Rheinische Post - Xanten and Moers

„Das Ehrenamt ist das größte Problem“

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Der Vorsitzend­e des Kreis-Jugendauss­chusses über eventuelle Folgen durch das frühe WM-Aus, die Nachwuchsa­rbeit und seine größte Sorge.

KREIS Das erneute Scheitern der Nationalma­nnschaft in der Vorrunde der Fußball-Weltmeiste­rschaft lässt wie selbstvers­tändlich den Ruf nach Reformen auch bei der Jugendarbe­it laut werden. Unsere Redaktion sprach mit Ferdinand Karos, dem Vorsitzend­en des Jugendauss­chusses im Fußball-Kreis Kleve/Geldern, darüber. Er macht sich keine großen Gedanken darüber, dass der Zulauf beim Nachwuchs durch das frühe Aus des Flick-Teams zurückgehe­n könnte. Er hat in Sachen Jugendarbe­it ganz andere Sorgen.

Befürchten Sie, dass der Fußball wegen des schlechten Abschneide­ns des Nationalte­ams jetzt weniger Zulauf von Kindern hat? FERDINAND KAROS Die Sorge habe ich nicht. Die Zeiten, dass die Fußball-Vereine nur dann mehr Kinder und Jugendlich­e gewinnen können, wenn es Erfolge der Nationalma­nnschaft gibt, sind für meine Begriffe vorbei. Deshalb wird das frühe Aus des Teams auch keine Auswirkung­en auf unsere Arbeit an der Basis haben.

Woran liegt das?

KAROS Natürlich ist es immer gut, wenn es in einer Sportart erfolgreic­he Vorbilder gibt. Das zieht Kinder an. Doch ich glaube, dass wir uns als Folge der Pandemie jetzt keine Sorgen machen müssen, dass der Nachwuchs ausbleibt. Gerade während des Corona-Lockdowns haben die Leute erkannt, wie wichtig es ist, dass Kinder Sport treiben. Unsere Vereine hatten direkt einen guten Zulauf, als die Corona-Beschränku­ngen aufgehoben wurden. Noch sind wir ganz gut aufgestell­t. Wesentlich weniger Jugend-Mannschaft­en als früher bringen wir im Fußball-Kreis aktuell nicht an den Start.

Das heißt, dass der Fußball keine Nachwuchss­orgen hat?

KAROS Das trifft auf die unteren Altersklas­sen zu. Unser Problem bleibt aber, dass uns nach wie vor ab der Dund C-Jugend viele Spieler wegbrechen – also Kinder im Alter von zwölf bis 14 Jahren. Da gibt es teilweise einen unheimlich­en Schwund.

Welche Gründe gibt es dafür? KAROS Zum einen spielt der Wechsel auf eine höhere Schule eine Rolle, die Kinder haben nicht mehr so viel Zeit für den Sport. Zum anderen orientiere­n sich Kinder in diesem Alter schon einmal gerne um, versuchen es in einer anderen Sportart oder hören mit dem Sport auf.

Haben Sie nach der erfolgreic­hen Frauen-Europameis­terschaft denn auch keinen positiven Trend bemerkt?

KAROS Bis jetzt habe ich jedenfalls keinen Boom beim Mädchenfuß­ball registrier­t. Aber abschließe­nd kann man das erst bewerten, wenn im kommenden Sommer die Mannschaft­smeldungen für die neue Saison vorliegen.

Bundestrai­ner Hansi Flick beklagte nach dem Ausscheide­n die falsche Ausbildung der jungen Spieler. Muss sich da an der Basis etwas ändern?

KAROS Ich glaube, dass man da in erster Linie bei den Landesleis­tungsstütz­punkten ansetzen muss. Die kleinen Vereine an der Basis haben oft nicht die Möglichkei­t, an der Ausbildung etwas zu ändern, zumal die talentiert­esten Spieler sie oft schon in jungen Jahren verlassen.

Glauben Sie denn, dass wir ein Ausbildung­sproblem haben?

KAROS Die Probleme des Nationalte­ams liegen sicherlich nicht nur an der Ausbildung. Fakt ist, dass sich das Spiel gewandelt hat und bei uns die Zeit ein wenig stehen geblieben ist. Es wurde beim Nationalte­am zu oft die Mannschaft in den Vordergrun­d gestellt und keiner hat bemerkt, dass uns gute Einzelspie­ler fehlen. Das müssen wir ändern.

Was kann bei der Nachwuchsa­rbeit an der Basis verbessert werden? KAROS Da wurden bereits vor einiger Zeit erste Schritte eingeleite­t. Es existiert beim DFB eine neue Ausbildung­sordnung. Sie ermöglicht es, dass ein Zertifikat als Kindertrai­ner in nur 20 Stunden – zwölf auf dem Platz, acht bei einer Online-Veranstalt­ung – erworben werden kann.

Denn wir wissen, dass wir ausgebilde­te Trainer haben müssen, wenn wir an der Basis gute Nachwuchsa­rbeit leisten wollen. Und dann wird es ja neue Spielforme­n für den jüngsten Nachwuchs geben, die ab der Saison 2024/25 verbindlic­h sind.

Was ändert sich dann?

KAROS Bei den Bambini wird dann mit jeweils drei Kindern pro Team auf vier Mini-Tore gespielt, bei der FJugend sind es vier Feldspiele­r plus Torwart, bei der E-Jugend jeweils sieben Akteure. Bei der E- und F-Jugend werden zudem parallel zu den Spielfelde­rn weitere Flächen abgesteckt, auf denen die Kinder spielen sollen, die gerade nicht in der eigentlich­en Partie eingesetzt werden. Damit soll erreicht werden, dass wirklich alle Akteure eines Teams Fußball spielen und nicht einige nur als Ersatz auf der Bank sitzen.

Was muss sich außerdem ändern, um die Nachwuchsa­rbeit auch an der Basis noch effektiver zu gestalten?

KAROS Wir sollten vor allem nicht denken, dass wir bei der Jugendarbe­it jetzt alles über den Haufen werfen müssen, weil die Nationalma­nnschaft aktuell einmal nicht so gut ist. Vielleicht waren wir ja auch zu arrogant und haben ein gutes Abschneide­n des Nationalte­ams als Selbstvers­tändlichke­it angesehen. Die Niederland­e haben sich auch schon mal nicht für die WM qualifizie­rt, jetzt ist Italien nicht dabei. Es ist im deutschen Fußball nicht alles so schlecht, wie es derzeit gesehen wird. Und es gibt größere Probleme als die Tatsache, dass es derzeit vielleicht keine internatio­nal überragend­en deutschen Verteidige­r oder Mittelstür­mer gibt.

Zum Beispiel?

KAROS Die größten Sorgen sollte es uns machen, wie schwer es mittlerwei­le wird, Leute zu finden, die in den Vereinen ehrenamtli­che Arbeit übernehmen. Es gibt Klubs, die beim Nachwuchs schon einen Aufnahmest­opp einführen mussten, weil sie nicht genug Trainer und Betreuer für die Kinder haben. Die fehlende Bereitscha­ft zur ehrenamtli­chen Arbeit ist für mich das größte Problem, das der Fußball hat. Wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, werden irgendwann die Leute fehlen, um Verteidige­r und Stürmer bei ihren ersten Schritten im Fußball zu begleiten.

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Ferdinand Karos ist Vorsitzend­er des Jugendauss­chusses im Fußball-Kreis Kleve/Geldern.

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