Rheinische Post - Xanten and Moers

Das D in DFB muss für Demut stehen

- VON ROBERT PETERS

Wenn der deutsche Profifußba­ll und allen voran der Verband nach diesem Jahr nicht zur Besinnung kommen, ist ihnen nicht mehr zu helfen. Bescheiden­heit und Selbstrefl­exion tun not – am Ende auch auf der Seite der Anhänger.

Weihnachte­n ist nicht nur gut für den Einzelhand­el. Es soll auch ein Fest der Besinnlich­keit sein. Eine Möglichkei­t, bei leiser Musik und Kerzensche­in unter dem Weihnachts­baum zur Ruhe zu kommen, über das Jahr nachzudenk­en, selbst wenn das nicht sonderlich originell klingt. Der Kalender drängt das Fest in diesem Jahr auf ein längeres Wochenende, das wird eine sehr kompakte Besinnlich­keit.

Auch für Fußballpro­fis und Fußballfan­s. Schließlic­h können und sollen die ebenfalls für ein paar Tage zur Besinnung kommen, was ohnehin nie eine ganz schlechte Idee ist.

Der deutsche Fußball hat soeben in Katar reichlich Material für besinnlich­e Stunden erworben. Er hat eine schmerzlic­he Lektion in Fragen der Demut hinnehmen müssen. Jener Tugend, die Funktionär­e in diesem nächsten weltweiten Krisenjahr mit Krieg in der Ukraine und der noch nicht überstande­nen Corona-Pandemie immer so schön beschworen haben. Jetzt wird es mal wieder ernst damit.

Demütig muss der Fußball sein, weil er in seiner Ausnahmero­lle bestehen bleibt, weil er den Menschen etwas geben darf – auch für ein paar Stunden Ablenkung von schwierige­n Zeiten. „Wir müssen Vorbilder sein“, hat der Nationalto­rwart Manuel Neuer vor fast drei Jahren zu Beginn der Corona-Pandemie gesagt. Daran hat sich nichts geändert.

Der deutsche Fußball aber muss sich nicht nur demütig gegenüber seinem gesellscha­ftlichen Auftrag und seinen Privilegie­n verhalten. Er muss spätestens seit Katar Demut vor seiner sportliche­n Rolle auf dem Globus entwickeln. Die schwere sportliche Niederlage, das Ausscheide­n nach der Vorrunde passt so gar nicht zum Anspruch des größten Sporteinze­lverbands der Welt. Er scheint in Ausbildung und vor allem im Bereich der Mentalität zunächst mal abgehängt zu sein – vor allem von den Großen, unter denen sich der DFB geradezu natürlich zu befinden wähnt, aber auch von einigen Kleinen, was den einstweile­n früheren Vorreiter besonders schmerzt.

Deshalb sitzen auch die Silberrück­en des deutschen Funktionär­stums mit angemessen­er Nachdenkli­chkeit unter den Weihnachts­bäumen. Sie bilden einen externen Arbeitskre­is, den die neuen Leitfigure­n Bernd Neuendorf (DFBPräside­nt) und Hans-Joachim Watzke (DFL-Aufsichtsr­atschef und offenkundi­g der starke Mann unter den deutschen Vereinsfun­ktionären) anführen und der sich auf die Kompetenz von Oliver Mintzlaff (Red Bull), Oliver Kahn (Bayern), Karl-Heinz Rummenigge (Bayern), Rudi Völler (Leverkusen) und Matthias Sammer (Dortmund) beruft. Der Arbeitskre­is soll dem DFB die nötigen Anstöße auf dem Weg zur Heim-Europameis­terschaft 2024 geben. Da ist es vermutlich mit Besinnlich­keit allein nicht getan.

Weil er sich mit dem Gründen von Arbeitskre­isen auskennt, hat der Verband darüber hinaus eine interne Gruppe gebildet, in der unter anderen der Turnierdir­ektor für die EM, Philipp Lahm, und die DFBVizeprä­sidentin Celia Sasic sitzen. Auch sie werden in der Kürze der Zeit bis zur EM allenfalls an ein paar Symptomen herumkurie­ren können. Das große Ganze im schwerfäll­igen Moloch DFB steht weder in der externen noch in der internen Gruppe so richtig zur Dispositio­n. Dabei muss es genau darum gehen. Der Verband muss in seinem Leistungss­portbereic­h schneller, effektiver, dynamische­r und zeitgemäße­r werden. Und er muss seine Verantwort­ung für den Amateurspo­rt begreifen. Das erfordert strukturel­le Reformen und eine viel schlankere Verbandsfü­hrung in den beiden so unterschie­dlichen Bereichen. Solche Forderunge­n sind nicht neu, aber sie sind im Moment der sportliche­n Krise viel einfacher durchzuset­zen als im Erfolg, der den Blick auf die Probleme zukleister­t.

Bundestrai­ner Hansi Flick kann sich mit seinen Spielern auf die Notwendigk­eiten besinnen. Er hat bereits zum Amtsantrit­t verlangt: „Wir müssen wieder begeistern­den Fußball spielen und die Fans hinter uns bringen.“Das ist in diesem Jahr nicht gelungen, so viel steht fest.

Dabei gibt es in dieser Hinsicht ja im eigenen Land durchaus schöne Vorbilder. Der Frauen-Nationalma­nnschaft gelang eine mitreißend­e Europameis­terschaft, die mit einer unglücklic­hen Final-Niederlage gegen England endete. Die Vorstellun­gen des Teams von Trainerin Martina Voss-Tecklenbur­g lösten sogar einen Boom in der Bundesliga aus – gemessen an den Zahlen der Männer bescheiden, aber ein Zeichen der Hoffnung. Der Bundesligi­st Eintracht Frankfurt stürmte mit der überragend­en Unterstütz­ung seiner Fans durch die Europa League. Und die Trainer Christian Streich (Freiburg) und Urs Fischer (Union Berlin) haben mit nachhaltig­er Arbeit Außenseite­r in die Spitzengru­ppe der Liga geführt. Darüber dürfen die Konkurrent­en unterm Weihnachts­baum nachdenken.

Freiburg, Union, Frankfurt und die Frauen-Nationalma­nnschaft haben dem Team von Hansi Flick so ganz nebenbei gezeigt, wie begeistern­der Fußball die Fans hinter ein Projekt bringt.

Das sieht gar nicht so schwer aus, hat aber mit tragfähige­n Konzepten, Detailarbe­it, Glaubwürdi­gkeit und Verantwort­ungsbewuss­tsein zu tun. Schöne Aufgaben für Arbeitskre­ise, Trainersta­b und (nicht zuletzt) Athleten. Die Fans dürfen das erwarten. Wie sagt Flick am Ende dieses für ihn trüben Jahres sehr zu Recht: „Wir sind in der Bringschul­d.“

Und was bleibt den Fans in den besinnlich­en Stunden des Weihnachts­fests? Vielleicht die Besinnung auf ein bisschen Geduld und Demut gegenüber den eigenen Ansprüchen. In der Bringschul­d sind sie nicht.

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FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO Kaum zu glauben: Leon Goretzkas Gestik während des WM-Spiels gegen Spanien taugt zum Symboldbil­d.

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