Rheinische Post - Xanten and Moers
Liebenswerter Soldat Schwejk
Das Werk des vor 100 Jahren gestorbenen Jaroslav Hasek gilt als Weltliteratur. Das war früher anders.
PRAG (kna) Kurz vor Weihnachten ging ein Raunen durch Tschechien. Im Wahlkampf um das Präsidentenamt besuchte einer der großen Favoriten, Ex-Ministerpräsident Andrej Babis, eine Grundschule – und blamierte sich dort gründlich mit mangelhaftem Wissen. Unter anderem blieb er ratlos bei der Frage der Schüler, mit welchem Werk Jaroslav Hasek zu Weltruhm gelangte. Der Auftritt lief im Fernsehen und anschließend in den sozialen Medien rauf und runter; verbunden mit der Frage, wie jemand Tschechiens Präsident werden wolle, der den „Braven Soldaten Schwejk“nicht kennt.
Sehr Gutwillige könnten einwenden, dass Babis gebürtiger Slowake ist. Der Schwejk gehört fest zur Identität der Tschechen. Sie haben sich mit schwejkschem Witz perfekt durch die österreichisch-ungarische Monarchie geschlagen; gaben erfolgreich Loyalität vor, um den Herrschenden in Wahrheit den Mittelfinger zu zeigen.
Bei Jaroslav Hasek, dessen Todestag sich an diesem 3. Januar zum 100. Mal jährt, ist Schwejk der bauernschlaue kleine Mann von der Straße, der geschwätzig den Deppen spielt und das leere Pathos der Monarchie und deren Militärapparat auf die Schippe nimmt. Phrasen und Befehle gibt er der Lächerlichkeit preis, indem er sie wörtlich nimmt und bis ins Detail ausführt. Er ist feige und tapfer zugleich, wirklicher Idiot und doch vor allem augenzwinkernder, raffinierter Kämpfer. In Haseks Roman gibt es keine häufigere Floskel als das „Melde gehorsamst!“– auch wenn der, der da meldet, in Wahrheit den Gehorsam verweigert.
Die von Schwejk meisterhaft beherrschte Abwehrtaktik des kleinen Mannes gegenüber der Obrigkeit hat die Monarchie überlebt; und sie feierte in der bleiernen Zeit nach der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 eine Art Revival. Erst Vaclav Havel rüttelte seine Landsleute auf, den Schwejk in sich abzuschütteln, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich von niemandem mehr bevormunden zu lassen.
Hasek schöpfte beim Schreiben des Schwejk aus den Erfahrungen seines eigenen Militärdienstes in der K.u.k.-Monarchie. Er schrieb oder diktierte seine Gedanken in seinen „Wohnzimmern“, finsteren Kneipen; in literarischen Häppchen und in einer abenteuerlichen Sprache, einem üblen und unvollkommenen Prager Slang, der bei der einheimischen Kritik gnadenlos durchfiel und keineswegs als „Literatur“bezeichnet wurde.
Internationale Anerkennung fand der Schwejk erst durch die grandiose Übertragung ins Deutsche durch Grete Reiner, die die Protagonisten sogenanntes Prager Deutsch sprechen ließ, verknüpft mit dem etwas ungelenken Dienstbotendeutsch. Letzteres war insofern wichtig, als das Prager Deutsch nur von deutschen Intellektuellen gesprochen wurde und dem Original nicht hätte gerecht werden können. Nach den begeisterten Kritiken aus Deutschland merkte man schließlich auch in Böhmen, welch großartiges Werk da lange verkannt worden war.