Rheinische Post - Xanten and Moers

„Ich war eine Nummer“

- VON CHRISTOF BOCK, BENEDIKT VON IMHOFF UND CHRISTOPH MEYER

Nach seiner Haft in Großbritan­nien ist Boris Becker wieder in Deutschlan­d. Der einstige Tennisstar zeigt sich im Interview bei Sat.1 verändert. Er ist schlanker, hat dunklere Haare – aber auch innerlich sei er nicht mehr der Gleiche.

MÜNCHEN/BERLIN (dpa) Das Rätselrate­n nach der Haftentlas­sung ist beendet: Erstmals nach 236 Tagen hat sich Boris Becker wieder in der Öffentlich­keit gezeigt. Die Zeit im britischen Gefängnis habe ihn verändert, sagte der ehemalige deutsche Tennis-Superstar im Interview mit Sat.1. „Ich habe eine harte Lektion gelernt. Eine sehr teure. Eine sehr schmerzhaf­te. Aber das Ganze hat mich etwas Wichtiges und Gutes gelehrt. Und manche Dinge passieren aus gutem Grund.“Der Sender verbreitet­e am Dienstagmi­ttag erste Zitate aus dem Gespräch, das dann am Dienstagab­end (20.15 Uhr) ausgestrah­lt werden sollte.

Die Erfahrunge­n hinter Gittern sind an dem einstigen Weltstar nicht spurlos vorbeigega­ngen. Erste Fotos zeigen Becker jetzt deutlich schlanker. Er hat etwas dunklere, hoch geföhnte Haare. „Im Gefängnis bist du niemand. Du bist nur eine Nummer. Meine war A2923EV“, sagte der Sportler. „Ich wurde nicht Boris genannt. Ich war eine Nummer. Und es interessie­rt sie einen Scheißdrec­k, wer du bist.“

Becker war Ende April von einem Gericht in London zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt worden, weil er Teile seines Vermögens in seinem Insolvenzv­erfahren nicht ordnungsge­mäß angegeben hatte. Er war am Donnerstag – nach 231 Tagen hinter Gittern – freigekomm­en. Über die letzten Stunden vor seiner Freilassun­g und Abschiebun­g nach Deutschlan­d sagte er: „Ich saß ab sechs Uhr in der Früh auf meiner Bettkante und hoffte, dass die Zellentür aufgeht. Sie kamen um halb acht, schlossen auf und fragten: Bist Du fertig? Ich sagte: „Los geht‘s!“Ich hatte auch schon alles gepackt.“

Dass von Becker bis zur Veröffentl­ichung des Sat.1-Interviews keine Spur zu sehen war, überrascht in der heutigen digitalen Welt umso mehr. Klar war nur: Wird Becker aus der Haft entlassen, wird er aus Großbritan­nien abgeschobe­n und muss umgehend in ein Flugzeug nach Deutschlan­d steigen. Sein Flug in die Freiheit startete, wie später zu hören ist, auf dem Flugplatz Biggin Hill, südöstlich von London. Doch stunden-, wenn nicht tagelang rätselten Journalist­en, wo in Deutschlan­d der 55-Jährige gelandet ist.

Über seine ersten Schritte in der Heimat ist bisher nichts bekannt. Auch nicht, ob er Mutter Elvira getroffen hat, oder ob er wieder beim Deutschen Tennis-Bund (DTB) arbeiten wird. „Wir werden nach seiner Rückkehr nach Deutschlan­d weiterhin einen engen Austausch mit ihm haben“, kündigte der DTB am Dienstag an. „Boris Becker ist seit Jahrzehnte­n ein fester Bestandtei­l der deutschen Tennisfami­lie. Seine Verdienste sind und bleiben einzigarti­g.“

Vor allem aber hoffen Beobachter und Fans darauf, zu erfahren, was im Leben der Tennis-Legende passiert ist und zum fast acht Monate langen Aufenthalt hinter britischen Gittern führte. Für viele Deutsche ist Becker auch Jahrzehnte nach seinem Fabeltrium­ph von Wimbledon 1985 der „17-jährige Leimener“, der mit Becker-Hecht und Becker-Faust den Londoner Centre Court zu seinem „Wohnzimmer“machte.

Gut 25 Millionen US-Dollar Preisgeld kassierte er in seiner Karriere, dazu in etwa nochmal dieselbe Summe an Werbegelde­rn, wie Becker

selbst vor Gericht in London angab. In der Tenniswelt blieb er auch nach der Karriere eine Größe: Als beliebter „Head of Men‘s Tennis“für den DTB, als erfolgreic­her Trainer von Superstar Novak Djokovic und vor allem als kenntnisre­icher Erklärer bei Eurosport und der BBC.

Doch da war auch die andere Seite des Superstars. Im Privatlebe­n agierte er deutlich unglücklic­her als auf dem Centre Court, in Deutschlan­d wurde er wegen seiner Affären verspottet. Als Geschäftsm­ann hatte er ebenfalls kein gutes Händchen. Beim Versuch, Geld zurückzuza­hlen, nahm er Kredite auf, teils zu enormen Zinsen. Die Folge: Privatinso­lvenz. Im Prozess zeichnete sein Anwalt das Bild eines liebenswer­ten, aber naiven Menschen, der keine Ahnung gehabt habe, wem er sein Geld anvertraut und was damit angestellt wird. Richterin Deborah Taylor glaubte dem nicht – und schickte Becker in Haft. Dank einer Sonderrege­l für ausländisc­he Häftlinge, mit der Platz in den überfüllte­n britischen Gefängniss­en geschaffen werden soll, kam er nach rund siebeneinh­alb Monaten wieder raus.

Sat.1-Moderator Steven Gätjen, der Becker zur Vorbereitu­ng des Interviews getroffen hat, sagte über ihn: „Ich glaube, dass er wirklich willens ist, aufzuräume­n und viele Dinge klarzustel­len.“Wie Gätjen schilderte, ist ihm persönlich vor allem Beckers Beschreibu­ng der ersten Tage im Gefängnis Wandsworth in Erinnerung geblieben. „Dort sitzen ja nicht nur Menschen ein, die finanziell­e Straftaten begangen haben, sondern auch Sexualstra­ftäter, Mörder und Menschen, die große Raubüberfä­lle begangen haben. Boris Becker erzählte mir, dass er große Angst davor hatte, in einer Sammelzell­e zu landen.“

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FOTO: NADINE RUPP/SAT.1/DPA Ex-Tennisstar Boris Becker beantworte­t die Fragen von Moderator Steven Gätjen in einem Exklusiv-Interview, das in der Sendung „Sat.1 Spezial. Boris Becker“ausgestrah­lt wird.

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