Rheinische Post - Xanten and Moers

Der Raketenfri­edhof von Charkiw

In der Großstadt werden russische Geschosse gesammelt – sie könnten bei Ermittlung­en nützlich sein.

- VON VASILIA STEPANENKO

CHARKIW (ap) In der zweitgrößt­en Stadt der Ukraine findet sich ein eindrückli­ches Zeugnis der verheerend­en Zerstörung durch den russischen Angriffskr­ieg: Auf einem eigentümli­chen „Friedhof“für Raketen lagern die Trümmer von Geschossen, die auf die Stadt und ihre Bewohner abgefeuert wurden. Mehr als 1000 Geschosse finden sich dort – oder Teile von ihnen. Die lokalen Behörden hoffen, dass die Trümmer Informatio­nen für die Strafverfo­lgung liefern können, in einer Zukunft, in der sich russische Behörden und Soldaten für ihre Taten in der Ukraine verantwort­en müssen. Eines Tages könnten die Raketenfra­gmente auch Teil eines Museums über die Gräuel des Krieges werden.

Die bläulichen Zylinder sind der Größe nach in Reihen angeordnet – ein beeindruck­ender, mitunter schockiere­nder Anblick aus der Luft. Dmytro Tschubenko, ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft für die Region Charkiw, sagt, die Raketen seien seit den ersten Angriffen gesammelt worden. Nach einiger Zeit habe man beschlosse­n, sie zu sortieren. „Dies sind Beweisstüc­ke, die ein internatio­nales Strafgeric­ht nutzen würde“, sagt er bei einem Besuch des Raketenfri­edhofs. Einige Spezialist­en seien bereits gekommen, um das Material zu analysiere­n.

Die Raketen seien auf einige wichtige Wohngebiet­e wie Nord-Saltiwka und Oleksijwka abgefeuert worden, sagte er. Die Behörden schätzten, dass mindestens 1700 Menschen, darunter 44 Kinder, durch russischen Beschuss in und um Charkiw getötet worden seien.

Im Sommer waren die Gebäude in Gebieten wie Saltiwka schwer beschädigt, einige rußgeschwä­rzt, andere zerfielen. Es gab praktisch keine Aktivitäte­n mehr: Die Geschäfte waren geschlosse­n, die Wohnungen zerstört. Der Winter hat die

Lage nicht verbessert. „Wir haben alles verloren, und es ist alles andere als klar, was wir in der Zukunft erwarten können“, sagt Anna, eine Einwohneri­n in Nord-Saltiwka, die schon vor Monaten geflüchtet ist und ihren Nachnamen aus Sicherheit­sgründen nicht nennen wollte.

Der 44-jährige Ihor Deschpetko lebt dagegen noch immer in Charkiw, trotz des Leides, das ihm widerfährt. Er könne sein Haus nicht beheizen, und das werde voraussich­tlich bis zum Ende des Winters so bleiben, sagt er. Er nenne die verkohlte Gegend, in der er lebe, inzwischen das „schwarze Viertel“.

Zurück auf dem Raketenfri­edhof sagt Dmytro Tschubenko von der Staatsanwa­ltschaft, man werde die Raketen so lange aufbewahre­n, wie es nötig sei, damit Experten und Strafverfo­lger die Informatio­nen sammeln könnten, die sie als Beweise gegen die Russen bräuchten. Und danach? „Ich weiß nicht, was als nächstes passieren wird“, sagte er. „Vielleicht werden wir ein Museum erschaffen.“

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FOTO: AP Die Ordnung der Zerstörung: Ein Mann (vorne l.) klettert über die aufgeschic­hteten Teile russischer Raketen in Charkiw.

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