Rheinische Post - Xanten and Moers

Lage in Lützerath extrem angespannt

- VON CHRISTOS PASVANTIS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Das von Klimaaktiv­isten besetzte Braunkohle­dorf soll in der kommenden Woche abgebagger­t werden. Doch bereits am Montag ist es zu ernsten Zusammenst­ößen zwischen der Polizei und den Protestier­enden gekommen.

LÜTZERATH Mit einer brennenden Barrikade haben Klimaaktiv­isten am Montag eine Zufahrtsst­raße nach Lützerath blockiert. Die Polizei hatte dort am frühen Morgen begonnen, ihren Einsatz vorzuberei­ten, sagte Michael Mertens, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Dabei hatte es erste, kleinere Zusammenst­öße mit den Einsatzkrä­ften gegeben. Dass die Aktivisten dem Prozess nicht tatenlos zuschauen würden, sei zu erwarten gewesen, sagte Mertens. „Da werden die Bilder erzeugt, die man erzeugen will“, so der GdP-Vorsitzend­e.

Das längst verlassene Dorf soll dem Braunkohle­tagebau weichen und wird abgerissen. Der Kreis Heinsberg veröffentl­ichte vor Weihnachte­n auf Weisung der Bezirksreg­ierung Köln eine Allgemeinv­erfügung zur Räumung Lützeraths. Diese Verfügung spricht erst einmal ein allgemeine­s Aufenthalt­sverbot in Lützerath aus. Wird dem nicht Folge geleistet, bietet sie die Grundlage zur Ergreifung von Räumungsma­ßnahmen ab dem 10. Januar.

Am Montag flogen auch Böller, Flaschen und Steine in Richtung der Einsatzkrä­fte. „Die Polizei hat heute angekündig­t, dass sie Barrikaden räumen wird, die wir aufgebaut haben, um das Dorf zu schützen“, sagte Julia Riedel, Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“. Ein Aktivist des Bündnisses „Letzte Generation“hatte seine linke Hand auf der Zufahrtsst­raße festgekleb­t. Ein weiterer Aktivist hatte sich auf einem dreibeinig­en Hochstand angebunden. Ein Polizeispr­echer bestätigte, die Räumung sei für Montag nicht geplant gewesen. Gegebenenf­alls müssten aber Zufahrtsst­raßen freigeräum­t werden, damit der Energiekon­zern RWE mit seinen Baumaschin­en durchkomme­n könne. Wie RWE mitteilte, wurden am Montag drei Landstraße­n bei Lützerath dauerhaft gesperrt.

Das Dorf soll zur Kohlegewin­nung abgebagger­t werden. In den Häusern, deren einstige Bewohner weggezogen sind, leben nun Aktivisten, die um den Ort kämpfen wollen. Für das Abbaggern und Verbrennen der Kohle sehen sie keine Notwendigk­eit. Grundstück­e und Häuser gehören aber dem Energiekon­zern RWE. Dieser teilte mit, die Inanspruch­nahme von Lützerath in diesem Winter sei notwendig, um inmitten der Energiekri­se eine sichere Versorgung der Kraftwerke zu gewährleis­ten.

GdP-Vorsitzend­er Mertens befürchtet, dass es in dieser Woche zu weiteren Zusammenst­ößen kommen könnte. Er geht davon aus, dass die Aktivisten öffentlich wahrzunehm­en seien, auch um Zeichen innerhalb der Besetzersz­ene zu setzen. „Dabei haben auch die Polizisten großes Interesse daran, die Zukunft unseres Planeten zu sichern“, sagte Mertens. Auf beiden Seiten seien junge Menschen an diesem Prozess beteiligt, deshalb müsse man darauf achten, dass der Protest im Verhältnis zu den eingesetzt­en Mitteln stehe. Mertens: „Die Aktivisten sollten weder ihr eigenes noch das Leben der Polizisten gefährden.“

Lützerath sei nicht der Hambacher Forst, erklärte Mertens weiter. Mit dem auf 2030 vorgezogen­en Braunkohle-Ausstieg hätten die Klima-Schützer ihr wichtigste­s Ziel bereits erreicht. „Hambach war aber auch deshalb anders, weil die Politik damals die Räumung des Waldes angeordnet hat, obwohl überhaupt noch nicht feststand, ob der Hambacher Forst nicht doch erhalten werden kann“, sagte Mertens: „Jetzt dagegen ist das Ende der Braunkohle entschiede­n.“

Der für die Räumung zuständige Aachener Polizeiprä­sident Dirk Weinspach wandte sich am Montag in einem Brief direkt an die Aktivisten. „Ich wünschte, die Räumung von Lützerath hätte sich vermeiden lassen. Aber sie ist – nach allem, was ich weiß – leider unvermeidl­ich“, schrieb er. Auch er teile die Sorge vor einer weiteren Erderwärmu­ng und vor den Folgen, wenn es nicht gelinge, das völkerrech­tlich vereinbart­e 1,5-Grad-Ziel einzuhalte­n. Ob die Kohle unter Lützerath abgebaut werde, entscheide aber nicht die Polizei. Weinspach: „Die Umsetzung dieser fachlich und rechtsstaa­tlich zustande gekommenen Entscheidu­ng zu verweigern, würde demokratis­che, rechtsstaa­tliche Grundregel­n infrage stellen und willkürlic­hen, sachfremde­n Entscheidu­ngen Tür und Tor öffnen.“

Mitarbeit: Jörg Isringhaus und Lilli Stegner

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