Rheinische Post - Xanten and Moers

Deutsche Imame kritisiere­n die Taliban

Der Ausschluss der Frauen von den Universitä­ten widersprec­he dem Geist des Islam, erklärt die Gruppe.

- VON MARTIN KESSLER

MÜNSTER/KABUL Das von der afghanisch­en Taliban-Regierung ausgesproc­hene Universitä­tsverbot für Frauen stößt bei deutschen Imamen auf scharfe Ablehnung. Unter der Überschrif­t „Nicht unser Islam!“schreiben 25 muslimisch­e Geistliche, dass ein Ausschluss der Frauen von Hochschule­n nicht mit ihrer Religion im Einklang stehe. „Frauen daran zu hindern, Bildungsin­stitutione­n zu besuchen bzw. zu arbeiten und sich zu verwirklic­hen, zementiert Strukturen der Abhängigke­it dieser Frauen vom Patriarcha­t. Dies steht im fatalen Widerspruc­h zum Islam, wie wir ihn verstehen und vermitteln“, heißt es in ihrer Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt. Auf Initiative des Münsterane­r Religionsw­issenschaf­tlers Mouhanad Khorchide hat sich die Gruppe zu dem Verein „Begegnung zwischen Imamen, Wissenscha­ft und Gesellscha­ft“zusammenge­schlossen. Es ist das erste Mal in Deutschlan­d, dass sich Imame kritisch zum Taliban-Regime in Afghanista­n und ihrem Vorgehen äußern.

Die muslimisch­en Geistliche­n argumentie­ren mit dem Menschenbi­ld ihrer Religion. „Der Islam, wie wir ihn verstehen, lehrt, dass der

Mensch an sich, unabhängig davon, ob Mann oder Frau, ein von Gott gewolltes selbstbest­immtes Subjekt ist“, steht in der Erklärung. Dabei trage Bildung, so die Imame, zur Schaffung der nötigen Rahmenbedi­ngungen für die Entfaltung dieser Selbstbest­immung des Einzelnen bei. Sie beziehen sich auf den Religionss­tifter Mohammed, der Bildung als „religiöse Pflicht für jeden Mann und für jede Frau“bezeichnet habe.

Die Unterzeich­ner der Erklärung appelliere­n an die afghanisch­en

Machthaber, „frauen- und menschenfe­indliche Handlungen im Namen des Islams dringend zu unterlasse­n“. Zugleich kritisiere­n sie das Frauenbild der Taliban, das diese auf Objekte der Hörigkeit beziehungs­weise der sexuellen Vergnügung für Männer reduziere. „Die Auslegung des Islam durch die Taliban vermittelt ein Bild vom Islam als Botschaft der Bevormundu­ng und Entwürdigu­ng des Menschen“, schreiben die Geistliche­n. Das sei nicht ihr Islam.

Die Gruppe, der auch konservati­ve Imame angehören, hat es sich zum Ziel gesetzt, einen weltoffene­n und aufgeklärt­en Islam zu verkünden. Sie will auch die Schweigesp­irale durchbrech­en, die nach Ansicht des Initiators Khorchide bei vielen Moscheever­einen vorherrsch­t. „Innerislam­ische Kritik muss möglich sein“, fordert der Religionsw­issenschaf­tler, der zugleich Imam ist. Die Zurückhalt­ung vieler islamische­r Vereine und Verbände in Deutschlan­d und auch im europäisch­en Ausland nennt er „irritieren­d“. Khorchide glaubt zwar, dass die meisten Moscheegem­einden die frauenfein­dliche Haltung der radikalen Taliban-Regierung in Afghanista­n ablehnten. Aber nur wenige würden das auch offen erklären. „Das konnten wir nicht auf uns sitzen lassen“, erklärt Khorchide im Namen der Gruppe.

Von deutscher Seite erwartet der neugegründ­ete Imam-Verein „klare Schritte, um den Frauen vor Ort zu helfen, ihre Rechte auf Bildung und Freiheit zurückzube­kommen“. Da würden Appelle allein nicht ausreichen. Es müsste stattdesse­n zu konkreten Aktionen kommen, die den Frauen zugutekomm­en. Die Gruppe erhofft sich auch, dass sich andere Muslime in Deutschlan­d ihrem Aufruf anschließe­n oder selbst Kritik formuliere­n.

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FOTO: DPA Am 21. Dezember stehen afghanisch­e Studentinn­en vor der Kabul-Universitä­t, die sie seitdem nicht mehr besuchen dürfen.

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