Rheinische Post - Xanten and Moers
Das D in DFB muss für Demut stehen
Wenn der deutsche Profifußball und allen voran der Verband nach diesem Jahr nicht zur Besinnung kommen, ist ihnen nicht mehr zu helfen. Bescheidenheit und Selbstreflexion tun not – am Ende auch auf der Seite der Anhänger.
Weihnachten ist nicht nur gut für den Einzelhandel. Es soll auch ein Fest der Besinnlichkeit sein. Eine Möglichkeit, bei leiser Musik und Kerzenschein unter dem Weihnachtsbaum zur Ruhe zu kommen, über das Jahr nachzudenken, selbst wenn das nicht sonderlich originell klingt. Der Kalender drängt das Fest in diesem Jahr auf ein längeres Wochenende, das wird eine sehr kompakte Besinnlichkeit.
Auch für Fußballprofis und Fußballfans. Schließlich können und sollen die ebenfalls für ein paar Tage zur Besinnung kommen, was ohnehin nie eine ganz schlechte Idee ist.
Der deutsche Fußball hat soeben in Katar reichlich Material für besinnliche Stunden erworben. Er hat eine schmerzliche Lektion in Fragen der Demut hinnehmen müssen. Jener Tugend, die Funktionäre in diesem nächsten weltweiten Krisenjahr mit Krieg in der Ukraine und der noch nicht überstandenen Corona-Pandemie immer so schön beschworen haben. Jetzt wird es mal wieder ernst damit.
Demütig muss der Fußball sein, weil er in seiner Ausnahmerolle bestehen bleibt, weil er den Menschen etwas geben darf – auch für ein paar Stunden Ablenkung von schwierigen Zeiten. „Wir müssen Vorbilder sein“, hat der Nationaltorwart Manuel Neuer vor fast drei Jahren zu Beginn der Corona-Pandemie gesagt. Daran hat sich nichts geändert.
Der deutsche Fußball aber muss sich nicht nur demütig gegenüber seinem gesellschaftlichen Auftrag und seinen Privilegien verhalten. Er muss spätestens seit Katar Demut vor seiner sportlichen Rolle auf dem Globus entwickeln. Die schwere sportliche Niederlage, das Ausscheiden nach der Vorrunde passt so gar nicht zum Anspruch des größten Sporteinzelverbands der Welt. Er scheint in Ausbildung und vor allem im Bereich der Mentalität zunächst mal abgehängt zu sein – vor allem von den Großen, unter denen sich der DFB geradezu natürlich zu befinden wähnt, aber auch von einigen Kleinen, was den einstweilen früheren Vorreiter besonders schmerzt.
Deshalb sitzen auch die Silberrücken des deutschen Funktionärstums mit angemessener Nachdenklichkeit unter den Weihnachtsbäumen. Sie bilden einen externen Arbeitskreis, den die neuen Leitfiguren Bernd Neuendorf (DFBPräsident) und Hans-Joachim Watzke (DFL-Aufsichtsratschef und offenkundig der starke Mann unter den deutschen Vereinsfunktionären) anführen und der sich auf die Kompetenz von Oliver Mintzlaff (Red Bull), Oliver Kahn (Bayern), Karl-Heinz Rummenigge (Bayern), Rudi Völler (Leverkusen) und Matthias Sammer (Dortmund) beruft. Der Arbeitskreis soll dem DFB die nötigen Anstöße auf dem Weg zur Heim-Europameisterschaft 2024 geben. Da ist es vermutlich mit Besinnlichkeit allein nicht getan.
Weil er sich mit dem Gründen von Arbeitskreisen auskennt, hat der Verband darüber hinaus eine interne Gruppe gebildet, in der unter anderen der Turnierdirektor für die EM, Philipp Lahm, und die DFBVizepräsidentin Celia Sasic sitzen. Auch sie werden in der Kürze der Zeit bis zur EM allenfalls an ein paar Symptomen herumkurieren können. Das große Ganze im schwerfälligen Moloch DFB steht weder in der externen noch in der internen Gruppe so richtig zur Disposition. Dabei muss es genau darum gehen. Der Verband muss in seinem Leistungssportbereich schneller, effektiver, dynamischer und zeitgemäßer werden. Und er muss seine Verantwortung für den Amateursport begreifen. Das erfordert strukturelle Reformen und eine viel schlankere Verbandsführung in den beiden so unterschiedlichen Bereichen. Solche Forderungen sind nicht neu, aber sie sind im Moment der sportlichen Krise viel einfacher durchzusetzen als im Erfolg, der den Blick auf die Probleme zukleistert.
Bundestrainer Hansi Flick kann sich mit seinen Spielern auf die Notwendigkeiten besinnen. Er hat bereits zum Amtsantritt verlangt: „Wir müssen wieder begeisternden Fußball spielen und die Fans hinter uns bringen.“Das ist in diesem Jahr nicht gelungen, so viel steht fest.
Dabei gibt es in dieser Hinsicht ja im eigenen Land durchaus schöne Vorbilder. Der Frauen-Nationalmannschaft gelang eine mitreißende Europameisterschaft, die mit einer unglücklichen Final-Niederlage gegen England endete. Die Vorstellungen des Teams von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg lösten sogar einen Boom in der Bundesliga aus – gemessen an den Zahlen der Männer bescheiden, aber ein Zeichen der Hoffnung. Der Bundesligist Eintracht Frankfurt stürmte mit der überragenden Unterstützung seiner Fans durch die Europa League. Und die Trainer Christian Streich (Freiburg) und Urs Fischer (Union Berlin) haben mit nachhaltiger Arbeit Außenseiter in die Spitzengruppe der Liga geführt. Darüber dürfen die Konkurrenten unterm Weihnachtsbaum nachdenken.
Freiburg, Union, Frankfurt und die Frauen-Nationalmannschaft haben dem Team von Hansi Flick so ganz nebenbei gezeigt, wie begeisternder Fußball die Fans hinter ein Projekt bringt.
Das sieht gar nicht so schwer aus, hat aber mit tragfähigen Konzepten, Detailarbeit, Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu tun. Schöne Aufgaben für Arbeitskreise, Trainerstab und (nicht zuletzt) Athleten. Die Fans dürfen das erwarten. Wie sagt Flick am Ende dieses für ihn trüben Jahres sehr zu Recht: „Wir sind in der Bringschuld.“
Und was bleibt den Fans in den besinnlichen Stunden des Weihnachtsfests? Vielleicht die Besinnung auf ein bisschen Geduld und Demut gegenüber den eigenen Ansprüchen. In der Bringschuld sind sie nicht.