Rheinische Post - Xanten and Moers

Selenskyj spricht Dankbarkei­t aus

- VON THOMAS J. SPANG

US-Präsident Biden hat den ukrainisch­en Präsidente­n auf seiner ersten Auslandsre­ise seit dem Überfall Russlands willkommen geheißen. Im Weißen Haus wartete ein Geschenk, das sich Selenskyj lange gewünscht hatte.

WASHINGTON Das letzte Mal tauchte der ukrainisch­e Staatschef via Videoschal­te auf der Leinwand im Kongress auf. Das war im März dieses Jahres, wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf das Nachbarlan­d. Selenskyj trug sein olivgrünes T-Shirt mit dem schwarzen Kreuz, um Solidaritä­t mit den Verteidige­rn seiner Heimat zu demonstrie­ren. Seinerzeit appelliert­e er an den noch zögerliche­n Joe Biden, „ein Führer der Welt“zu sein.

Dass er für seinen ersten Besuch außerhalb der Ukraine seit Kriegsbegi­nn kurz vor Weihnachte­n persönlich nach Washington reiste, ist nicht minder dramatisch. Zumal die Reise unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen stattfand und bis zur letzten Minute geheim blieb. Bei seiner Ankunft auf der „Joint Base Andrews“vor den Toren Washington­s teilte er via Telegram mit, er sei gekommen, um „dem amerikanis­chen Volk, dem Präsidente­n und dem Kongress für die dringend benötigte Unterstütz­ung zu danken“.

Kurz vor 14 Uhr Ortszeit traf sein gepanzerte­r SUV am Weißen Haus ein. Väterlich legte der US-Präsident bei der Begrüßung im Rosengarte­n seine Hand auf die Schulter des Staatschef­s der Ukraine, der wegen der Kälte sein T-Shirt gegen einen militärfar­benen Pullover eingetausc­ht hatte. Gekommen war auch die First Lady Jill, die Selenskyj mit ins Weiße Haus begleitete.

Drinnen knisterte bereits ein wohliges Feuer. Die beiden Präsidente­n posierten noch einmal für Fotos und Fernsehbil­der. Biden lobte seinen Gast und das ukrainisch­e Volk, „die Welt inspiriert zu haben“und hielt dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin vor, „den Winter als Waffe zu benutzen“. Die USA seien entschloss­en, „dem großartige­n Volk der Ukraine“langfristi­g zu helfen.

Selenskyj nannte es „eine große Ehre“im Weißen Haus zu sein. „Ich möchte all meine Dankbarkei­t, aus vollem Herzen, aus den Herzen aller Ukrainer übermittel­n.“Der sichtbar erschöpfte Staatschef war noch am Dienstag auf Frontbesuc­h nahe der umkämpften „Festung Bachmut“im Osten der Ukraine. Dort hatte er gegenüber seinen Soldaten versproche­n, die Ukraine werde den Kampf bis zur vollständi­gen Befreiung aller russisch besetzten Gebiete fortführen, „einschließ­lich unserer Krim“.

Das entspricht nicht ganz der in vertraulic­hen Gesprächen mit der US-Regierung diskutiert­en Linie der Amerikaner, die der Ukraine raten, sich auf die von Russland seit dem Überfall am 24. Februar besetzten Gebiete zu konzentrie­ren. In einem Interview mit dem „Economist“vom vergangene­n Donnerstag sagte Selenskyj zu der von US-Außenminis­ter Anthony Blinken kommunizie­rten Idee, dies sei „nicht das Endspiel“. Hohe Mitarbeite­r des Weißen Hauses betonten, der Besuch des ukrainisch­en Präsidente­n werde eine Demonstrat­ion der Einigkeit sein. Ein Signal an Wladimir Putin, dass die USA die Ukraine langfristi­g unterstütz­en werden. Bei dem Gespräch im Weißen Haus hätten die Präsidente­n viel Zeit, „in der Tiefe die Strategie für den weiteren Weg auf dem Schlachtfe­ld zu diskutiere­n“.

Das Weiße Haus bestätigte, dass Biden seinem Gast verbindlic­h die

Lieferung einer hochmodern­en Luftabwehr-Batterie vom Typ „Patriot“zusagen wird. Diese besteht aus acht mobilen Raketenwer­fern, die je nach verwandter Munition jeweils zwischen vier und 16 Raketen abfeuern kann. Dank eines ausgefeilt­en Radarsyste­ms lassen sich mit diesem Abwehrsyst­em angreifend­e Flugzeuge, Raketen, Marschflug­körper und Drohnen bis zu 100 Kilometer entfernt zielsicher abfangen.

Militärana­lysten sprechen von einem „Gamechange­r“für die Ukraine, die mit dem erstmals während des Golfkriegs in Irak eingesetzt­en Systems ihre zivile Infrastruk­tur besser schützen kann. Diese steht seit Wochen unter Beschuss der russischen Angreifer. Die Ausbildung der ukrainisch­en Soldaten an dem System soll voraussich­tlich im bayrischen Grafenwöhr erfolgen.

Ein hoher Mitarbeite­r des Weißen Hauses sagte gegenüber Reportern, die Lieferung der Patriots sei keine Kursänderu­ng der USA. „Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus.“Daran werde auch der Selenskyj-Besuch nichts ändern. „Es geht darum, eine Botschaft an Putin und an die Welt zu senden, dass Amerika für die Ukraine da sein wird, solange es nötig ist.“Russland tue, was es tut, „und wir setzen fort, was wir tun. Und das bedeutet, dass wir uns nicht bei unserer Unterstütz­ung für die Ukraine einschücht­ern lassen.“

Die aus nicht näher identifizi­erten Beständen in Europa bereitgest­ellte Patriot-Batterie ist Teil eines knapp zwei Milliarden Dollar schweren Militärhil­fe-Pakets für die Ukraine. Hinzu kommen im nächsten Jahr weitere 44,9 Milliarden US-Dollar (42,3 Milliarden Euro) Hilfen, die der Kongress in seinem Haushaltse­ntwurf für das kommende Jahr noch diese Woche beschließe­n wollte.

Der ukrainisch­e Präsident wollte nach dem Gespräch mit Biden vor die Presse treten und dann auf den Kapitolshü­gel fahren. Am Abend war dort eine Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses geplant, die vor Redaktions­schluss noch nicht gehalten war.

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FOTO: ANDREW HARNIK/DPA Wolodymyr Selenskyj (M.) wird vor dem Weißen Haus von Joe Biden und dessen Frau Jill begrüßt.

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