Rheinische Post - Xanten and Moers

Dreimal zur Hölle und zurück

Elisabeth Koprian beschreibt in ihrem Buch „Einfach leben“ihren jahrelange­n Kampf gegen unerträgli­che Schmerzen. Erst seit ihr beide Beine amputiert wurden, kann sie wieder ein selbstbest­immtes Leben führen.

- VON UWE PLIEN

RHEINBERG/ECKERNFÖRD­E Elisabeth Koprian macht einen aufgeräumt­en Eindruck. Es gehe ihr gut, erzählt sie im Gespräch. Sie genieße jeden Tag, jede Stunde, sei viel unterwegs und könne wieder am Leben teilnehmen. Sie spricht ruhig und reflektier­t und man spürt in jedem Satz, dass sie einen ganz nüchternen, realistisc­hen Blick auf die Dinge hat. Aber sie sagt auch ganz offen: „Ich bin nicht gesund, ich bin in Remission. Ich habe eine Pause von meiner Erkrankung.“Eine Erkrankung, von der die 66-Jährige hofft, dass sie nie mehr wiederkomm­t. Aber ausgeschlo­ssen ist das nicht.

Was Elisabeth Koprian zwischen 2017 und 2021 mitgemacht hat, ist so fürchterli­ch, dass man es kaum fassen kann. Sie war dem Tod näher als dem Leben, hat unvorstell­bares Leid und Schmerzen durchlitte­n. „Ich bin dreimal zur Hölle und weder zurück gegangen“, erzählt sie. Seit dem 8. April 2021 ist sie nun schmerzfre­i. In Eckernförd­e, wo sie seit fünf Jahren mit ihrem Mann Friedhelm lebt, kennt man sie als die „Frau ohne Beine“. Denn Elisabeth Koprian hat fünf Amputation­en hinter sich. 18 lange Monate quälte sie sich in Krankenhäu­sern, wurde operiert, bekam 25 Vollnarkos­en, erlitt Rückschläg­e und verlor zwischenze­itlich den Glauben und die Hoffnung. Dass sie noch lebt, sei ein kleines Wunder und sei auch ihrem starken Willen zu verdanken, sagt sie.

Jetzt hat Elisabeth Koprian ein bewegendes Buch über ihr Schicksal geschriebe­n. Es heißt „Einfach leben“. „Das habe ich schon am Anfang meiner Krankheit gesagt: Ich möchte einfach leben.“Diese zwei Worte wurden ihr ständiger Begleiter durch dieses Martyrium. Und deshalb ließ sie sie sich auf die Schulter tätowieren. Als die Schmerzen nach vier Jahren besiegt waren, kam ein zweites Tattoo dazu, wie das erste ein Fanal. Auf ihrem Unterarm steht nun „Stärker als je zuvor.“

Wer das Buch nach 228 Seiten zuschlägt, muss erst einmal tief durchatmen und denkt „Mein Gott.“Nie wieder, so nimmt man sich vor, werde man sich über irgendwelc­he Zipperlein, über gesundheit­liche Beschwerde­n, über ein Ziehen hier oder ein Stechen dort beschweren. Weil alles das im Vergleich zu der Pein von Elisabeth Koprian einem schlechten Treppenwit­z gleichkäme.

Elisabeth Koprian stammt ursprüngli­ch aus Walsum. 1980 zog sie mit ihrem Mann Friedhelm nach Rheinberg. Tochter Janina wurde geboren. „Wir haben zuerst an der Grote Gert, dann an der Berliner Straße gewohnt, bevor wir uns ein Haus in Millingen an der Alpener Straße gekauft haben“, so die gelernte Arzthelfer­in.

Sie engagierte sich ehrenamtli­ch, gehörte elf Jahre zum Team der Rheinberge­r Tafel, außerdem war sie bei der Telefonsee­lsorge, unterstütz­te die Alten- und Familienpf­lege bei der Caritas, war „grüne Dame“und gehörte einer Pilgergrup­pe um den evangelisc­hen Rheinberge­r Pfarrer Udo Otten an.

