Rheinische Post - Xanten and Moers

Ein wichtiges Ritual

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Die Aufbahrung von Benedikt XVI. macht Trauer und Abschied möglich und symbolisie­rt in der Kirche den Übergang zu etwas Neuem.

DÜSSELDORF Die Bilder eines Toten in aller Öffentlich­keit! Noch dazu aus verschiede­nen Perspektiv­en und mit Trauernden an der Bahre. Die Bilder vom gestorbene­n Benedikt XVI. scheinen indiskret, für viele Menschen ungewöhnli­ch, für manche auch irritieren­d und verstörend zu sein. Zeigen diese Bilder nicht etwa einen Mangel an Respekt gegenüber dem Toten?

Solche Fragen stellen sich allerdings erst in einer Gesellscha­ft, die das Sterben und den Tod aus dem öffentlich­en Raum zunehmend verbannt und ins Private verlegt hat. Ein uraltes Ritual wird in modernen Gesellscha­ften delegiert an profession­elle Einrichtun­gen wie die Bestatter. Dort – in besonderen Verabschie­dungsräume­n – gibt es noch die Möglichkei­t, sich vom aufgebahrt­en Menschen zu verabschie­den. Unter Ausschluss der Öffentlich­keit.

Zum Tod des emeritiert­en Papstes wird das alte Ritual nicht nur wiederbele­bt, seine Bedeutung wird vielmehr hervorgeho­ben: mit den Tausenden von Menschen, die vor dem Petersdom viele Stunden des Wartens in Kauf nehmen, um Abschied von Benedikt zu nehmen. Die Aufbahrung ist eine Form der Trauerbewä­ltigung.

Der Schmerz über den Tod eines Menschen trägt damit nicht jeder in sich aus, sondern wird in der Gemeinscha­ft eingebette­t. Die Trauer aller ist letztlich auch die Bestätigun­g eines Lebenswerk­s. Psychologi­e, Spirituali­tät und Glaubensge­wissheit finden dabei zusammen.

In früheren Zeiten war die Aufbahrung auch kirchenpol­itisch immens wichtig. Der Leichnam eines Papstes war für alle Gläubigen der augenschei­nliche Beleg für das Ende eines Pontifikat­s und machte damit den rechtmäßig­en Weg frei für die Wahl eines Nachfolger­s. Ungeachtet dieser handfesten Beweise

ist bei Benedikt XVI. manches doch anders. Schließlic­h hat die römisch-katholisch­e Kirche in Papst Franziskus bereits seit Jahren ein Oberhaupt. Es bedarf also keiner Nachfolge. So wird noch mit dem Tod eine gewisse Eigenmächt­igkeit Benedikts sichtbar. Denn eigentlich hätte er mit seinem Amtsverzic­ht im Februar 2013 das Gewand des Papstes ablegen müssen, erklärt der Münsterane­r Kirchenhis­toriker Norbert Kösters: „Er hätte sich danach kleiden müssen, was er vor seinem Rücktritt gewesen ist – als Kardinal“, sagt Kösters. Nach seinen Worten erleben wir jetzt „de facto die Beerdigung eines verstorben­en

Kardinals“. Dies aber wäre nach den rund neun Jahren seines Auftretens als emeritiert­er Papst kaum zu vermitteln gewesen.

Was also bleibt, ist die Aufbahrung eines toten, früheren Papstes; was bleibt, ist aber auch ein Übergangsr­itual von großer, bedeutsame­r Anschaulic­hkeit: Es dokumentie­rt den Übergang vom Alten zum Neuen, beschreibt den Wechsel von einer Phase menschlich­er Existenz zur anderen. Im christlich­en Kontext ist dies ein Ritual der Unumkehrba­rkeit wie auch bei der Taufe und der Eheschließ­ung. Zu solchen Übergangsr­itualen sind keine Worte, keine Erklärunge­n, auch keine Begründung­en nötig. Das Ritual vollzieht sich vor allem in der Handlung. Darin ruht seine symbolisch­e Kraft.

Mit der Aufbewahru­ng wird der Tod nicht verständli­ch. Aber er wird in einer besonderen Form begreifbar. Auch das gehörte vor gar nicht allzu langer Zeit noch zum gewöhnlich­en Umgang mit dem Tod. So war es durchaus Tradition, dass die Nachbarn den Toten wuschen, kleideten, betteten.

Die Aufbewahru­ng des Leichnams des emeritiert­en Papstes ist mehr als eine Erinnerung an Tradition – sie weist als Übergangsr­itual immer auch in die Zukunft.

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