Rheinische Post - Xanten and Moers

Dreimal so viel Wohngeldan­träge erwartet

Für Kommunen wird die Reform der Sozialleis­tung zu einer teuren organisato­rischen Herausford­erung.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Kurz vor dem Start des neuen Wohngelds am 1. Januar haben Vertreter der kommunalen Spitzenver­bände und die Landesregi­erung erklärt, dass es zu zeitlichen Verzögerun­gen bei der Auszahlung kommen werde. Beim Wohngeld handelt es sich um einen von Bund und Land je zur Hälfte getragenen Zuschuss zu den Wohnkosten. 2021 haben rund 158.000 Haushalte in NRW die Sozialleis­tung erhalten.

Durch die Reform unter dem Namen „Wohngeld plus“wird sich die Zahl der Bezieher nach Schätzunge­n des Bundes mehr als verdreifac­hen. Von Wohngeld profitiere­n Haushalte, deren Einkommen knapp über der Grundsiche­rung liegt – dazu zählen vor allem Familien und Alleinerzi­ehende sowie Senioren.

Am Mittwoch wurden einmal mehr die Differenze­n zwischen dem Bundesgese­tzgeber und den Praktikern vor Ort deutlich. NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) knöpfte sich die Ampel vor, die erst in der vergangene­n Woche erklärt hatte, man könne Anträge formlos auch per E-Mail oder gar am Telefon stellen. „Diese Empfehlung der Bundesregi­erung ist unseriös“, schimpfte die Ministerin.

Ein Online-Antrag über den Wohngeldre­chner oder ein schriftlic­her Antrag in der Wohngeldst­elle sei in Nordrhein-Westfalen immer nötig. Die Behörden richten sich bereits auf den Unmut der potenziell­en Wohngeldbe­zieher ein. „Wenn es vor Ort nicht so schnell gehen wird – mit hoher Wahrschein­lichkeit –, lassen Sie den Frust bitte nicht an den Sachbearbe­itern aus“, verlangte die CDU-Politikeri­n. „Die können da am wenigsten für.“Scharrenba­ch zufolge werden nur zehn Prozent der Anträge digital gestellt.

Online könnten Bürgerinne­n und Bürger seit dem 15. Dezember prüfen, ob sie anspruchsb­erechtigt seien, erklärte die Ministerin und verwies auf die Website www.wohngeldre­chner.nrw.de. Sie gehe davon aus, dass viele Bürger die Zeit zwischen den Feiertagen nutzen würden, um ihre Ansprüche zu prüfen.

Eckard Ruthemeyer, Bürgermeis­ter der Stadt Soest und Präsident des Städte- und Gemeindebu­nds NRW, sagte, die Erwartungs­haltung, dass ab Januar Geld auf dem Konto landen könne, sei nicht seriös. Um dann dennoch handlungsf­ähig zu sein, haben Land und Kommunen eine schmale Software für vorläufige sogenannte Kurzbesche­ide entwickelt. Mit Abschlagsz­ahlungen können die Kommunen dann zunächst auszahlen – allerdings müssen sich die Empfänger darauf einstellen, dass ab April, wenn die eigentlich­e Software vom Statistisc­hen Landesamt (IT NRW ) zur Verfügung gestellt werde, dann auch noch einmal eine Prüfung erfolge. Zudem, so Ruthemeyer, sei auch mit dem Abschlag frühestens im Februar zu rechnen.

Scharrenba­ch sagte, dass IT NRW zwar bereits seit September an der neuen Software arbeite, verwies jedoch darauf, dass die Bundesrats­entscheidu­ng erst Ende November gefallen sei. Bielefelds Oberbürger­meister Pit Clausen (SPD) erklärte, viele Städte würden sich nun erst einmal mit der alten Software behelfen. Die fußt allerdings noch auf der alten Rechtslage. Sprich: Die neuen Anspruchsb­erechtigte­n würdenhier gar nicht als empfangsbe­rechtigt erfasst und damit einen negativen Bescheid bekommen. Dieser würde aber automatisc­h im April mit der dann neuen Software bearbeitet und dann erhielten die Menschen automatisc­h die Zahlung. Ein erneuter Antrag sei dafür nicht nötig, so Clausen.

Für die Kommunen wird das personalin­tensive Verfahren teuer werden. Denn auf den Kosten für zusätzlich­es Personal werden sie sitzen bleiben. Clausen erklärte, in Bielefeld habe die Zahl der Mitarbeite­r von 15 auf 30 verdoppelt werden müssen. Das wären Zusatzkost­en von rund 750.000 Euro im Jahr. Clausen bemängelte, dass der Bereich der Transferle­istungen inzwischen so komplizier­t sei, dass er selbst für Fachleute unübersich­tlich sei: „Wir beschäftig­en damit Bürokratie ohne Ende, ohne aber große Steuerungs­gewinne zu erzielen.“Der Oberbürger­meister äußerte den Wunsch, dass es aufgrund der Erfahrunge­n beim Wohngeld zu einer Bereinigun­g kommen könnte.

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FOTO: BRETZ Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch.

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