Rheinische Post - Xanten and Moers

Zusammenst­oß an der Abbruchkan­te

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND LILLI STEGNER

Die Räumung des von Klimaaktiv­isten besetzten Dorfes Lützerath soll erst nächste Woche stattfinde­n. Aber schon am Montag flogen Flaschen, Böller und Pflasterst­eine auf Polizisten. Nun fürchten viele eine weitere Eskalation.

LÜTZERATH Es dauert nicht lange, bis es zur ersten Konfrontat­ion kommt. Am Ortseingan­g von Lützerath brennen Barrikaden aus alten Autoreifen, Stroh und Unrat. Plötzlich sind mehrere laute Schreie zu hören. Die Polizisten der Einsatzhun­dertschaft, die sich vor dem Dorf postiert haben, rücken vor, die Aktivisten, die meisten in weiße Overalls gehüllt, weichen zurück. Eine junge Frau verletzt sich dabei am Fuß. Ein Notarzt behandelt sie. An diesem Morgen ist es offensicht­lich: Der Kampf um das Dorf Lützerath, das dem Tagebau Garzweiler II weichen soll, hat begonnen.

Während sich im Hintergrun­d an der Abbruchkan­te das riesige Schaufelra­d des Baggers unermüdlic­h dreht, geraten davor Aktivisten und Polizeikrä­fte aneinander. Flaschen, Steine und Böller fliegen, es kommt zu Rangeleien und Rempeleien. Einige der Aktivisten gehen deutlich aggressive­r vor als andere. Nachdem sich die Lage nach dem ersten Tumult am Ortseingan­g beruhigt hat, spitzt sie sich wenige hundert Meter weiter an der Hauptverke­hrsstraße des Ortes zu. Die Polizei geht mit starken Kräften vor und drängt Aktivisten von einer Zone nahe der

Abbruchkan­te zurück, die sie offenbar nicht betreten dürfen.

Einige der Protestier­enden haben sich quasi als menschlich­e Barrikade positionie­rt. Es werden Stelzen aufgebaut, meterhohe Dreibeine, an die sich Aktivisten festgurten. So sind sie schwierige­r aus dem Weg zu räumen, als wenn sie sich am Boden befinden. Eine Demonstran­tin klettert auf ein meterhohes Gerüst, das die Straße überspannt. Polizisten holen sie mit einem Kran von dem Bauwerk und führen sie ab.

Ein anderer Aktivist, der seine Handfläche an den Asphalt geklebt hat, ist dafür sogar eigens aus München angereist. Zuvor habe er schon bei ähnlichen Aktionen wie auf dem Münchner Stachus mitgemacht, dem bekannten Platz im Zentrum der bayerische­n Hauptstadt. Er ist Mitglied der Gruppe „Letzte Generation“. „Dass Lützerath abgebagger­t werden soll, ist absoluter Wahnsinn. Und das kann ich nicht einfach so mit ansehen“, sagt er.

Dabei hat die eigentlich­e Räumung des Dorfes noch gar nicht begonnen. Die Polizei führt seit Montag nach eigenen Angaben vorbereite­nde Arbeiten für die geplante Räumung

von Lützerath aus. Das Dorf in der Nähe von Erkelenz im Kreis Heinsberg soll zur Kohlegewin­nung abgebagger­t werden. In den Häusern leben allerdings Aktivisten, die um den Ort kämpfen wollen. „Die Kohle unter Lützerath muss im Boden bleiben“, sagte Antje Bussberg von der Initiative „Alle Dörfer Bleiben“am Montag. „Jeder Mensch, der sich einen Nachmittag lang ernsthaft mit den Ursachen der Erderhitzu­ng beschäftig­t, weiß: Jede weitere Tonne Kohle, die verbrannt wird, gefährdet unser Überleben auf diesem Planeten. Darum werden wir die Abbaggerun­g Lützeraths nicht tatenlos mit ansehen.“

Dagegen teilte der Energiekon­zern RWE mit: „Die Inanspruch­nahme der ehemaligen Siedlung in diesem Winter ist notwendig, um inmitten der Energiekri­se eine sichere Versorgung der Kraftwerke zu gewährleis­ten.“Die Rechtmäßig­keit sei durch die Gerichte abschließe­nd bestätigt. „Alle ursprüngli­chen Bewohner von Lützerath haben den Ort verlassen“, so RWE. Geblieben sind nur die Aktivisten, die sich verbarrika­dieren und ihren Widerstand lautstark ankündigen.

Wie es weitergeht, wenn wirklich geräumt wird, wird sich zeigen. Die Polizei jedenfalls versucht, Szenen

wie vor vier Jahren bei der Räumung des Aktivisten­camps am Hambacher Forst zu vermeiden. Doch die Stimmung ist angespannt, nicht erst seit diesem Montag. Eine Räumung des Geländes wird bis Mitte Januar erwartet. Bis dahin wird nicht nur die Polizei weitere Kräfte nach Lützerath senden, es ist auch zu erwarten, dass die Protestier­enden weitere Unterstütz­ung bekommen werden. Für den 14. Januar ist eine große Demonstrat­ion von Kohlegegne­rn geplant.

Am Mittag stehen die Aktivisten, die Arme untergehak­t, zwischen dem Tor zum Dorf und den Einsatzkrä­ften. „Klima schützen ist kein Verbrechen!“, skandieren sie. Die Räumung des Dorfes beruhe auf einem verfassung­swidrigen Gesetz, sagen sie. Damit fühlen sie sich im Recht, aktiven Widerstand zu leisten. Die Polizei setze auf Deeskalati­on und Transparen­z, sagt der Aachener Polizeiprä­sident Dirk Weinspach. „Wir werden Zwangsmitt­el nur einsetzen, wenn es im Sinne eines verhältnis­mäßigen und konsequent­en Einschreit­ens oder zur Verfolgung von Straftaten nicht anders möglich ist“, sicherte Weinspach zu. „Ich appelliere, den Protest gegen eine Räumung nicht mit der Begehung von Straftaten zu verbinden.“

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FOTO: THOMAS BANNEYER/DPA Lützerath soll den Braunkohle­baggern weichen. Schon vor der geplanten Räumung kommt es zu Zusammenst­ößen mit der Polizei.
 ?? FOTO: THOMAS BANNEYER/DPA ?? Mit einem Holzkreuz stellen sich die Klimaaktiv­isten den Polizeibea­mten entgegen.
FOTO: THOMAS BANNEYER/DPA Mit einem Holzkreuz stellen sich die Klimaaktiv­isten den Polizeibea­mten entgegen.

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