Rheinische Post - Xanten and Moers
Abenteuer Krippenspiel
Schafe blöken mitten in der Predigt, Kühe nehmen Reißaus, Kamele halten sich nicht an die Regieanweisungen: Lebende Tiere erweisen sich bei Aufführungen in US-Kirchengemeinden als unkalkulierbare Attraktion.
WASHINGTON (kna) Immer im Dezember ist Doug Baum gefragt. Der Mann arbeitet mit Tieren, ist aber weder Landwirt noch Zirkusdirektor. Wenn Weihnachten vor der Tür steht, reist er mit seinem Viehtransporter durch ganz Texas zu seinen zahlreichen Kunden – Kirchengemeinden im ganzen Bundesstaat im Süden der USA. Krippenspiele mit lebenden Tieren sind die Attraktion im Advent, sowohl in den Gotteshäusern als auch außerhalb bei mobilen Inszenierungen. Baum hat das passende Ensemble im Angebot: Esel, Ochsen, Schafe, Hühner und sogar Kamele. Als Inhaber von Texas Camel Corps stellt er die tierischen Nebendarsteller für die Krippenspiele zur Verfügung.
Aufführungen mit Tieren sind unter US-amerikanischen Christen besonders beliebt. Sie vermitteln mit ihren Gerüchen und Geräuschen einen lebendigen Eindruck davon, wie sich die Geburt von Jesus Christus vor mehr als 2000 Jahren abgespielt haben könnte. Die Tradition des Krippenspiels reicht nach Angaben von Experten zurück bis in das Jahr 1223. Franz von Assisi soll bereits damals in der italienischen Stadt Greccio Tiere um eine Krippe versammelt haben. Innerhalb eines Jahrhunderts setzte sich der Brauch in vielen italienischen Kirchen durch.
So faszinierend das Erlebnis mit Esel, Ochse und Schaf sein mag, so unberechenbar sind die vierbeinigen Statisten nicht selten. In Carolina Beach im Bundesstaat North Carolina nahmen kürzlich zwei Kälber nach der Premiere am zweiten Adventssonntag Reißaus. Sie entkamen auf bisher ungeklärte Weise in einen nahe gelegenen Nationalpark. An der Aufführung in der Seaside Chapel hatten sie offenbar keinen Spaß. Aus Sicht der Organisation „People for the Ethical Treatment of Animals“, die sich gegen eine Beteiligung lebender Tiere an Krippenspielen einsetzt, ist das nur allzu verständlich. In der christlichen Lehre gehe es um Freundlichkeit, argumentierten die Aktivisten in einem Brief an den zuständigen Ortspfarrer. Dennoch würden die Tiere ohne
Mitgefühl behandelt. Der Transport und die fremde Umgebung seien für sie „purer Stress“. Die Gemeinde nahm die Beschwerde ernst und will künftig ohne tierische Darsteller auskommen.
Inszenierungen mit Tieren haben ihre Tücken. Im Jahr 2010 ging das Video eines Kamels aus Florida viral. Das Tier reagierte bei einem kirchlichen Weihnachtskonzert widerspenstig und stürzte plötzlich ins Publikum. Verletzt wurde niemand. Ebenfalls glimpflich verlief ein Zwischenfall mit einem Jungen in der Damascus Road Community Church von Mount Airy in Maryland. Er wollte den Esel nicht bloß bestaunen, sondern eine Runde auf ihm reiten. Der Versuch endete mit einem Abwurf.
Womit man außerdem rechnen muss, wenn Vierbeiner am Gottesdienst
Doug Baum Tiertrainer
teilnehmen, erlebte ein Pfarrer in der Kenosha Bible Church in Wisconsin. Noch während er seine Begrüßungsworte sprach, begannen die Schafe laut zu blöken. „Ja, danke“, konterte der Geistliche: „Ich fasse das als ein Amen auf.“
Brav und harmlos kommen Krippentiere auch in US-Filmen der vergangenen Jahre daher, in denen die Geburt Jesu nacherzählt wird. In „The Star“von 2017, einer computeranimierten und biblisch inspirierten Komödie, die gemischte Kritiken
erhielt, spielen sie humorvolle Komparsen. Auch in „Script Notes on the Birth of Jesus“des ScienceFiction-Autors John Scalzi von 2014 übernehmen sie wohlwollend ihre Nebenrollen.
Was im Film in mehreren Anläufen gedreht und zurechtgeschnitten wird, erlebt Doug Baum mit seinen Tieren live und vollkommen „uncut“. Seine Kamele haben in dieser Weihnachtszeit 36 Auftritte an 28 Tagen. Dabei seien sie keineswegs stur, sondern „langweilig sanftmütig“und liebten es, unter Menschen zu sein. Auf seine Tiere könne er sich verlassen – Sorge bereiten Doug Baum eher die Menschen. Die wüssten heutzutage einfach nicht mehr, wie sie sich in Gegenwart von Tieren verhalten sollten. Die meiste Zeit verbringe er bei den Aufführungen deshalb in Habachtstellung, um unvorsichtige Annäherungen durch Zuschauer zu unterbinden. „Die Kamele sind meine geringste Sorge“, betont der Tiertrainer.
„Menschen wissen nicht mehr, wie sie sich in Gegenwart von Tieren verhalten sollten“