Rheinische Post - Xanten and Moers
Schuldenbremse, neue Version
Eine SPD-geführte Regierung leitete vor 20 Jahren die größten Sozialreformen der bundesdeutschen Geschichte ein. Eine CDU-geführte Regierung setzte den Mindestlohn aufs Gleis. Und ein FDP-Finanzminister führte die Schuldenbremse ad absurdum. Der Wähler bekommt offenbar von einer Partei selten das, was auf ihren Wahlplakaten steht, sondern eher das Gegenteil davon. Christian Lindner jedenfalls sah sich in seinem ersten Amtsjahr gezwungen, die Verschuldung des Staates um eine halbe Billion Euro zu steigern. Dabei war er als Gralshüter der Schuldenbremse angetreten.
Kurz vor Weihnachten sieht der FDP-Vorsitzende nun keinen Spielraum mehr für weitere Entlastungen der Bürger nach den bisherigen Entlastungspaketen in diesem Jahr, weil er unbedingt ab dem kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten will. Das wirkt nicht nur verzweifelt, sondern unglaubwürdig und auch nicht kongruent. Denn der Bundesfinanzminister ist der Erfinder mehrerer gigantischer Schuldentöpfe, mit denen er die Schuldenbremse umgehen konnte. Nur sie haben es Lindner überhaupt ermöglicht, wenigstens auf dem Papier die Schuldenbremse 2023 wieder einzuhalten.
Im zu Ende gehenden Krisenjahr ist Lindner damit nicht zum Gralshüter der Schuldenbremse, sondern ungewollt zu ihrem Totengräber geworden. Seine Haushaltstricksereien machen deutlich, dass die starre Schuldenbremse nicht praxistauglich ist, wenn sich mehrere Krisen gleichzeitig auftun. Sie hat die Tricks erst mitbefördert, weil sie sich als zu enges Korsett erwiesen hat. Sie gehört jedoch keinesfalls abgeschafft, weil sie zur Disziplinierung ausgabehungriger Politiker unverzichtbar ist. Will man die Schuldenbremse retten, muss man sie reformieren. Da Sozialdemokraten und Grüne daran kaum Interesse haben, wäre das die große Aufgabe des liberalen Finanzministers.