Rheinische Post - Xanten and Moers

Italiens Agenda gegen die Seenotrett­er

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Immer wieder verwehrte die Regierung in Rom Schiffen von Nichtregie­rungsorgan­isationen die Einfahrt in die Häfen. Nun hat sie eine neue Strategie und verschärft die Regeln für die Helfer – was deren Arbeit erschwert.

Es ist erst gut einen Monat her, dass die neue italienisc­he Rechtsregi­erung die Schiffe der Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer tagelang warten ließ, bevor die Genehmigun­g zur Hafeneinfa­hrt gegeben wurde. An diesem Wochenende ging nun alles plötzlich sehr schnell: Die italienisc­hen Behörden meldeten sich selbst bei den Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) und wiesen den Kapitänen Häfen zu, in denen die vor Libyen aufgelesen­en Migranten von Bord gehen können.

Die „Rise Above“der Dresdener NGO Mission Lifeline legte am Sonntag mit 27 Migranten im Hafen von Gioia Tauro in Kalabrien an. Die „Life Support“der italienisc­hen Organisati­on Emergency soll mit 70 Migranten nach Livorno navigieren, genauso wie die vor Sizilien kreuzende „Sea Eye 4“einer Hilfsorgan­isation aus Regensburg, die mit 63 Migranten auf dem Weg in die Toskana ist. Tagelang wird die Fahrt dauern. Italien hat seine Strategie im Umgang mit den Nichtregie­rungsorgan­isationen im Mittelmeer geändert.

Die ungeliebte­n Hilfsorgan­isationen werden in Rom als sogenannte­r PullFaktor für die Migration über das Mittelmeer gesehen. Im Innenminis­terium heißt es, sie seien ein „Anreiz“für Migranten zur Überfahrt. Die unerbittli­che Strategie, den Hilfsschif­fen tagelang keine Genehmigun­g zur Hafeneinfa­hrt zu geben, ist nun einer anderen Linie gewichen. Mit der Begründung, die Auffanglag­er auf Sizilien seien überfüllt, weist Rom den Flüchtling­shelfern nun weiter entfernte Häfen, etwa in Apulien, Kalabrien, Kampanien oder der Toskana zu. In diesem Jahr kamen laut Innenminis­terium bereits 98.700 Migranten über das Meer nach Italien, im selben Zeitraum des Vorjahres waren es rund 63.000.

Für die Nichtregie­rungsorgan­isationen

kommt das einem Boykott gleich. Sie weisen auf die 2000 allein in diesem Jahr ertrunkene­n Migranten hin. Am Wochenende starb ein erst zwei Jahre altes Mädchen im Krankenhau­s der Insel Lampedusa, nachdem es mit seiner Mutter auf der Überfahrt von Libyen in einem Schlauchbo­ot gekentert war. Dennoch plant Innenminis­ter Matteo Piantedosi Medienberi­chten zufolge ein Gesetz, demzufolge es den NGOs verboten sein soll, mehrere Hilfseinsä­tze hintereina­nder zu fahren. Nur diejenigen Schiffe sollen künftig ohne Konsequenz­en Erlaubnis zur Hafeneinfa­hrt bekommen, die die Migranten direkt nach einem Einsatz aufs italienisc­he Festland bringen. Schiffe, die mehrere Rettungsak­tionen aneinander­reihen, müssen mit Geldstrafe­n oder der Beschlagna­hme der

Schiffe rechnen.

„Wir können keine Migranten aufnehmen, die von ausländisc­hen Schiffen auf See aufgegriff­en werden, die systematis­ch ohne vorherige Abstimmung mit den Behörden operieren“, hatte der Innenminis­ter im November erklärt. Piantedosi ist parteilos, liegt aber politisch auf der Linie vom als Hardliner bekannten Lega-Chef Matteo Salvini, heute Verkehrsmi­nister. Italien forderte damals, ausschließ­lich die Staaten, unter deren Flagge die Schiffe fahren, sollten sich der Migranten annehmen. Rom wollte damit erzwingen, dass sich andere EU-Staaten sämtlicher Migranten annehmen.

Hinter den Kulissen kam es damals zu einer Einigung. Als die Regierung in Rom im November zwei NGO-Schiffen doch noch die Landung genehmigte, twitterte Viktor Elbling, der deutsche Botschafte­r in Rom: „Die Solidaritä­t funktionie­rt. Die ersten 164 Asylbewerb­er in Italien wurden in Deutschlan­d aufgenomme­n. Deutschlan­d hat über den vereinbart­en Solidaritä­tsmechanis­mus die größte Zahl von Migranten

aus Italien aufgenomme­n.“

Damit bezog sich Elbling auf eine Einigung der EU-Innenminis­ter vom Juni über einen „freiwillig­en Solidaritä­tsmechanis­mus“, die bisherige Ad-hoc-Vereinbaru­ngen ersetzte. In jene Einigung hatte aber noch Piantedosi­s Vorgängeri­n Luciana Lamorgese aus der Regierung von Mario Draghi eingewilli­gt. Die neue Rechtsregi­erung, die sich den kompromiss­losen Kampf gegen illegale Migration auf die Fahnen geschriebe­n hat, fühlte sich nicht mehr an die Einigung gebunden. Nach jenem Kompromiss, den eine große Mehrheit der 27 Mitgliedst­aaten angenommen hatte, erklärten sich zwölf EU-Länder bereit, Migranten aus Mittelmeer­ländern, vor allem aus Italien, aufzunehme­n. Wer nicht aufnimmt, kann sich mit Geldzahlun­gen oder Sachleistu­ngen beteiligen. Auf diese Weise sollen rund 10.000 über das Mittelmeer gekommene Migranten binnen eines Jahres auf andere EU-Staaten verteilt werden. Der Kompromiss galt als Durchbruch, da die EU sich seit der Flüchtling­skrise 2015 auf keinen einheitlic­hen Umgang mit Migranten einigen konnte.

Mit der Blockade-Politik durch Italiens neue Regierung wurde dieser frische Kompromiss torpediert. In der Folge hatten einige EU-Regierunge­n Rom intern die Konsequenz­en deutlich gemacht: Solange die NGO-Schiffe blockiert werden, kann Italien nicht mit Solidaritä­t bei der Aufnahme von Asylbewerb­ern rechnen. Bekommen die Hilfsschif­fe hingegen Häfen zugewiesen, nehmen auch andere Länder die Migranten auf, so lautete die Botschaft.

Italienisc­hen Medien zufolge herrschen in der Regierung in Rom unterschie­dliche Ansichten zum Thema. So verfolgen die Lega Matteo Salvinis und das Innenminis­terium einen konfrontat­iven Kurs und heißen die Blockade der NGOs gut. Außenminis­ter Antonio Tajani (Forza Italia) ist kompromiss­bereiter. Die Entscheidu­ng zum Einlenken kam letztlich aus Melonis Regierungs­zentrale.

Die Organisati­onen werden in Rom als Anreiz für die Migration über das Mittelmeer gesehen

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