Rheinische Post - Xanten and Moers
Selenskyj spricht Dankbarkeit aus
US-Präsident Biden hat den ukrainischen Präsidenten auf seiner ersten Auslandsreise seit dem Überfall Russlands willkommen geheißen. Im Weißen Haus wartete ein Geschenk, das sich Selenskyj lange gewünscht hatte.
WASHINGTON Das letzte Mal tauchte der ukrainische Staatschef via Videoschalte auf der Leinwand im Kongress auf. Das war im März dieses Jahres, wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf das Nachbarland. Selenskyj trug sein olivgrünes T-Shirt mit dem schwarzen Kreuz, um Solidarität mit den Verteidigern seiner Heimat zu demonstrieren. Seinerzeit appellierte er an den noch zögerlichen Joe Biden, „ein Führer der Welt“zu sein.
Dass er für seinen ersten Besuch außerhalb der Ukraine seit Kriegsbeginn kurz vor Weihnachten persönlich nach Washington reiste, ist nicht minder dramatisch. Zumal die Reise unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfand und bis zur letzten Minute geheim blieb. Bei seiner Ankunft auf der „Joint Base Andrews“vor den Toren Washingtons teilte er via Telegram mit, er sei gekommen, um „dem amerikanischen Volk, dem Präsidenten und dem Kongress für die dringend benötigte Unterstützung zu danken“.
Kurz vor 14 Uhr Ortszeit traf sein gepanzerter SUV am Weißen Haus ein. Väterlich legte der US-Präsident bei der Begrüßung im Rosengarten seine Hand auf die Schulter des Staatschefs der Ukraine, der wegen der Kälte sein T-Shirt gegen einen militärfarbenen Pullover eingetauscht hatte. Gekommen war auch die First Lady Jill, die Selenskyj mit ins Weiße Haus begleitete.
Drinnen knisterte bereits ein wohliges Feuer. Die beiden Präsidenten posierten noch einmal für Fotos und Fernsehbilder. Biden lobte seinen Gast und das ukrainische Volk, „die Welt inspiriert zu haben“und hielt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, „den Winter als Waffe zu benutzen“. Die USA seien entschlossen, „dem großartigen Volk der Ukraine“langfristig zu helfen.
Selenskyj nannte es „eine große Ehre“im Weißen Haus zu sein. „Ich möchte all meine Dankbarkeit, aus vollem Herzen, aus den Herzen aller Ukrainer übermitteln.“Der sichtbar erschöpfte Staatschef war noch am Dienstag auf Frontbesuch nahe der umkämpften „Festung Bachmut“im Osten der Ukraine. Dort hatte er gegenüber seinen Soldaten versprochen, die Ukraine werde den Kampf bis zur vollständigen Befreiung aller russisch besetzten Gebiete fortführen, „einschließlich unserer Krim“.
Das entspricht nicht ganz der in vertraulichen Gesprächen mit der US-Regierung diskutierten Linie der Amerikaner, die der Ukraine raten, sich auf die von Russland seit dem Überfall am 24. Februar besetzten Gebiete zu konzentrieren. In einem Interview mit dem „Economist“vom vergangenen Donnerstag sagte Selenskyj zu der von US-Außenminister Anthony Blinken kommunizierten Idee, dies sei „nicht das Endspiel“. Hohe Mitarbeiter des Weißen Hauses betonten, der Besuch des ukrainischen Präsidenten werde eine Demonstration der Einigkeit sein. Ein Signal an Wladimir Putin, dass die USA die Ukraine langfristig unterstützen werden. Bei dem Gespräch im Weißen Haus hätten die Präsidenten viel Zeit, „in der Tiefe die Strategie für den weiteren Weg auf dem Schlachtfeld zu diskutieren“.
Das Weiße Haus bestätigte, dass Biden seinem Gast verbindlich die
Lieferung einer hochmodernen Luftabwehr-Batterie vom Typ „Patriot“zusagen wird. Diese besteht aus acht mobilen Raketenwerfern, die je nach verwandter Munition jeweils zwischen vier und 16 Raketen abfeuern kann. Dank eines ausgefeilten Radarsystems lassen sich mit diesem Abwehrsystem angreifende Flugzeuge, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen bis zu 100 Kilometer entfernt zielsicher abfangen.
Militäranalysten sprechen von einem „Gamechanger“für die Ukraine, die mit dem erstmals während des Golfkriegs in Irak eingesetzten Systems ihre zivile Infrastruktur besser schützen kann. Diese steht seit Wochen unter Beschuss der russischen Angreifer. Die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an dem System soll voraussichtlich im bayrischen Grafenwöhr erfolgen.
Ein hoher Mitarbeiter des Weißen Hauses sagte gegenüber Reportern, die Lieferung der Patriots sei keine Kursänderung der USA. „Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus.“Daran werde auch der Selenskyj-Besuch nichts ändern. „Es geht darum, eine Botschaft an Putin und an die Welt zu senden, dass Amerika für die Ukraine da sein wird, solange es nötig ist.“Russland tue, was es tut, „und wir setzen fort, was wir tun. Und das bedeutet, dass wir uns nicht bei unserer Unterstützung für die Ukraine einschüchtern lassen.“
Die aus nicht näher identifizierten Beständen in Europa bereitgestellte Patriot-Batterie ist Teil eines knapp zwei Milliarden Dollar schweren Militärhilfe-Pakets für die Ukraine. Hinzu kommen im nächsten Jahr weitere 44,9 Milliarden US-Dollar (42,3 Milliarden Euro) Hilfen, die der Kongress in seinem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr noch diese Woche beschließen wollte.
Der ukrainische Präsident wollte nach dem Gespräch mit Biden vor die Presse treten und dann auf den Kapitolshügel fahren. Am Abend war dort eine Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses geplant, die vor Redaktionsschluss noch nicht gehalten war.