Rheinische Post - Xanten and Moers

Feiertage weit weg von zu Hause

- VON ANJA KÖNIG

MOERS Zum ersten Mal feiern die Schwestern Svitlana und Iryna das Weihnachts­fest wie tausende Menschen aus der Ukraine an einem fremden Ort fern der Heimat. Gemeinsam mit ihren Kindern flüchteten die beiden Frauen Anfang März vor dem Krieg aus der Stadt Kamjanske. Ihre Ehemänner blieben zunächst zurück. Für Svitlana besonders schlimm: Auch ihr ältester Sohn Myroslav blieb in der Ukraine. Trotz der beschwerli­chen Fahrt im völlig überfüllte­n Evakuierun­gszug gab es auf der Reise große Unterstütz­ung von vielen Menschen. „Fremde Menschen versorgten uns mit Lebensmitt­eln und mit tröstenden Worten“, berichtet Svitlana. „Das war ein schönes Gefühl und wir haben uns nicht so alleine gefühlt.“

Der Weg der beiden Schwestern führte sie an den Niederrhei­n nach Moers, da dort bereits Freunde der Familie lebten. Unterstütz­ung fanden sie bei ihrer Ankunft durch die Awo, insbesonde­re durch Olga Weinknecht, die die Hilfe für Geflüchtet­e bei der Awo koordinier­t. „Wir sind berührt von der Gastfreund­schaft, die wir hier erleben“, so Svitlana. „Wir hatten gedacht, die Deutschen sind eher verschloss­en und unterkühlt und waren sehr überrascht, wie viel Wärme und Unterstütz­ung uns entgegenge­bracht wurde. Deutschlan­d ist ganz anders als wir es uns vorgestell­t hatten.“

Die Familie bezog eine Wohnung der Awo an der Ehrenmalst­raße. Nachbarn versorgten sie mit Möbeln, Kleidung und allem, was benötigt wurde. Freundscha­ften wurden geschlosse­n. Im Mai kam auch Myroslav, Svitlanas ältester Sohn, nach Moers. Der junge Mann hatte zunächst massiv unter den Nachwirkun­gen des Krieges zu leiden, reagierte übermäßig auf alle lauten Geräusche, erzählt Svitlana. Im September folgte dann auch Parlo, Irynas Ehemann. Als vor gut zwei Wochen auch die Eltern der beiden Schwestern, Volodymyr und Liubov, in Moers ankamen, war die Freude groß.

Gerade für ältere Menschen sei es schwer, die Heimat zu verlassen, erklärt Svitlana. Aber zuletzt wurden die Lebensumst­ände in der Ukraine immer schwierige­r, die Infrastruk­tur sei völlig zerstört. Es gibt kein Wasser, kein Licht, keine Heizung und als die Temperatur­en immer weiter fielen, entschiede­n auch Volodymyr und Liubov das Land zu verlassen und alles zurückzula­ssen. „Wir haben neun Monate unsere Kinder und Enkelkinde­r nicht gesehen und haben sie sehr vermisst“, erzählt Liubov.

Umso dankbarer sind sie, nun den Jahreswech­sel und das Weihnachts­fest, das im orthodoxen Glauben am 6. Januar gefeiert wird, gemeinsam verbringen zu können. Traditione­ll beginnt die Weihnachts­zeit in der Ukraine mit dem Nikolausta­g, der jedoch nicht am 6., sondern am 19. Dezember gefeiert wird. Doch wie auch hierzuland­e bringt er den Kindern kleine Geschenke und Süßigkeite­n. Diese werden entweder in einen Stiefel oder unter dem Kopfkissen versteckt. „Die großen Geschenke gibt es bei uns aber zu Silvester, das einen besonders großen Stellenwer­t hat, erklärt Iryna. Am 31. Dezember verabschie­de man sich vom alten Jahr. Typische Speisen zu Silvester seien Fleischsal­at und Sülze. Um Punkt zwölf wird auf das neue Jahr angestoßen. Den Kindern erzählt man, dass in dieser Nacht Väterchen Frost die Geschenke unter den Tannenbaum legt. Oftmals sei es der Vater oder Großvater, der dazu in ein entspreche­ndes Kostüm schlüpft.

Das eigentlich­e Weihnachts­fest feiert man in der Ukraine vom 6. bis 8. Januar, da die orthodoxe Kirche noch nach dem julianisch­en Kalender rechnet. Am 6. Januar gehen die Leute von Tür zur Tür, singen Lieder und verbreiten gute Laune. Traditione­ll stehen beim Abendessen zwölf Speisen auf dem Tisch, sie erinnern an die zwölf Apostel.

Am 14. Januar beginnt dann auch nach altem russischem Kalender ein neues Jahr. „Wir feiern dann das ‚alte neue Jahr‘“, erzählt Svitlana. Am Abend vorher gehen vor allem junge Leute von Haus zu Haus und singen Lieder. Am 14. Januar sei es eine Tradition, Weizen in den Wohnungen

zu verstreuen, das soll ein Symbol für Reichtum darstellen. Am 19. Januar wird der orthodoxe Dreikönigs­tag gefeiert. Anlässlich dieses Tages steigen hartgesott­ene Ukrainer nach dem Kirchengan­g ins kalte Eiswasser.

Natürlich sind die Schwestern Svitlana und Iryna froh, dass ein großer Teil der Familie zusammen in Moers ist und gemeinsam die Feiertage verbringen kann. So richtig zum Feiern ist der Familie aber nicht zumute. Es überwiegt die Sorge, denn Svitlanas Ehemann befindet sich nach wie vor in der Ukraine – ebenso wie viele Freunde und Bekannte. Besonders schlimm sei, dass auch das Kommunikat­ionsnetz zerstört sei und es nicht möglich sei, zu telefonier­en. Svitlana berichtet von Schuldgefü­hlen, die sie manchmal überkommen. „Es fühlt sich nicht gut an – wir sind hier sicher und gut versorgt, aber in der Ukraine sind weiterhin so viele Menschen in großer Gefahr“. Mit Blick aufs neue Jahr, sei es der größte Wunsch der Familie, dass der Krieg endet. „Man hat uns hier in Moers einen schönen Empfang bereitet und uns viel Unterstütz­ung entgegenge­bracht, aber unser größter Wunsch ist es, so schnell wie möglich zurück in die Heimat zu können.“

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Svitlana (hintere Reihe rechts) und Iryna (vorne, 3. vl) im Kreise ihrer Familie.

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