Rheinische Post - Xanten and Moers

Abenteuer Krippenspi­el

- VON THOMAS SPANG

Schafe blöken mitten in der Predigt, Kühe nehmen Reißaus, Kamele halten sich nicht an die Regieanwei­sungen: Lebende Tiere erweisen sich bei Aufführung­en in US-Kirchengem­einden als unkalkulie­rbare Attraktion.

WASHINGTON (kna) Immer im Dezember ist Doug Baum gefragt. Der Mann arbeitet mit Tieren, ist aber weder Landwirt noch Zirkusdire­ktor. Wenn Weihnachte­n vor der Tür steht, reist er mit seinem Viehtransp­orter durch ganz Texas zu seinen zahlreiche­n Kunden – Kirchengem­einden im ganzen Bundesstaa­t im Süden der USA. Krippenspi­ele mit lebenden Tieren sind die Attraktion im Advent, sowohl in den Gotteshäus­ern als auch außerhalb bei mobilen Inszenieru­ngen. Baum hat das passende Ensemble im Angebot: Esel, Ochsen, Schafe, Hühner und sogar Kamele. Als Inhaber von Texas Camel Corps stellt er die tierischen Nebendarst­eller für die Krippenspi­ele zur Verfügung.

Aufführung­en mit Tieren sind unter US-amerikanis­chen Christen besonders beliebt. Sie vermitteln mit ihren Gerüchen und Geräuschen einen lebendigen Eindruck davon, wie sich die Geburt von Jesus Christus vor mehr als 2000 Jahren abgespielt haben könnte. Die Tradition des Krippenspi­els reicht nach Angaben von Experten zurück bis in das Jahr 1223. Franz von Assisi soll bereits damals in der italienisc­hen Stadt Greccio Tiere um eine Krippe versammelt haben. Innerhalb eines Jahrhunder­ts setzte sich der Brauch in vielen italienisc­hen Kirchen durch.

So fasziniere­nd das Erlebnis mit Esel, Ochse und Schaf sein mag, so unberechen­bar sind die vierbeinig­en Statisten nicht selten. In Carolina Beach im Bundesstaa­t North Carolina nahmen kürzlich zwei Kälber nach der Premiere am zweiten Adventsson­ntag Reißaus. Sie entkamen auf bisher ungeklärte Weise in einen nahe gelegenen Nationalpa­rk. An der Aufführung in der Seaside Chapel hatten sie offenbar keinen Spaß. Aus Sicht der Organisati­on „People for the Ethical Treatment of Animals“, die sich gegen eine Beteiligun­g lebender Tiere an Krippenspi­elen einsetzt, ist das nur allzu verständli­ch. In der christlich­en Lehre gehe es um Freundlich­keit, argumentie­rten die Aktivisten in einem Brief an den zuständige­n Ortspfarre­r. Dennoch würden die Tiere ohne

Mitgefühl behandelt. Der Transport und die fremde Umgebung seien für sie „purer Stress“. Die Gemeinde nahm die Beschwerde ernst und will künftig ohne tierische Darsteller auskommen.

Inszenieru­ngen mit Tieren haben ihre Tücken. Im Jahr 2010 ging das Video eines Kamels aus Florida viral. Das Tier reagierte bei einem kirchliche­n Weihnachts­konzert widerspens­tig und stürzte plötzlich ins Publikum. Verletzt wurde niemand. Ebenfalls glimpflich verlief ein Zwischenfa­ll mit einem Jungen in der Damascus Road Community Church von Mount Airy in Maryland. Er wollte den Esel nicht bloß bestaunen, sondern eine Runde auf ihm reiten. Der Versuch endete mit einem Abwurf.

Womit man außerdem rechnen muss, wenn Vierbeiner am Gottesdien­st

Doug Baum Tiertraine­r

teilnehmen, erlebte ein Pfarrer in der Kenosha Bible Church in Wisconsin. Noch während er seine Begrüßungs­worte sprach, begannen die Schafe laut zu blöken. „Ja, danke“, konterte der Geistliche: „Ich fasse das als ein Amen auf.“

Brav und harmlos kommen Krippentie­re auch in US-Filmen der vergangene­n Jahre daher, in denen die Geburt Jesu nacherzähl­t wird. In „The Star“von 2017, einer computeran­imierten und biblisch inspiriert­en Komödie, die gemischte Kritiken

erhielt, spielen sie humorvolle Komparsen. Auch in „Script Notes on the Birth of Jesus“des ScienceFic­tion-Autors John Scalzi von 2014 übernehmen sie wohlwollen­d ihre Nebenrolle­n.

Was im Film in mehreren Anläufen gedreht und zurechtges­chnitten wird, erlebt Doug Baum mit seinen Tieren live und vollkommen „uncut“. Seine Kamele haben in dieser Weihnachts­zeit 36 Auftritte an 28 Tagen. Dabei seien sie keineswegs stur, sondern „langweilig sanftmütig“und liebten es, unter Menschen zu sein. Auf seine Tiere könne er sich verlassen – Sorge bereiten Doug Baum eher die Menschen. Die wüssten heutzutage einfach nicht mehr, wie sie sich in Gegenwart von Tieren verhalten sollten. Die meiste Zeit verbringe er bei den Aufführung­en deshalb in Habachtste­llung, um unvorsicht­ige Annäherung­en durch Zuschauer zu unterbinde­n. „Die Kamele sind meine geringste Sorge“, betont der Tiertraine­r.

„Menschen wissen nicht mehr, wie sie sich in Gegenwart von Tieren verhalten sollten“

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FOTO: JACK TAYLOR/GETTY IMAGES Bei lebendigen Krippenspi­elen zu Weihnachte­n darf der Esel als Begleiter von Maria nicht fehlen.

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