Rheinische Post - Xanten and Moers

Doppelte Weihnacht

- VON LEONIE MISS

Der Emmericher Erdbeerbau­er Alexander Bossmann wird die Festtage in großer Runde verbringen – mit sieben Ukrainern, die er im März aufgenomme­n hat. Deshalb wird er auch die orthodoxen Feierlichk­eiten begehen.

EMMERICH In Alexander Bossmanns Wohnstube knistert der Kamin. Am späten Nachmittag hat er das Wohnzimmer auf seinem Hof in Emmerich hergericht­et, auf dem großen Tisch stehen Gebäck und Obst, Kaffee und Tee. In seiner Küche leuchtet der geschmückt­e Tannenbaum, und es duftet nach frisch gebackenem Kuchen.

Eigentlich verbringt der Landwirt die Vorweihnac­htszeit mit seiner ExFrau Sophie, die noch auf seinem Hof tätig ist, oder mit Verwandten. In diesem Jahr ist das aber etwas anders. Bossmann teilt sich sein Haus seit zehn Monaten mit einer Familie aus der Ukraine, führt eine Wohngemein­schaft, wie er sagt. Sieben Menschen aus mehreren Generation­en sind mittlerwei­le Teil seines Lebens und werden nun zum ersten Mal gemeinsam Weihnachte­n in Deutschlan­d feiern.

„Wahrschein­lich wird es hier zwei Weihnachts­feste geben“, sagt der Landwirt. Die Ukrainer gehören dem orthodoxen Glauben an, der in ihrem Heimatland verbreitet ist. Danach würde man das Fest im neuen Jahr am 7. Januar feiern, und das soll auch so bleiben. Zumindest habe sich die Familie um Tante Julia Kovalenko das so vorgenomme­n.

Die 41-Jährige aus Kiew ist nach dem Angriff auf die Ukraine mit ihrem Bruder Sergej (39), der in Boyarka lebte, seiner Frau Dijana (36), deren drei Kindern Karolina (13), David (7) und Domenika (3) aus der Heimat geflohen. Zwei Wochen habe die Flucht gedauert, erinnert sich Julia Kovalenko. Auch Sergej durfte das Land verlassen, weil er Vater von drei Kindern ist. Dijanas Mutter Valentina Prymachenk­o (56) ist im August nach der russischen Übernahme eines ukrainisch­en Atomkraftw­erks nachgekomm­en. „Eigentlich hat keiner an so ein Szenario gedacht“, sagt Julia Kovalenko.

„Mir war es egal, dass ich gleich sieben Leute bei mir aufnehme“, sagt Bossmann. In seinem großen Haus im Ortsteil Hüthum hatte er fünf leer stehende Zimmer. Passend, um eine große Familie unterzubri­ngen. Für den Erdbeerbau­ern habe vieles dafür gesprochen, ukrainisch­e Geflüchtet­e bei sich wohnen zu lassen. Er habe mitbekomme­n, wie schwer es die ukrainisch­en Bauern haben: „Die Felder wurden vermint und Waren konfiszier­t. Dagegen waren meine Sorgen wie steigende Benzinkost­en eher gering“, sagt Bossmann.

Heute, bei Kaffee und Kuchen, sitzen sie zu neunt am Tisch vor dem lodernden Kamin. Großmutter Valentina hat Karawai gebacken, „typisch ukrainisch“sagt sie. Alle bedienen sich am Gebäck, das sie in eigener Manier mit Äpfeln, Orangen und Bananen gefüllt hat. Heiligaben­d soll es den Kuchen auch geben. Dann werden sich noch Sophie Bossmanns Lebenspart­nerin und deren zwei erwachsene Söhne dazugesell­en.

Eine große Runde. Auch das sei Weihnachte­n, sagt Bossmann ganz entspannt. In der Ukraine haben sie auch immer mit der Familie gefeiert, erinnert sich Julia Kovalenko sichtlich gerührt, „noch im vergangene­n Jahr gemeinsam in der Heimat“. Sie und ihre Familie sind nicht streng gläubig. Trotzdem halten sie sich an die Traditione­n rund um das orthodoxe Weihnachts­fest. Für sie ist es etwas Besonderes, gerade in diesen schwierige­n Zeiten.

Wenn sie ihr Weihnachte­n am 7. Januar feiern, werden sie vorher rund zwei Wochen fasten. Dann gibt es kein Fleisch, Fisch oder tierische Produkte. Zwölf verschiede­ne vegane Gerichte essen sie am Vorabend, am eigentlich­en Feiertag tischen sie dann aber groß auf. „Dann gibt es alles“, sagt Julia – traditione­ll Fisch oder Ente.

Für Heiligaben­d hat Bossmann noch nicht viel geplant. Was er weiß, ist, dass es ein großes Festessen geben wird, da sind er und seine Mitbewohne­r sich einig. Julia Kovalenkos Schwägerin Dijana Kovalenko ist gelernte Köchin. Wegen der Fastenzeit ihrer Familie wird das Menü wahrschein­lich vegan, „und vermutlich mehr ukrainisch“, ergänzt Bossmann. Sophie Bossmann, die gebürtige Französin ist, wird außerdem etwas aus der französisc­hen Cuisine beisteuern.

„Wir hätten nicht gedacht, dass Alexander und Sophie so hilfsberei­t sein würden“, sagt Julia Kovalenko für die gesamte Familie. Die Kinder seien nicht mehr so gestresst und mögen die Schule sehr, „hier sind alle sicher“, zeigen sie sich dankbar. Zwar hat Bossmann kleinere Geschenke für die Kinder eingeplant – der beliebtest­e Wunsch wird in diesem Jahr aber dieser sein: „Frieden“, so Familie Kovalenko einhellig.

Noch würden die Kinder nicht so sehr merken, dass dieses Weihnachte­n anders wird, sagt Mutter Dijana Kovalenko. Gemeinsam waren sie schon auf dem Lichtermar­kt in Emmerich, und in der Schule redeten die Kinder über das Fest.

In der Ukraine würde es aber normalerwe­ise dazugehöre­n, dass die Kinder herumgehen und Lieder für Verwandte singen. Eines der bekanntest­en Lieder ist das Shchedryk. Vielleicht werden sie das Lied an einer ihrer beiden Feiern vor dem Kamin in Bossmanns Wohnzimmer anstimmen, Karawai essen und dabei an ihre daheimgebl­iebenen Verwandten denken.

 ?? FOTO: VAN OFFERN ?? Alexander Bossmann (2.v.l.) wird Weihnachte­n mit Ex-Frau Sophie (3. v. l.) und seiner Wohngemein­schaft feiern. Tante Julia Kovalenko (r.) wird mit ihrem Bruder Sergej (hinten rechts), seiner Frau Dijana (Mitte), Mutter Valentina Prymachenk­o (3. v. r.) und den Kindern heimische Bräuche einfließen lassen.
FOTO: VAN OFFERN Alexander Bossmann (2.v.l.) wird Weihnachte­n mit Ex-Frau Sophie (3. v. l.) und seiner Wohngemein­schaft feiern. Tante Julia Kovalenko (r.) wird mit ihrem Bruder Sergej (hinten rechts), seiner Frau Dijana (Mitte), Mutter Valentina Prymachenk­o (3. v. r.) und den Kindern heimische Bräuche einfließen lassen.

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