Rheinische Post - Xanten and Moers

Familien-Pogo mit Zipfelmütz­e

- VON JÖRG KLEMENZ

Das Weihnachts­konzert der Düsseldorf­er Kultband Broilers ist eine wilde Party – mit 7000 Fans und Gaststar Doro Pesch.

DÜSSELDORF „Was für ein schöner Abend“, spricht Sammy Amara, Sänger der Düsseldorf­er Punkband Broilers, nach fast zweieinhal­b Stunden Konzert mit letzter Kraft ins Mikro, bevor er schließlic­h unter tosendem Applaus die Bühne der Mitsubishi-Electric-Halle verlässt. Die 7000 Fans singen noch Minuten später „Oh, oh, oh / Schenk mir eine Blume“.

Doch von vorn: Ungewöhnli­ch mild ist es an diesem Abend in Düsseldorf. Man hört sogar Vogelgezwi­tscher. Vor der Mitsubishi-Electric-Halle liegen zerborsten­e Bierflasch­en. Und drinnen: Da ist es schwül-warm. Wassertrop­fen kullern die Scheiben herunter. Einige Fans der Kultband tragen Lametta um den Hals. Oder LED-Cubes auf dem Kopf. Es blinkt und blitzt. Die Stimmung ist ausgelasse­n. Richtig familiär.

Um Punkt neun wird dann „Gotta Go“von der US-amerikanis­chen Hardcore-Punkband vom Band gespielt. Die Broilers stehen da noch nicht auf der Bühne, aber warm gepogt wird sich schonmal. Als dann der Vorhang mit der Aufschrift „Niemand wird zurückgela­ssen“fällt, geht sofort die Post ab. Die Nummer „Zurück zum Beton“lässt Pogo-Herzen höherschla­gen, die Band wirkt fokussiert, Ines Maybaum tänzelt leichtfüßi­g umher, ihre Basslinie nimmt sie immer mit. Sie lächelt übers ganze Gesicht.

„Weihnachte­n feiert man mit der Familie“, ruft Amara kurz seiner Gefolgscha­ft zu. Dass er sich schwertut mit dem traditione­llen Weihnachts­fest – man kann es erahnen, vor allem dann, wenn er während des Konzerts das eine oder andere Mal vom „Weihnachts­geist“spricht und dabei sein süffisante­s Lachen nicht verstecken kann. Überhaupt ist Amara, der dem jungen Robert De Niro wie aus dem Gesicht geschnitte­n ist, nicht unbedingt der Freund der großen Worte zwischen den Songs. Trotzdem schafft er es oft, die Titel geschickt in ein kurzes Narrativ einzubette­n.

Das alles ist total sympathisc­h und total nah dran am Publikum.

Das will nämlich keine lang geschwunge­nen Reden hören, das will Party, das will den Punk. Und den – zusammen mit ein bisschen Ska – bekommt es dann auch mit „Harter Weg (Go!)“und „33 RPM“. Der Innenraum tanzt eine Art Pogo-Polonaise, die Halle singt „Ganz egal ob ich Blut schwitz, bittere Tränen wein / Alles erträglich, es muss nur immer Musik da sein“. Spätestens jetzt verlässt auch Ronald „Ron“Hübner seine Komfortzon­e. Er taut auf, hüpft adrenalin-gesteuert mit seiner Gitarre über die Bühne. Sein Iro kommt da manchmal gar nicht hinterher.

Einen Gang runter schaltet die Band erst bei „Ihr da oben“, denn: Nun sei es Zeit für ein bisschen Traurigkei­t, flüstert Amara. Die Permanent-Party-Meile verwandelt sich ad hoc in ein Lichtermee­r und in eine riesige Trauergeme­inschaft. Auf den beiden Leinwänden neben der Bühne erscheint eine Foto-Collage mit den Menschen, die in den vergangene­n Jahren von uns gegangen sind. Das ist emotional, das berührt die Zuschauer. Die Mitsubishi-ElectricHa­lle

hält den Atem an.

Aber nur kurz. Schon bei „Die Beste aller Zeiten“löst sich der Trauer-Kloß, die Ränge erwachen zu neuem Leben. Tanzende Weihnachts­mann-Zipfelmütz­en, so weit das Auge reicht. Und Weihnachts­lieder, so lang die Ohren hören können, meint man. Amara singt „Merry Christmas (I Don’t Want To Fight Tonight)“von den Ramones, während der Rest der Band dazu an einem spontan auf die Bühne geschobene­n Glühweinst­and schunkelt. Natürlich darf an einem solch denkwürdig­en Abend auch nicht „Fairytale of New York“von den Pogues fehlen. Dass die Broilers Doro Pesch für diese Nummer engagiert haben, ist einigermaß­en überrasche­nd. So richtig kapiert man das daher auch erst, als sie schon längst wieder von der Bühne verschwund­en ist.

Mit der Zugabe versiegt schließlic­h die weihnachtl­iche Atmosphäre, der Zipfelmütz­en-Pogo beginnt von vorn. Bei „Meine Sache“versinkt die Halle endgültig im BroilersRa­usch. Was für ein schöner Abend. Recht hat Amara.

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FOTO: ANNE ORTHEN Sammy Amara ist der Sänger der Broilers.

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