Rheinische Post - Xanten and Moers
Zusammenstoß an der Abbruchkante
Die Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Dorfes Lützerath soll erst nächste Woche stattfinden. Aber schon am Montag flogen Flaschen, Böller und Pflastersteine auf Polizisten. Nun fürchten viele eine weitere Eskalation.
LÜTZERATH Es dauert nicht lange, bis es zur ersten Konfrontation kommt. Am Ortseingang von Lützerath brennen Barrikaden aus alten Autoreifen, Stroh und Unrat. Plötzlich sind mehrere laute Schreie zu hören. Die Polizisten der Einsatzhundertschaft, die sich vor dem Dorf postiert haben, rücken vor, die Aktivisten, die meisten in weiße Overalls gehüllt, weichen zurück. Eine junge Frau verletzt sich dabei am Fuß. Ein Notarzt behandelt sie. An diesem Morgen ist es offensichtlich: Der Kampf um das Dorf Lützerath, das dem Tagebau Garzweiler II weichen soll, hat begonnen.
Während sich im Hintergrund an der Abbruchkante das riesige Schaufelrad des Baggers unermüdlich dreht, geraten davor Aktivisten und Polizeikräfte aneinander. Flaschen, Steine und Böller fliegen, es kommt zu Rangeleien und Rempeleien. Einige der Aktivisten gehen deutlich aggressiver vor als andere. Nachdem sich die Lage nach dem ersten Tumult am Ortseingang beruhigt hat, spitzt sie sich wenige hundert Meter weiter an der Hauptverkehrsstraße des Ortes zu. Die Polizei geht mit starken Kräften vor und drängt Aktivisten von einer Zone nahe der
Abbruchkante zurück, die sie offenbar nicht betreten dürfen.
Einige der Protestierenden haben sich quasi als menschliche Barrikade positioniert. Es werden Stelzen aufgebaut, meterhohe Dreibeine, an die sich Aktivisten festgurten. So sind sie schwieriger aus dem Weg zu räumen, als wenn sie sich am Boden befinden. Eine Demonstrantin klettert auf ein meterhohes Gerüst, das die Straße überspannt. Polizisten holen sie mit einem Kran von dem Bauwerk und führen sie ab.
Ein anderer Aktivist, der seine Handfläche an den Asphalt geklebt hat, ist dafür sogar eigens aus München angereist. Zuvor habe er schon bei ähnlichen Aktionen wie auf dem Münchner Stachus mitgemacht, dem bekannten Platz im Zentrum der bayerischen Hauptstadt. Er ist Mitglied der Gruppe „Letzte Generation“. „Dass Lützerath abgebaggert werden soll, ist absoluter Wahnsinn. Und das kann ich nicht einfach so mit ansehen“, sagt er.
Dabei hat die eigentliche Räumung des Dorfes noch gar nicht begonnen. Die Polizei führt seit Montag nach eigenen Angaben vorbereitende Arbeiten für die geplante Räumung
von Lützerath aus. Das Dorf in der Nähe von Erkelenz im Kreis Heinsberg soll zur Kohlegewinnung abgebaggert werden. In den Häusern leben allerdings Aktivisten, die um den Ort kämpfen wollen. „Die Kohle unter Lützerath muss im Boden bleiben“, sagte Antje Bussberg von der Initiative „Alle Dörfer Bleiben“am Montag. „Jeder Mensch, der sich einen Nachmittag lang ernsthaft mit den Ursachen der Erderhitzung beschäftigt, weiß: Jede weitere Tonne Kohle, die verbrannt wird, gefährdet unser Überleben auf diesem Planeten. Darum werden wir die Abbaggerung Lützeraths nicht tatenlos mit ansehen.“
Dagegen teilte der Energiekonzern RWE mit: „Die Inanspruchnahme der ehemaligen Siedlung in diesem Winter ist notwendig, um inmitten der Energiekrise eine sichere Versorgung der Kraftwerke zu gewährleisten.“Die Rechtmäßigkeit sei durch die Gerichte abschließend bestätigt. „Alle ursprünglichen Bewohner von Lützerath haben den Ort verlassen“, so RWE. Geblieben sind nur die Aktivisten, die sich verbarrikadieren und ihren Widerstand lautstark ankündigen.
Wie es weitergeht, wenn wirklich geräumt wird, wird sich zeigen. Die Polizei jedenfalls versucht, Szenen
wie vor vier Jahren bei der Räumung des Aktivistencamps am Hambacher Forst zu vermeiden. Doch die Stimmung ist angespannt, nicht erst seit diesem Montag. Eine Räumung des Geländes wird bis Mitte Januar erwartet. Bis dahin wird nicht nur die Polizei weitere Kräfte nach Lützerath senden, es ist auch zu erwarten, dass die Protestierenden weitere Unterstützung bekommen werden. Für den 14. Januar ist eine große Demonstration von Kohlegegnern geplant.
Am Mittag stehen die Aktivisten, die Arme untergehakt, zwischen dem Tor zum Dorf und den Einsatzkräften. „Klima schützen ist kein Verbrechen!“, skandieren sie. Die Räumung des Dorfes beruhe auf einem verfassungswidrigen Gesetz, sagen sie. Damit fühlen sie sich im Recht, aktiven Widerstand zu leisten. Die Polizei setze auf Deeskalation und Transparenz, sagt der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach. „Wir werden Zwangsmittel nur einsetzen, wenn es im Sinne eines verhältnismäßigen und konsequenten Einschreitens oder zur Verfolgung von Straftaten nicht anders möglich ist“, sicherte Weinspach zu. „Ich appelliere, den Protest gegen eine Räumung nicht mit der Begehung von Straftaten zu verbinden.“