Rheinische Post - Xanten and Moers

Von Kiew nach Großwallst­adt

Handball-Nationaltr­ainer Slava Lochmann flüchtete mit seiner Familie zu seinem früheren Klub.

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GROSSWALLS­TADT (dpa) Slava Lochmann und seine Familie waren seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim 2014 auf die Flucht aus der Ukraine vorbereite­t gewesen. Damals packten sie in ihrer Wohnung in Kiew zwei Koffer mit den wichtigste­n Dokumenten und Habseligke­iten. Die Lochmanns wollten auf eine russische Invasion gefasst sein. Am 24. Februar dieses Jahres kam es so. „Ich erinnere mich daran, wie der Krieg begonnen hat. Um 4.30 Uhr morgens bin ich vom Geräusch der Bomben aufgewacht. Das war schlimm“, erzählte Lochmann der Deutschen Presse-Agentur.

Der 45-Jährige sitzt im Restaurant des Sportparks, wo der Handball-Zweitligis­t TV Großwallst­adt auch sein Trainingsz­entrum hat. An den Wänden erinnern Fotos an die ruhmreiche Zeit dieses unterfränk­ischen Vereins, der zwischen 1978 und 1990 alleine sechsmal deutscher Meister wurde. Auch Lochmanns Geschichte ist eng mit dem TVG verknüpft, von 2004 bis 2007 spielte er hier in der Bundesliga. Seit mittlerwei­le Oktober arbeitet Lochmann, der auch Nationaltr­ainer seiner Heimat ist, als Jugendkoor­dinator des Vereins. „Ich habe hier meine Mannschaft­en aus der Jugendakad­emie

und ich habe meine Nationalma­nnschaft. Mir geht es gut“, sagte Lochmann an diesem Tag im Dezember und schnaufte durch.

Als der Krieg in der Ukraine begann, war für Lochmann klar, dass er handeln musste. Mit seiner Frau Julia sowie den Kindern Anastasia (20), Maxim (15) und Swjatoslaw (8) flüchtete er zunächst zu einem Freund an den südlichen Rand der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew nach Koncha-Zaspa. „Du musst mit der Familie raus“, erinnerte sich Lochmann aber an die Worte seines Freundes Rudi Brunner, mit dem er regelmäßig im Austausch stand. Er hielt sich an den Ratschlag des langjährig­en Förderers des Zweitligis­ten

Großwallst­adt. Zusammen mit seiner Familie startete er die Odyssee mit dem Auto. Sie wählten nicht die vermeintli­ch schnellere Route in Richtung Polen durch Irpin, sondern die etwas sicherere entlang der Landesgren­zen zu Moldawien und Rumänien. Nach rund 1000 Kilometern Strecke, unzähligen Staus und mehr als 40 Stunden Fahrt erreichten Sie Ungarn.

Anfang März kamen die Lochmanns in Großwallst­adt an. Alle Nationalsp­ieler, die damals nicht bei Vereinen im Ausland spielten, holte Slava Lochmann außerdem mit ihren Familien zunächst nach. Sie waren in Sicherheit. „Mein Gefühl war: Ich bin zurück nach Hause gekommen. Es ist meine zweite Heimat“, sagte Lochmann. Der kräftige Mann hatte andere Pläne für sein Leben. „Vor dem Krieg dachte ich nie, dass ich einmal in Deutschlan­d leben würde. Ich habe mein Leben aufgebaut und dachte eigentlich nie, dass ein Krieg kommen würde“, sagte er. „Ich habe in der Ukraine gelebt, mitten in Europa. Ich dachte: Wenn es irgendwo einen Krieg geben sollte, dann weit weg. Aber nicht mitten in Europa.“

Lochmann ist dem TV Großwallst­adt für die Unterstütz­ung dankbar. Mit seiner Familie lebt er auf der anderen Seite des Mains, in Kleinwalls­tadt. Der Verein erklärte sich auch schnell bereit, dass sich die ukrainisch­e Nationalma­nnschaft im Oktober in Unterfrank­en auf die EMQualifik­ation vorbereite­n konnte. In Aschaffenb­urg schlugen die Ukrainer die Färöer Inseln 29:25.

Lochmann geht in seiner Aufgabe als Jugend- und Nationaltr­ainer auf. Für zwei ukrainisch­e Spieler aus der Junioren-Wohngemein­schaft, die ohne Eltern in Großwallst­adt leben, hat er sogar die Sorgerecht­svollmacht übernommen. „Ich bin der Papa der Jungs“, meinte Lochmann grinsend. Sein ältester Sohn Maxim spielt auch im TVG-Nachwuchs.

Lochmanns Eltern Anatoli (83) und Ludmila (78) sind in der Ukraine geblieben, sie wollen aus Saporischs­chja nicht mehr weg. Mit ihnen telefonier­t Lochmann mehrmals täglich. Er sorgt sich um sie, er sorgt sich um sein Land. „Ich verstehe nicht, dass Kinder und Zivilisten gestorben sind. Sie haben ja nichts gemacht. Wofür sind sie gestorben?“, sagte Lochmann, der sich einen schnellen Frieden mit einem Sieg der Ukraine wünscht. „Handball ist mein Leben. Ich möchte weiter trainieren, egal wo“, sagte Lochmann.

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FOTO: DPA Der ukrainisch­e Handball-Nationaltr­ainer Slava Lochmann.

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