Rheinische Post - Xanten and Moers
Dreimal so viel Wohngeldanträge erwartet
Für Kommunen wird die Reform der Sozialleistung zu einer teuren organisatorischen Herausforderung.
DÜSSELDORF Kurz vor dem Start des neuen Wohngelds am 1. Januar haben Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und die Landesregierung erklärt, dass es zu zeitlichen Verzögerungen bei der Auszahlung kommen werde. Beim Wohngeld handelt es sich um einen von Bund und Land je zur Hälfte getragenen Zuschuss zu den Wohnkosten. 2021 haben rund 158.000 Haushalte in NRW die Sozialleistung erhalten.
Durch die Reform unter dem Namen „Wohngeld plus“wird sich die Zahl der Bezieher nach Schätzungen des Bundes mehr als verdreifachen. Von Wohngeld profitieren Haushalte, deren Einkommen knapp über der Grundsicherung liegt – dazu zählen vor allem Familien und Alleinerziehende sowie Senioren.
Am Mittwoch wurden einmal mehr die Differenzen zwischen dem Bundesgesetzgeber und den Praktikern vor Ort deutlich. NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) knöpfte sich die Ampel vor, die erst in der vergangenen Woche erklärt hatte, man könne Anträge formlos auch per E-Mail oder gar am Telefon stellen. „Diese Empfehlung der Bundesregierung ist unseriös“, schimpfte die Ministerin.
Ein Online-Antrag über den Wohngeldrechner oder ein schriftlicher Antrag in der Wohngeldstelle sei in Nordrhein-Westfalen immer nötig. Die Behörden richten sich bereits auf den Unmut der potenziellen Wohngeldbezieher ein. „Wenn es vor Ort nicht so schnell gehen wird – mit hoher Wahrscheinlichkeit –, lassen Sie den Frust bitte nicht an den Sachbearbeitern aus“, verlangte die CDU-Politikerin. „Die können da am wenigsten für.“Scharrenbach zufolge werden nur zehn Prozent der Anträge digital gestellt.
Online könnten Bürgerinnen und Bürger seit dem 15. Dezember prüfen, ob sie anspruchsberechtigt seien, erklärte die Ministerin und verwies auf die Website www.wohngeldrechner.nrw.de. Sie gehe davon aus, dass viele Bürger die Zeit zwischen den Feiertagen nutzen würden, um ihre Ansprüche zu prüfen.
Eckard Ruthemeyer, Bürgermeister der Stadt Soest und Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, sagte, die Erwartungshaltung, dass ab Januar Geld auf dem Konto landen könne, sei nicht seriös. Um dann dennoch handlungsfähig zu sein, haben Land und Kommunen eine schmale Software für vorläufige sogenannte Kurzbescheide entwickelt. Mit Abschlagszahlungen können die Kommunen dann zunächst auszahlen – allerdings müssen sich die Empfänger darauf einstellen, dass ab April, wenn die eigentliche Software vom Statistischen Landesamt (IT NRW ) zur Verfügung gestellt werde, dann auch noch einmal eine Prüfung erfolge. Zudem, so Ruthemeyer, sei auch mit dem Abschlag frühestens im Februar zu rechnen.
Scharrenbach sagte, dass IT NRW zwar bereits seit September an der neuen Software arbeite, verwies jedoch darauf, dass die Bundesratsentscheidung erst Ende November gefallen sei. Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) erklärte, viele Städte würden sich nun erst einmal mit der alten Software behelfen. Die fußt allerdings noch auf der alten Rechtslage. Sprich: Die neuen Anspruchsberechtigten würdenhier gar nicht als empfangsberechtigt erfasst und damit einen negativen Bescheid bekommen. Dieser würde aber automatisch im April mit der dann neuen Software bearbeitet und dann erhielten die Menschen automatisch die Zahlung. Ein erneuter Antrag sei dafür nicht nötig, so Clausen.
Für die Kommunen wird das personalintensive Verfahren teuer werden. Denn auf den Kosten für zusätzliches Personal werden sie sitzen bleiben. Clausen erklärte, in Bielefeld habe die Zahl der Mitarbeiter von 15 auf 30 verdoppelt werden müssen. Das wären Zusatzkosten von rund 750.000 Euro im Jahr. Clausen bemängelte, dass der Bereich der Transferleistungen inzwischen so kompliziert sei, dass er selbst für Fachleute unübersichtlich sei: „Wir beschäftigen damit Bürokratie ohne Ende, ohne aber große Steuerungsgewinne zu erzielen.“Der Oberbürgermeister äußerte den Wunsch, dass es aufgrund der Erfahrungen beim Wohngeld zu einer Bereinigung kommen könnte.