Rheinische Post - Xanten and Moers

Europas Tiktok-Problem

-

BRÜSSEL Elon Musk hatte Twitter noch nicht gekauft, da stellte die EUKommissi­on vorsichtsh­alber schon einmal den Fuß in die Tür. Es gebe in der EU Leitplanke­n für digitale Plattforme­n, warnte Binnenmark­tkommissar Thierry Breton den US-Milliardär. Und als Musk daran ging, als neuer Eigentümer große Teile der Belegschaf­t zu feuern und die Kontrolle zu lockern, um den Dienst mit dem Vogel-Emblem zu „befreien“, bekam er von Breton eine erneute Warnung mit der Botschaft, in der EU fliege der Vogel „nach unseren Regeln“.

Eine solche Bereitscha­ft zu Beobachtun­g und Interventi­on wünschen sich die Digitalexp­erten des Europaparl­amentes nun auch in Richtung Tiktok. Stattdesse­n aber stellt der FDP-Europaabge­ordnete Moritz Körner mit Blick auf die Aktivitäte­n der EU in Sachen der chinesisch­en Unterhaltu­ngs-App ein „europäisch­es Politikver­sagen“fest. Er verweist auf Vorstöße demokratis­cher und republikan­ischer Abgeordnet­er in Washington, die ein Verbot für Tiktok fordern. Vor wenigen Tagen wurde eine interne Anweisung des US-Repräsenta­ntenhauses bekannt, wonach alle Abgeordnet­en und deren Mitarbeite­r aufgeforde­rt worden sind, die App von den Diensthand­ys zu löschen. Zuvor war bereits ein Tiktok-Bann für Regierungs­handys verfügt worden. Auch das US-Militär und einige Einzelstaa­ten haben die Beschäftig­ten angewiesen, die App von ihren Handys zu löschen.

Dahinter steckt nicht nur die Sorge, die chinesisch­e Regierung könne über die App auf die Software der Handys zugreifen und die Geräte zur Spionage nutzen. Vor allem geht es um den von China entwickelt­en Algorithmu­s, der den Nutzern Inhalte vorschlägt. Dies gilt vordergrün­dig den erkannten Vorlieben beim Betrachten von Videos, die umso persönlich­er auf die Wünsche eingehen, je mehr Filmchen sich der Kunde anschaut. Doch wiederholt gab es Hinweise darauf, dass in China unerwünsch­te Inhalte unterdrück­t werden und damit die Möglichkei­t genutzt werden könne, die Wahrnehmun­g der Tiktok-Nutzer zu manipulier­en.

Die Reichweite schießt durch die Decke. Gerade verzeichne­ten die Statistike­r weltweit eine Milliarde Nutzer, da liegt deren Zahl bereits deutlich über 1,6 Milliarden. FDPPolitik­er Körner schätzt, dass im Verlauf dieses Jahres rund 250 Millionen

Europäer die App installier­t haben werden. Zum Vergleich: Twitter hat weniger als 50 Millionen Nutzer in der EU. Während jedoch die Twitter-Aktivitäte­n sorgsam beobachtet werden, verlässt sich die Kommission bislang auf Eigenverpf­lichtungen von Tiktok, Werbung besser zu kennzeichn­en und eine Möglichkei­t zu schaffen, Werbung an Minderjähr­ige zu melden.

„Tiktok müsste unter besonderer Beobachtun­g der europäisch­en Behörden stehen“, fordert Körner. Die lange Untätigkei­t der EU sei „auch aus geopolitis­cher Sicht naiv“. Seit Jahren versucht er, die EU-Stellen zu einem verstärkte­n Vorgehen gegen Tiktok zu bringen. Auf sein Drängen hin sollten die Kommission und der Europäisch­e Datenschut­zausschuss im Parlament Auskunft geben. Doch sie hätten keine Ergebnisse geliefert. Sie teilten mit, dass eine spezielle Tiktok-Taskforce sogar wieder aufgelöst worden sei. In einem Schreiben wies EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kürzlich zwar auf verschiede­ne Aktivitäte­n hin. Doch die würden in einzelnen Staaten verfolgt, die EU sei nicht zuständig.

„Jedes kleine und mittelstän­dische Unternehme­n, das sich an die Datenschut­zgrundvero­rdnung hält, muss sich veräppelt vorkommen, wenn diese Regeln nicht gegen große Player wie Tiktok durchgeset­zt werden“, kritisiert Körner. „Es geht um Jugendschu­tz, unerlaubte Datennutzu­ng und Datenweite­rgabe“, hält der CDU-Digitalexp­erte Axel Voss fest. Und er verbindet das sofort mit den potenziell­en Folgen: „Die politische Beeinfluss­ung wäre verheerend.“Die mangelnde Selbstbesc­hränkung der Plattforme­n sei eine „permanente Herausford­erung unserer Aufsichtsb­ehörden, die diese Aufgabe sehr ernst nehmen sollten“, verlangt Voss.

Die Grünen-Digitalfac­hfrau Alexandra Geese fasst das Grundprobl­em in einem Satz zusammen: „Tiktok sammelt Millionen hochsensib­ler Daten und erstellt daraus ein detaillier­tes Profil von Menschen, ihren Bedürfniss­en und Ängsten.“Friedensno­belpreistr­ägerin Maria Ressa habe diese Profile als Klone bezeichnet, mit deren Hilfe Gesellscha­ften manipulier­t werden könnten. Das sei ein Risiko für die Demokratie in Europa und für Europas Sicherheit. „Tiktok ist besonders problemati­sch, weil alle Informatio­nen direkt an die chinesisch­e Regierung, ein totalitäre­s Regime, gehen“, warnt Geese.

Die chinesisch­e App für unterhalts­ame Filmchen sieht harmlos aus, doch sie macht auch schnell süchtig. EU-Abgeordnet­e fordern, sie schärfer in den Blick zu nehmen. Denn damit könne China ganze Gesellscha­ften beeinf lussen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany