Rheinische Post - Xanten and Moers
Scharlach-Welle erreicht NRW
Nach Corona und Influenza sorgen nun Streptokokken-Infektionen für viele Patienten in den Praxen. Erste Schulen schließen oder gehen in Distanzunterricht. Auch der Einzelhandel leidet unter Personalausfällen.
DÜSSELDORF Immer neue Infektionswellen suchen Nordrhein-Westfalen heim. Nach Corona-, RS- und Influenza-Viren sorgen nun auch vermehrt Streptokokken-Bakterien für Infektionen. „Die Wartezimmer sind voll, die Infektionszahlen mit Influenza, sonstigen Viren, aber auch Bakterien sind hoch. Wir stellen langsam steigende Zahlen an eitrigen Halsinfektionen fest“, sagte Oliver Funken, Chef des Hausärzte-Verbands Nordrhein, unserer Redaktion. Diese seien oft Zweitinfektionen nach Virusinfektionen und verbreiteten sich über die Familien. Die Zahl der Krankschreibungen sei insgesamt deutlich höher als sonst im Winter üblich. „Es handelt sich um eine enorme Infektionswelle, die auch jetzt bei den Verwandtschaftsbesuchen an den Feiertagen nochmals zunehmen könnte“, so Funken weiter. Manchmal folge die bakterielle Infektion direkt auf Corona.
Die Weltgesundheitsorganisation und die EU-Gesundheitsbehörde warnen bereits vor einer Häufung schwerer Scharlach-Fälle bei Kindern unter zehn Jahren. In Großbritannien und Frankreich sei die Zahl der schweren Erkrankungen um ein Vielfaches höher als vor der Pandemie, teilten die Behörden unlängst mit. Auch in den Niederlanden, Irland und Spanien gibt es viele Infektionen mit A-Streptokokken, diese können harmlose Halsentzündungen, aber auch Scharlach mit Komplikationen verursachen. Seit September sind laut der britischen Gesundheitsbehörde 19 Minderjährige an den Folgen der bakteriellen Infektion gestorben, die Regierung hat einen Mangel an Antibiotika für Kinder eingeräumt.
„Scharlach wird durch A-Streptokokken ausgelöst und ist gut mit Antibiotika behandelbar“, sagt Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein: „Auch wenn bei uns schon einzelne Antibiotika wie Penicillin V nicht mehr gut verfügbar sind, gibt es noch ausreichend
Alternativen.“Trotzdem führten diese Verordnungen zu Mehraufwand, denn die Apotheken nähmen bei einem Antibiotika-Austausch grundsätzlich Rücksprache mit dem Arzt. „Gerade im Notdienst ist das aber häufig schwierig“, so Preis. Mehr noch: „Einzelne Hersteller von Antibiotikasäften für Kinder haben für nächstes Jahr Lieferprobleme angekündigt.“
Die verschiedenen Infektionswellen sorgen in Schulen und Kitas für viele Ausfälle. In der vergangenen Woche schickten vier Schulen in NRW alle Klassen in den Distanzunterricht, 50 Schulen boten eine Mischung aus Präsenz-, Distanz- und Wechselunterricht an, wie aus einer Abfrage des Schulministeriums hervorgeht. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorwochen. Auch die Zahl der Corona-Fälle unter Schülern und Lehrkräften nimmt wieder zu. Landesweit waren zuletzt 3413 Lehrerinnen und Lehrer wegen der Pandemie nicht einsetzbar, in der Vorwoche waren es 3224. Das entspricht aktuell einem Anteil von 2,1 Prozent. Auch die Zahl der Schüler mit Corona oder in Quarantäne steigt wieder an auf zuletzt 15.928.
In den Kitas sieht es nicht besser aus. Viele Erzieherinnen melden sich krank. Schon bis Oktober mussten 7,2 Prozent der Kitas und anderer Einrichtungen im Rheinland wegen Personalmangel ihr Angebot einschränken, aktuellere Zahlen hat das Familienministerium
nicht. „Wir haben derzeit natürlich hohe krankheitsbedingte Ausfälle, weil wir gerade Winter haben, also einfach gerade eine hohe Last an unterschiedlichen Infektionen“, sagte jüngst die für Kitas zuständige Ministerin Josefine Paul (Grüne): „Wir haben das sehr genau im Blick, wie sich die Situation entwickelt.“
Die verschiedenen Infektionswellen treffen auch viele Unternehmen: Viele Mitarbeiter sind krank oder müssen wegen der Betreuung der kranken Kinder zu Hause bleiben. „Die grassierende Grippewelle zusätzlich zu Corona geht auch am Handel nicht spurlos vorüber. All dies führt zu weiteren Belastungen für Inhaber und Beschäftigte im Einzelhandel“, sagte Peter Achten, Chef des Handelsverbands NRW: „Nach zwei Jahren mit Lockdown und anderen Corona-Einschränkungen sind wir aber froh, wenigstens in dieser Hinsicht ein einigermaßen normales Weihnachtsgeschäft erleben zu dürfen.“Ladenschließungen wegen des Personalmangels habe man bislang vermeiden können.