Rheinische Post - Xanten and Moers
Streiks in England gehen weiter
Der Fokus der Gewerkschaften liegt jetzt auf dem Gesundheitssystem.
LONDON Autofahren? Nur wenn’s unbedingt nötig ist. Schlittschuh laufen? Um Himmels willen! Rugby spielen? Lieber nicht. Alkohol auf der Weihnachtsparty? „Trinken Sie verantwortungsvoll“, dröhnt es durch die Londoner U-Bahn, „und bitte stürzen Sie nicht auf der Rolltreppe.“
Am Mittwoch konnten sich die Briten kaum retten vor guten Ratschlägen von Medien und Regierungsstellen. Grund war ein eintägiger Streik von Ambulanzfahrern und Krankenhaus-Reinigungspersonal – es ist der größte Streik bei britischen Rettungsbediensteten seit 30 Jahren.
Lag im November der Schwerpunkt noch auf der Eisenbahn, richtet sich nun der Fokus auf das ohnehin marode Gesundheitssystem NHS. Wie schlimm es um die Erstversorgung bestellt ist, verdeutlichte die drastische Warnung einer
Leitstelle: „Rufen Sie nur dann die Notfallnummer, wenn Sie glauben, Sie müssten sterben.“
Wie in anderen Branchen auch kämpfen Krankenpersonal, Putzleute und Sanitäter für bessere Arbeitsbedingungen ebenso wie für höheren Lohn. In der Privatwirtschaft gab es zuletzt Abschlüsse von durchschnittlich 6,6 Prozent, der öffentliche Dienst bleibt weit dahinter zurück. Die konservative Regierung von Premier Rishi Sunak hat im NHS 4,75 Prozent mehr Lohn und Gehalt angeboten. Die Inflation lag zuletzt nach Angaben der Zentralbank bei 10,7 Prozent.
Während im Ambulanz-Streit von Arbeitnehmerseite noch keine konkrete Zahl auf dem Tisch liegt, hat die Pflege-Gewerkschaft RCN nach jahrelangen Nullrunden Inflationsausgleich plus fünf Prozent mehr gefordert. Dies hat Gesundheitsminister Stephen Barclay brüsk abgelehnt und verweigert jedes weitere Gespräch.
Für viele der rund 300.000 Mitglieder im Berufsverband der Pflegekräfte (RCN) ist dies der erste Arbeitskampf ihres Berufslebens – Zeichen der Verzweiflung über die Zustände im NHS. Drastisch sieht die Statistik für Wartezeiten auf einen Rettungswagen aus. Im Durchschnitt muss sich 60 Minuten lang gedulden, wer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hat.