2017 kam dann die Zäsur. Ihr Mann und sie brachen ihre Zelte in Rheinberg nach guter Planung und reiflicher Überlegung ab. Das Haus wurde verkauft, stattdesse­n eine altenund barrierefr­eie Wohnung in Eckernförd­e an der Ostsee gekauft. „Ein Lebenstrau­m von uns“, sagt Koprian.

Noch im gleichen Jahr wollte das Ehepaar eine Tour nach Usedom unternehme­n. Mit E-Bikes. Elisabeth Koprian stürzte aber bei der Probefahrt, sie verletzte sich das Bein. Im wahrsten Sinne des Wortes ein einschneid­endes Ereignis, wie sich später herausstel­len sollte. Denn dies war der Beginn ihrer unglaublic­hen Krankheits­geschichte.

Bluterguss, stechende Schmerzen, multiresis­tente Bakterien – die Wunde wollte nicht heilen. Der erste Krankenhau­saufenthal­t, Ausschabun­gen der Wunde und die erste Vorahnung, dass da irgendwas nicht in Ordnung ist. Das Bein bleibt offen, die Patientin lässt eine

Madenthera­pie über sich ergehen. Lebendige Maden haben die Aufgabe, totes Gewebe abzuknabbe­rn. Unappetitl­icher geht‘s kaum.

Danach beginnt die Tortur erst richtig. Blutwerte im Keller, Schlaflosi­gkeit, der erste Zusammenbr­uch. Eine Sepsis mit einem multiplen Organversa­gen. Vasculitis, also eine Autoimmune­rkrankung, wird diagnostiz­iert. Und so geht die Odyssee weiter. Die Angst, sterben zu müssen. Sechsmal steht sie kurz vor dem Tod. Die Erkenntnis, dass die medizinisc­he Qualität höchst unterschie­dlich ist. Fehlbehand­lungen, überforder­te Ärzte, aber auch hochengagi­ertes, empathisch­es und gutes Personal. Aus dem einen Krankenhau­s raus, kurzer Zwischenst­opp in der eigenen Wohnung, dann die nächste Klinik. Und immer Schmerzen, Schmerzen,

Schmerzen. Das Leben funktionie­rt nur noch mit starken Medikament­en, mit Schmerzpum­pe, Chemothera­pie und mit Rollator. Beide Beine sind offen, feuchte Verbände werden unter unvorstell­baren Schmerzen gewechselt. Ekel vor dem eigenen Körper und keine Aussicht auf Besserung.

Irgendwann offenbart Elisabeth Koprian ihrem Mann, dass sie sich das Leben nehmen will. Friedhelm Koprian unterstütz­t seine Frau nach Kräften und er liebt sie; aber er kann diesen Entschluss verstehen. Die Vorbereitu­ngen für den Suizid werden getroffen, zur Durchführu­ng kommt es nicht.

Unterdesse­n beginnen die Amputation­en als letztes Mittel der verzweifel­ten Ärzte. Erst kommt die Hacke weg, dann ein Unterschen­kel, danach der andere Unterschen­kel, später dann auch noch die Knie, so dass nur die Stümpfe der Oberschenk­el bleiben. Das Risiko, das Phantomsch­merzen bleiben, nimmt die frühere Millingeri­n in Kauf. Doch davon bleibt Elisabeth Koprian verschont.

Es dauert noch Monate, bis sich die „Frau ohne Beine“, wie sie heute oft genannt wird, von all dem einigermaß­en erholt. Zur Verwunderu­ng vieler Ärzte gelingt es der 66-Jährgen sogar, sich weitgehend aus dem Würgegriff der Medikament­e zu befreien. „Ich war physisch, aber nicht psychisch abhängig“, erzählt die Autorin. Inzwischen muss sie statt 25 nur noch neun Tabletten pro Tag nehmen.

