Rheinische Post - Xanten and Moers

Barrikaden­kampf im Kosovo

- VON THOMAS ROSER

Fast drei Wochen währt der Streit im überwiegen­d serbisch besiedelte­n Teil des Landes. Ohne erhöhten Vermittlun­gsdruck aus dem Westen scheint ein Ende der Spannungen zwischen Belgrad und Pristina nicht in Sicht.

BELGRAD/PRISTINA Statt Versöhnung­sbotschaft­en tauschen die Würdenträg­er der einstigen Kriegsgegn­er vor dem Jahreswech­sel nur düstere Drohgebärd­en aus. „Wir drohen nicht mit leeren Flinten“, verkündete in dieser Woche Serbiens Verteidigu­ngsministe­r Milos Vucevic nach einem Truppenbes­uch an der Grenze zum Kosovo. Belgrad werde nicht von der „roten Linie“des Schutzes der serbischen Landsleute im Kosovo abrücken: „Die Armee ist bereit, Serbien und seine Bürger zu schützen.“Am Mittwoch hat der Kosovo den wichtigste­n Grenzüberg­ang nach Serbien nahe der Stadt Podujevo gesperrt. Der Schritt erfolgte, nachdem serbische Militante die Zufahrt auf der serbischen Seite der Grenze blockiert hatten. Wie Medien in Belgrad berichtete­n, wurden nahe der serbischen Ortschaft Merdare Lastwagen auf der Straße quergestel­lt, die zum Grenzüberg­ang führt.

Pristina habe das Ziel, „die Serben für alle Zeiten aus dem Kosovo zu vertreiben“, poltert Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic unterdesse­n. Während Serbien seine Streitkräf­te erneut in „höchste Kampfberei­tschaft“versetzt hat, zeigt sich Kosovos Premier Albin Kurti wenig beeindruck­t. Falls die internatio­nale Kfor-Schutztrup­pe nicht im Stande sei, die Barrikaden im Nordkosovo zu räumen, werde dies eben die Kosovo-Polizei tun: „Dies kann nicht Monate oder Wochen dauern.“

Schon seit Jahren versucht die EU, Serbien und den seit 2008 unabhängig­en, aber von Belgrad nicht anerkannte­n Kosovo zu einer Normalisie­rung ihrer labilen Nachbarsch­aftsehe zu bewegen: Ein im Sommer von Berlin und Paris vorgelegte­r Kompromiss-Vorschlag sieht – ähnlich wie bei den früheren Beziehunge­n zwischen der BRD und DDR – zumindest eine faktische gegenseiti­ge Anerkennun­g der unwilligen Nachbarn vor.

Doch ob beim verbittert­en Streit um Ausweispap­iere oder Kfz-Kennzeiche­n: Bereits seit Monaten liegen die Balkanstre­ithähne im verschärft­en Dauerclinc­h. Fast drei Wochen brodelt nun der eskalieren­de Barrikaden­streit im überwiegen­d serbisch besiedelte­n Nordkosovo. Offiziell wollen die dort von Belgrad in Marsch gesetzte Kosovo-Serben mit Straßenblo­ckaden den Abzug der Kosovo-Polizei, die Freilassun­g von drei festgenomm­enen Landsleute­n und die bereits 2013 zugesagte, aber nie verwirklic­hte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen erzwingen.

Auch nach Ende des Kosovokrie­gs 1999 hatte Serbien die Geschicke im Nordkosovo lange noch diktiert. Nach der Unabhängig­keit des Kosovo 2008 geisterten durch die Medien immer wieder Spekulatio­nen über eine mögliche Abtrennung des

Nordkosovo­s, um die Belgrader Ansprüche auf die Ex-Provinz endgültig zu befrieden: Ein Szenario, das die EU ablehnt, aber zu Zeiten von Ex-Präsident Donald Trump in Washington auch Unterstütz­ung fand.

Seit der im Brüsseler Abkommen von 2013 vereinbart­en Einstellun­g der serbischen Parallelve­rwaltung hat sich Belgrads Position im Nordkosovo zwar geschwächt, aber auch Pristina hat den Norden keineswegs unter Kontrolle. Über den KosovoAble­ger der „Serbischen Liste“und ihr nahe stehende „Geschäftsl­eute“teilt Serbiens Regierungs­partei SNS zumindest politisch im Machtvakuu­m des Nordens weiter die Karten aus. Es war denn auch die SNS, die ihre Landsleute im Nordkosovo erst zum Verlassen der Kosovo-Institutio­nen veranlasst­e – und dann auf die Barrikaden führte.

Warum köchelt der Streit um den Kosovo fast 15 Jahre nach der Unabhängig­keit nun wieder hoch? Eine These ist, das beide Seiten ihre Position im Nordkosovo erst verbessern wollten, bevor sie sich an das Tauziehen um das von der EU geforderte Nachbarsch­aftsabkomm­en machen. Eine andere ist, dass Vucic der deutsch-französisc­he Vorschlag keineswegs zusagt, und wieder eine andere, dass er mit seinen verbalen Offensiven wieder einmal von innenpolit­ischen Problemen ablenken wolle.

Doch auch Kosovos Regierung hat zu der von der EU und den USA geforderte­n Deeskalati­on der Lage mit dem Einreiseve­rbot von Serbiens Patriarche­n Porfirije und der versuchten Demonstrat­ion der Stärke im Norden durch Verhaftung­en und vermehrte Polizeipat­rouillen wenig beigetrage­n, auch wenn am Mittwoch die erste Freilassun­g eines festgenomm­enen Kosovo-Serben angekündig­t wurde. Beide Seiten graben sich im Barrikaden­kampf immer tiefer in ihren Positionen ein. Vucic beschimpft Kurti als „terroristi­schen Abschaum“. Kurti sieht auf den Barrikaden Pseudo-Tschetniks oder Nachhamer der Söldnertru­ppe Wagner am Werk.

Droht dem Westbalkan ein neuer Waffengang? Düstere Kriegsszen­arien mit hohem Panikgehal­t werden vor allem von Serbiens Würdenträg­ern und den ihnen nahestehen­den Medien gemalt. Das Land stehe „am Rand eines bewaffnete­n Konflikts“, so Serbiens Regierungs­chefin Ana Brnabic. „Serben im Visier der Scharfschü­tzen!“, warnt die Zeitung „Vesti“, „Kurti bereitet ein blutiges Neujahr vor“, orakelt grimmig das Regierungs­sprachrohr „Informer“.

Sicher ist, dass beide Seiten laut wie lange nicht mehr mit den Säbeln rasseln. Einen weiteren Krieg in Europa dürfte der Westen kaum zulassen. Ohnehin wäre Serbiens Armee trotz der Aufrüstung mit russischen Altwaffen den Kfor-Truppen hoffnungsl­os unterlegen. Pristina und Belgrad scheinen ohne Druck von außen zu einer Verständig­ung kaum in der Lage. Ausgerechn­et jetzt hat sich das Heer der BalkanDipl­omaten in die Weihnachts­ferien verabschie­det. „Im Kosovo kocht es, aber nirgendwo sind die EU- und US-Sonderbeau­ftragten zu sehen“, schrieb der Belgrader „Blic“.

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FOTO: ARMEND NIMANI/AFP In Mitrovica im Norden des Kosovo wurden am Mittwoch neue Straßenspe­rren errichtet.

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