Rheinische Post - Xanten and Moers
Braucht es Böller-Verbote?
In der Nacht zum Jahreswechsel kam es zu Angriffen auf Feuerwehr und Polizei – nicht nur in Berlin, sondern auch hier in NRW. Sind strengere Gesetze nötig?
ESSEN Die Nacht des Jahreswechsels ist für Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte immer eine besonders arbeitsintensive. Jedes Jahr kommt es zu Unfällen mit Feuerwerkskörpern. Immer wieder geraten die Einsatzkräfte aber auch in Situationen, in denen sie bewusst angegriffen und in ihrer Arbeit behindert werden.
In Berlin etwa gab es schwere Angriffe auf Rettungskräfte, die selbst die Polizei überraschten. Doch auch in NRW kam es zu erschreckenden Szenen an diesem ersten Silvester ohne Corona-Einschränkungen. Im Essener Stadtteil Freisenbruch musste die Polizei die Kollegen der Feuerwehr vor Angriffen schützen. Die Einsatzkräfte wurden bei Löscharbeiten von mehreren brennenden Müllcontainern durchgehend mit Pyrotechnik beschossen, sodass die weiteren Löscharbeiten nicht durchgeführt werden konnten. Erst nachdem Polizisten eine Kette um die Kollegen der Feuerwehr bildeten, konnten die Brände gelöscht werden.
Drei Feuerwehrleute wurden bei dem Einsatz leicht verletzt und erlitten ein Knalltrauma. „Zum Glück befinden sich alle Kollegen mittlerweile auf dem Weg der Besserung“, berichtet Christoph Riße, Pressesprecher der Feuerwehr Essen. Die Situation sei für die Einsatzkräfte aber mehr als befremdlich gewesen. „Sie kommen schließlich, um zu helfen und werden am Ende beschossen“, sagt er. Er spricht von Gewalt in einem bisher ungekannten Ausmaß.
Christoph Riße Sprecher der Feuerwehr Essen
So sieht es auch Pascal Pettinato, Pressesprecher von der Polizei Essen. „Wir erleben zwar schon seit einigen Jahren diesen traurigen Trend, dass Personen ihren Spaß daran gefunden haben, Rettungskräfte mit Pyrotechnik zu beschießen. Aber dass die Feuerwehr die Brände gar nicht löschen kann, weil sie so massiv beschossen wird, das ist schon eine andere Qualität“, sagt Pettinato. So mussten in diesem Jahr erstmals nicht nur die Hundertschaften, sondern auch die Streifenpolizisten in Essen mit Helmen ausgerüstet werden.
Für Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW, zeigt das die Veränderung in den Vorfällen. „Früher ging es an Silvester meist um das Schlichten von Streitigkeiten. Heute wird zum Teil die Polizei gerufen, um die Beamten dann bewusst anzugreifen.“Viel wichtiger als weitgreifende Verbote und strengere Gesetze wäre für ihn aber, das vorhandene Strafmaß konsequenter auszuschöpfen. „Ein generelles Verbot wäre derzeit nicht durchsetzbar“, sagt er. Zudem sei die Sprengkraft der in Deutschland verkauften Feuerwerkskörper zu hoch. „Wenn ein Krankenwagen Polizeischutz braucht, dann muss man sagen, dass wir als Gesellschaft die Lage nicht mehr wirklich im Griff haben“, sagt er.
Ähnlich sieht auch Michael Martens die Lage. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und mahnt zu einem Umdenken. „Jetzt haben wir 364 Tage Zeit, um solche Szenen zum nächsten Jahreswechsel zu verhindern.“Er betont, auch Einsatzkräfte seien keine Spaßbremsen, dass Menschen feiern wollen, sei okay. Es brauche aber Alternativen, beispielsweise mehr öffentliche Feuerwerke. „Am Ende ist der verlorene Respekt vor der Uniform aber eine Entwicklung über Jahrzehnte. Da hilft nur Bildung, Vernunft und Einsicht“, so Martens.
„Sie kommen, um zu helfen und werden am Ende beschossen“