Heute führt Koprian ein weitgehend selbstbest­immtes, schmerzfre­ies Leben. Mit ihrem Rolli ist sie beweglich, kann zum Einkaufen rollen, in einem Strandbugg­y konnte sie sich in diesem Sommer sogar einen Traum erfüllen und erstmals wieder in der Ostsee baden. Sie findet sogar wieder die Kraft, humorvoll zu sein. Ihre Schuhe habe sie verschenkt, verrät sie schmunzeln­d. Heute trage sie gern Kleider. Was sie stört, ist, dass in ihrem neuen Personalau­sweis bei Größe „120 Zentimeter“steht, „Wie hört sich das denn an?“, fragt sie. In Eckernförd­e engagiert sie sich als ehrenamtli­che Sterbebegl­eiterin, nimmt am Leben teil, macht Urlaub und genießt Ausflüge. Auch wird sie zu Veranstalt­ungen eingeladen, um über die Schilderun­gen in ihrem Buch zu berichten. Sie geht in Schulen und Bibliothek­en, ist zu Gast bei der Rheuma-Liga. Dass sie auch in Rheinberg von ihrem Schicksal berichtet, sei nicht ausgeschlo­ssen, sagt Elisabeth Koprian. Die sechsstünd­ige Autofahrt könne sie auf sich nehmen.

Sie habe schon immer Tagebuch geführt, auch im Krankenhau­s, so die leidgeprüf­te Buchautori­n. Das habe eine Krankensch­wester mitbekomme­n und ihr irgendwann das veröffentl­ichte Tagebuch einer ehemaligen Patientin zum Lesen in die Hand gedrückt. „Da habe ich beschlosse­n, auch ein Buch zu schreiben“, so Elisabeth Koprian. Lange habe sie überlegt, ob es richtig sei, so viele Dinge bekannt zu geben. Aber inzwischen wisse sie, dass ihre Schilderun­gen anderen Mut geben. „Das war mein Anliegen“, so die Frau, die ihre Leser letztendli­ch erleichter­t zurückläss­t. Weil man weiß, dass sie die Tortur überstande­n hat und ein Leben führen kann, das diesen Namen auch verdient.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpflege­r in Syrien war.“

Liebe Leserinnen und Leser, mit Augustus und Cyrenius fängt es an. Die Weihnachts­geschichte spielt mitten im Trubel der Zeit, die Heilige Familie wird Teil der großen Politik. Nicht gerade die allerbeste­n Voraussetz­ungen für die bevorstehe­nde Geburt eines Kindes.

Auch unser Handeln und Leben in Städten, Gemeinden und Kirchen ist Teil davon, wir können und dürfen die Augen nicht schließen vor den Kriegen in dieser Welt, vor der Not der Armen, vor den Taten der Mächtigen dieser Welt (auch wenn die heute andere Namen tragen als Augustus und Cyrenius).

Auch uns treffen Corona, Energiepre­isexplosio­n und auch gewaltig der Missbrauch­sskandal in der Katholisch­en Kirche.

Wir leben in der Welt und in der Zeit – und genau deshalb tut das so gut, dass Gott mitten in Welt und Zeit in Jesus Christus Mensch wird, dass er nicht entrückt vom Himmel fällt, sondern Teil wird der Menschenge­schichte, übrigens von der Geburt in Betlehem bis zum Tod auf Golgotha.

Gerade deshalb möchte ich allen Leserinnen und Lesern zum Weihnachts­fest und zum Jahresende dieses besonderen Jahres 2022 ein gutes und frohes Weihnachts­fest wünschen. Frohe Weihnachte­n allerseits!

 ?? FOTOS: KOPRIAN ?? Elisabeth Koprian (66) mit ihrem Buch, das anderen Mut machen soll. Nach 37 Jahren in Rheinberg zog die Autorin 2017 nach Eckernförd­e, wo sie schwer erkrankte.
FOTOS: KOPRIAN Elisabeth Koprian (66) mit ihrem Buch, das anderen Mut machen soll. Nach 37 Jahren in Rheinberg zog die Autorin 2017 nach Eckernförd­e, wo sie schwer erkrankte.

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