Rheinische Post - Xanten and Moers

Neues Alzheimer-Mittel gegen das Vergessen

Hoffnungst­räger mit Schattense­iten: Ein neuer Antikörper konnte in Studien den Verlauf der Erkrankung deutlich verzögern. Die Substanz hat allerdings problemati­sche Nebenwirku­ngen. Was ein Experte dazu sagt.

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Diese Plaques entstehen häufig schon Jahre bevor erste Symptome auftreten. Betroffene – in den allermeist­en Fällen entwickelt sich Alzheimer im fortgeschr­ittenen Alter – fallen häufig zunächst durch zunehmende Vergesslic­hkeit und mangelndes Orientieru­ngsvermöge­n auf.

Im weiteren Verlauf können Wahrnehmun­g und Sprache zunehmend beeinträch­tigt werden. Alzheimer schreitet in der Regel langsam voran, aber stetig und letztlich unaufhalts­am.

Daran wird auch Lecanemab wohl nichts ändern können, das räumen die Studienmac­her selbst ein. Entwickelt haben den Antikörper das US-Unternehme­n Biogen und das japanische Pharmaunte­rnehmen Eisai. Lecanemab greift in den Mechanismu­s der Erkrankung ein, indem im Gehirn der Patienten das Eiweiß Amyloid-Beta (Abeta) abfangen wird, das sich dort ablagert.

Aber auch wenn das neue Mittel Alzheimer nicht wird heilen können, setzt die Fachwelt bisher überwiegen­d große Hoffnungen hinein. Ein probates Mittel würde tatsächlic­h dringend gebraucht, denn durch die zunehmende Überalteru­ng der Gesellscha­ft ist in Zukunft von steigenden Zahlen Demenzkran­ker auszugehen.

Der Neurologe Martin Korte von der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig dämpft allerdings die allgemeine Euphorie: „Ja, es gibt Hoffnung. Aber es ist kein Meilenstei­n und auch kein Durchbruch“, sagt er. Und dies aus mehreren Gründen. Zum einen sei nicht einschätzb­ar, inwieweit die Verlangsam­ung des

Krankheits­verlaufes durch Lecanemab tatsächlic­h im klinischen Bereich eine Rolle spiele, also den Patienten nütze. „Außerdem richtet sich der Antikörper nur an eine von drei möglichen Ursachen der Erkrankung“, betont er.

Lecanemab greift die AmyloidBet­a-Plaques an. „Es gibt aber auch noch fibrilläre Bündel und entzündlic­he Prozesse im Gehirn, die bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielen“, erklärt er. Korte befürchtet in den kommenden Jahren eine steigende Zahl an Demenzerkr­ankungen

auch als Spätfolge der Pandemie. Der Neurologe sieht Zusammenhä­nge zwischen Long Covid und den entzündlic­hen Abbauproze­ssen im Gehirn, die auch bei Demenz-Erkrankung­en eine Rolle spielen.

Vor allem aber lassen die aufgetrete­nen Nebenwirku­ngen den Neurologen an einem möglichen Durchbruch zweifeln. Die Studienmac­her berichten von Schwellung­en und Mikroblutu­ngen im Gehirn bei einem nicht unerheblic­hen Teil der Probanden (rund 13 Prozent). Das Fachmagazi­n Science hat erst kürzlich vom Tod einer Frau unter der Therapie mit Lecanemab berichtet. Die Verstorben­e hatte regelmäßig Blutverdün­ner eingenomme­n.

Aus diesen Gründen räumen die Autoren selbst ein, dass für eine Zulassung dringend weitere Studien nötig seien, um Nutzen und mögliche Risiken des Antikörper­s näher zu prüfen. Außerdem müsse geklärt werden, welche Patienten für die Behandlung infrage kommen und wie engmaschig­e Kontrollen aussehen könnten. Ungeachtet dieser Risiken wird Lecanemab in den USA bereits in einem beschleuni­gten Zulassungs­verfahren geprüft. In Japan und Europa ist nach aktuellem Stand ein Antrag auf Marktzulas­sung bis Ende März 2023 geplant.

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