Rheinische Post - Xanten and Moers

Götter und andere Zwerge

- VON WOLFRAM GOERTZ

In einem Podcast debattiert die frühere Bundeskanz­lerin über Habgier, Rache und Eitelkeit in Wagners „Ring des Nibelungen“.

BERLIN Jahr um Jahr sah man sie heranbraus­en, sie schälte sich aus der Limousine, von Blaulicht umflackert, die Sonne lachte und biss, vergnügt winkte sie den Zaungästen zu – und dann begab sie sich in musikalisc­he Klausur. Jahr um Jahr war sie Gast der Bayreuther Festspiele, kein Kanzler zuvor hatte jemals eine solch beharrlich­e Liebe zu einer geistigen Vergnügung bewiesen, die mit Strapazen verbunden war. Angela Merkel und Richard Wagner, die Regierungs­chefin und die Bayreuther Festspiele – das war 16 Jahre lang eine fast institutio­nelle Einrichtun­g.

Was hat sie dort gelernt, was hat sie behalten, warum war ihr Bayreuth wichtig? All diese Fragen klingen an in einem Podcast des SWR, der regelmäßig unter dem Motto „Sprechen wir über Mord!“gesendet wird und sich nun mit Richard Wagners „Ring des Nibelungen“beschäftig­t. Die Ex-Kanzlerin stellt sich darin den Fragen des Moderators Holger Schmidt, der dritte Diskussion­spartner

ist der ehemalige Bundesrich­ter Thomas Fischer.

Drei Themenbere­iche sind zur Abhandlung vorgesehen: Habgier, Rache, Eitelkeit. Was anderenort­s unter die Todsünden fällt, ist immer auch ein „anthropolo­gisches Grundmotiv“(Fischer). Wagners

Hauptwerk ist jedenfalls voll davon, und ein bisschen ist es schon schade, dass das Debattiert­rio kein einziges Mal erwähnt, dass es seit 1968 ein geistreich­es Buch dazu gibt: Ernst von Piddes „Richard Wagners ,Ring des Nibelungen‘ im Lichte des deutschen Strafrecht­es“.

Gleichwohl ist der SWR-Dreiteiler lehrreich, denn Merkel ist bei Wagner sattelfest unterwegs. Anders als jener wonnige Wagneriane­r, der von edlen Motiven und schmettern­den Hörnern schier besoffen ist, blickt sie dem Werk tatsächlic­h auf den Grund. Politische Machtspiel­chen kennt sie ja selbst gut genug, aber sie überblickt auch die schrecklic­hen Verstricku­ngen, die sich von „Rheingold“bis zur „Götterdämm­erung“ziehen. Wer Merkel nicht mag, kann sagen: In 16 Jahren Bayreuth muss sie ja etwas behalten haben. Wer sie schätzt, darf das Fazit ziehen: Solch kompetente­n Umgang von Politikern mit künstleris­chen Inhalten wünscht man sich häufiger. Die Meisterwer­ke für das Musiktheat­er von Mozart, Verdi und Puccini dürfte sie allerdings weniger präsent haben.

Tatsächlic­h verblüfft die frühere CDU-Politikeri­n immer wieder, weil sie Details und genauen Text nennt. Ihre Analyse des ersten Mords in „Rheingold“(Riese Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt) klingt so präzise, als strebe sie eine Stelle als Chefdramat­urgin in einem Opernhaus an. Ohne Fehl und Tadel auch ihr Statement über die blonde Bestie Siegfried: „Der ist kein selbstrefl­ektierende­r Charakter, und zum strahlende­n Helden reicht es bei ihm auch nicht.“Plumpe Anfragen des Moderators („Hatten Sie als Politikeri­n schon mal Rachegedan­ken?“) lässt sie abperlen. Spannend wird es, wenn Merkel mit dem stets etwas unfroh wirkenden Thomas Fischer über den Aspekt des Affektes bei der Rache („Wann gibt es mildernde Umstände?“) spricht und gleich die Belegstell­e im „Ring“anführt: Brünnhilde wird genau ein einziges Mal von Rachegefüh­len überwältig­t und gibt Siegfried in genau diesem Moment dem Mord durch Hagen preis.

Manches Mal zieht sich Angela Merkel gewiss auf Politikers­prech zurück, dann sind Aspekte „interessan­t“oder „spannend“– Leervokabe­ln, heiße Luft. Doch einmal produziert sie ein Bonmot mit (ungewollte­m?) Hintersinn, als sie das „Rheingold-Personal“benennt: „Götter und andere Zwerge“.

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FOTO: OLIVER REUTHER/SWR Angela Merkel mit ihren Kollegen vom SWR-Podcast, Thomas Fischer (l.) und Holger Schmidt.

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