Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Klitoris der Schlange
Australische Wissenschaftler konnten das Geheimnis um die Geschlechtsorgane der weiblichen Reptilien lüften.
SYDNEY Es gibt Themen, die auch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bisher nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhalten haben. Eines davon sind – ohne Frage – die Geschlechtsorgane weiblicher Schlangen, auch wenn sie nicht die einzigen Opfer dieses Desinteresses sind. „Im gesamten Tierreich werden weibliche Genitalien im Vergleich zu ihren männlichen Gegenstücken übersehen“, sagte Megan Folwell, eine Doktorandin der School of Biological Sciences der University of Adelaide in Südaustralien, die die Forschung leitete.
Dies wollten Folwell und ihr internationales Forscherteam nun ändern. Ihre Studie, die sie im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B Journal“veröffentlichten, liefert die erste anatomische Beschreibung einer weiblichen Schlangenklitoris. Damit würden sie nun auch der langjährigen Annahme widersprechen, dass die Klitoris bei Schlangen entweder fehle oder nicht funktionsfähig sei, so die Biologin.
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten untersuchten die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler die weiblichen Genitalien in erwachsenen Schlangenexemplaren und verglichen diese mit den Genitalien erwachsener und jugendlicher männlicher Schlangen. In die Studie wurden insgesamt neun Arten, darunter aus Australien, Mexiko und Afrika, einbezogen. Unter den untersuchten Schlangen war auch die hochgiftige Todesotter aus Australien.
Dabei fanden die Forschenden heraus, dass die herzförmige Klitoris der Schlange aus Nerven und roten Blutkörperchen besteht, die mit Schwellkörpern vergleichbar sind. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Klitoris während der Paarung anschwillt und stimuliert wird. Letzteres sei eine wichtige Erkenntnis, meinte Kate Sander, eine BiologieProfessorin der University of Adelaide. Denn bisher sei oft angenommen worden, dass die Weibchen bei der Paarung eher gezwungen würden – und „keine Verführung“stattfinde.
Dank der neuen Studie könnten die weiblichen Genitalien von Schlangen nun „korrekt anatomisch“beschrieben und betitelt werden. Außerdem würden die Forschungsarbeiten
dabei helfen, Systematik, reproduktive Evolution und Ökologie bei schlangenähnlichen Reptilien wie Eidechsen besser zu verstehen, hieß es vonseiten der südaustralischen Universität.
Die Doktorandin Folwell meinte zudem, sie sei auch einfach „stolz“auf ihre Forschung, weil weibliche Genitalien bei allen Arten „leider immer noch ein Tabu“seien. Laut ihrer Professorin war Folwell die treibende Kraft hinter der Forschung gewesen. Sie habe eine „neue Perspektive auf die genitale Evolution“mitgebracht, meinte Sander. „Diese Entdeckung zeigt, wie die Wissenschaft unterschiedliche Denker mit unterschiedlichen Ideen braucht, um voranzukommen“, sagte sie.
Auch wenn die Geschlechtsorgane weiblicher Schlangen bisher eher ein Mysterium waren, so sind die Tiere in Australien ansonsten durchaus ein Thema, mit dem sich die Wissenschaft intensiv auseinandersetzt. Letzteres liegt daran, dass einige der giftigsten Schlangen der Welt in Australien leben, wobei der eigentlich recht friedliche Inlandtaipan den Titel der giftigsten Schlange der Welt für sich behaupten kann. Insgesamt gibt es in Australien mehr als 100 Schlangenarten, von denen aber nur einige wenige so giftig sind, dass sie einen Menschen töten können.
Trotz der ausreichend vielen Giftschlangen im Land sind Schlangenbisse bei Menschen in Australien nicht an der Tagesordnung. Zudem gibt es wirksame Gegengifte. Diese erhalten mehrere Hundert Personen pro Jahr. Im Durchschnitt sterben meist ein bis zwei Menschen pro Jahr an einem Schlangenbiss. Schlangen sind das ganze Jahr über gefährlich, doch in den wärmeren Monaten ist die Gefahr natürlich höher, weil die Reptilien dann deutlich aktiver sind. Und auch wenn es auf dem Land mehr Schlangen als in der Stadt gibt, so dürfen sich Stadtbewohner keinesfalls zu sicher fühlen. Auch in den Großstädten werden jedes Jahr etliche giftige und ungiftige Schlangen aus Häusern geholt. Der Beruf des Schlangenfängers ist daher in Australien durchaus etabliert.*