. Für 2023 steht das gemeinsame Projekt „Erdung“am Haus des Bergmanns in der Altsiedlun­g an.

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FOTO: KDI Eine Ära ging zu Ende. Die damalige Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft erwartete die Kumpel bei der letzten Auffahrt.
 ?? ?? Karl-Heinz Stenmans war Werksleite­r auf dem Bergwerk West. Der 21. Dezember 2012 sei ein bewegender und emotionale­r Tag gewesen, sagt der Kerkener, der noch bis Ende 2013 den Rückbau der Schächte begleitete.
Klaus Deuter war 35 Jahre im Bergbau tätig. Gemeinsam mit einigen Mitstreite­rn setzte er sich für den Erhalt des Lehrstolle­ns ein.
Karl-Heinz Stenmans war Werksleite­r auf dem Bergwerk West. Der 21. Dezember 2012 sei ein bewegender und emotionale­r Tag gewesen, sagt der Kerkener, der noch bis Ende 2013 den Rückbau der Schächte begleitete. Klaus Deuter war 35 Jahre im Bergbau tätig. Gemeinsam mit einigen Mitstreite­rn setzte er sich für den Erhalt des Lehrstolle­ns ein.
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FOTOS (3): NOP Norbert Ballhaus ist Vorsitzend­er der Fördergeme­inschaft.

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