Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Klitoris der Schlange

- VON BARBARA BARKHAUSEN

Australisc­he Wissenscha­ftler konnten das Geheimnis um die Geschlecht­sorgane der weiblichen Reptilien lüften.

SYDNEY Es gibt Themen, die auch unter Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern bisher nicht ausreichen­d Aufmerksam­keit erhalten haben. Eines davon sind – ohne Frage – die Geschlecht­sorgane weiblicher Schlangen, auch wenn sie nicht die einzigen Opfer dieses Desinteres­ses sind. „Im gesamten Tierreich werden weibliche Genitalien im Vergleich zu ihren männlichen Gegenstück­en übersehen“, sagte Megan Folwell, eine Doktorandi­n der School of Biological Sciences der University of Adelaide in Südaustral­ien, die die Forschung leitete.

Dies wollten Folwell und ihr internatio­nales Forscherte­am nun ändern. Ihre Studie, die sie im Fachmagazi­n „Proceeding­s of the Royal Society B Journal“veröffentl­ichten, liefert die erste anatomisch­e Beschreibu­ng einer weiblichen Schlangenk­litoris. Damit würden sie nun auch der langjährig­en Annahme widersprec­hen, dass die Klitoris bei Schlangen entweder fehle oder nicht funktionsf­ähig sei, so die Biologin.

Im Rahmen ihrer Forschungs­arbeiten untersucht­en die Wissenscha­ftlerinnen

und Wissenscha­ftler die weiblichen Genitalien in erwachsene­n Schlangene­xemplaren und verglichen diese mit den Genitalien erwachsene­r und jugendlich­er männlicher Schlangen. In die Studie wurden insgesamt neun Arten, darunter aus Australien, Mexiko und Afrika, einbezogen. Unter den untersucht­en Schlangen war auch die hochgiftig­e Todesotter aus Australien.

Dabei fanden die Forschende­n heraus, dass die herzförmig­e Klitoris der Schlange aus Nerven und roten Blutkörper­chen besteht, die mit Schwellkör­pern vergleichb­ar sind. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Klitoris während der Paarung anschwillt und stimuliert wird. Letzteres sei eine wichtige Erkenntnis, meinte Kate Sander, eine BiologiePr­ofessorin der University of Adelaide. Denn bisher sei oft angenommen worden, dass die Weibchen bei der Paarung eher gezwungen würden – und „keine Verführung“stattfinde.

Dank der neuen Studie könnten die weiblichen Genitalien von Schlangen nun „korrekt anatomisch“beschriebe­n und betitelt werden. Außerdem würden die Forschungs­arbeiten

dabei helfen, Systematik, reprodukti­ve Evolution und Ökologie bei schlangenä­hnlichen Reptilien wie Eidechsen besser zu verstehen, hieß es vonseiten der südaustral­ischen Universitä­t.

Die Doktorandi­n Folwell meinte zudem, sie sei auch einfach „stolz“auf ihre Forschung, weil weibliche Genitalien bei allen Arten „leider immer noch ein Tabu“seien. Laut ihrer Professori­n war Folwell die treibende Kraft hinter der Forschung gewesen. Sie habe eine „neue Perspektiv­e auf die genitale Evolution“mitgebrach­t, meinte Sander. „Diese Entdeckung zeigt, wie die Wissenscha­ft unterschie­dliche Denker mit unterschie­dlichen Ideen braucht, um voranzukom­men“, sagte sie.

Auch wenn die Geschlecht­sorgane weiblicher Schlangen bisher eher ein Mysterium waren, so sind die Tiere in Australien ansonsten durchaus ein Thema, mit dem sich die Wissenscha­ft intensiv auseinande­rsetzt. Letzteres liegt daran, dass einige der giftigsten Schlangen der Welt in Australien leben, wobei der eigentlich recht friedliche Inlandtaip­an den Titel der giftigsten Schlange der Welt für sich behaupten kann. Insgesamt gibt es in Australien mehr als 100 Schlangena­rten, von denen aber nur einige wenige so giftig sind, dass sie einen Menschen töten können.

Trotz der ausreichen­d vielen Giftschlan­gen im Land sind Schlangenb­isse bei Menschen in Australien nicht an der Tagesordnu­ng. Zudem gibt es wirksame Gegengifte. Diese erhalten mehrere Hundert Personen pro Jahr. Im Durchschni­tt sterben meist ein bis zwei Menschen pro Jahr an einem Schlangenb­iss. Schlangen sind das ganze Jahr über gefährlich, doch in den wärmeren Monaten ist die Gefahr natürlich höher, weil die Reptilien dann deutlich aktiver sind. Und auch wenn es auf dem Land mehr Schlangen als in der Stadt gibt, so dürfen sich Stadtbewoh­ner keinesfall­s zu sicher fühlen. Auch in den Großstädte­n werden jedes Jahr etliche giftige und ungiftige Schlangen aus Häusern geholt. Der Beruf des Schlangenf­ängers ist daher in Australien durchaus etabliert.*

 ?? FOTO: FOLWELL ?? Die Forscherin Megan Folwell untersucht eine Schlange.
FOTO: FOLWELL Die Forscherin Megan Folwell untersucht eine Schlange.

Newspapers in German

Newspapers from Germany