Rheinische Post - Xanten and Moers
Chinas Corona-Welle trifft die Wirtschaft
Das Ende der „Null-Covid“-Politik könnte nicht nur für die Konjunktur der Volksrepublik drastische Konsequenzen haben.
PEKING/DÜSSELDORF Es ist eine politische Entscheidung mit weitreichenden Folgen: Seit die chinesische Regierung am 7. Dezember das Ende ihrer „Null-Covid“-Politik verkündet hat, rollt eine Krankheitswelle über die Volksrepublik. Immer mehr Menschen stecken sich mit der Omikron-Variante des Coronavirus an. Wie viele es genau sind, lässt sich nur mutmaßen, denn die Regierung legt die Zahlen nicht offen, die Tests wurden im ganzen Land eingestellt. Schätzungen gehen von mehr als 250 Millionen Infizierten und zehntausenden Toten aus. Doch die Corona-Welle belastet nicht nur das Gesundheitssystem. Sie könnte auch Auswirkungen auf die chinesische Konjunktur und somit auf die gesamte Weltwirtschaft haben.
Davor warnte die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier kürzlich im „Handelsblatt“: „Wenn die chinesischen Häfen und Fabriken geschlossen werden, weil fast alle Beschäftigten krank sind, zieht das dramatische wirtschaftliche Folgen nach sich“, sagte sie. Lieferketten würden erneut einbrechen und die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte massiv steigen. Die Ökonomin der US-Universität Berkeley hofft sehr, dass die Bundesregierung für diesen Fall schon Notfallpläne entwickelt hat. Deutschland brauche einen „China-Schutz-Crashkurs“, hieß es.
Klaus-Jürgen Gern, Experte für internationale Konjunktur am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), sieht die Lage gelassener. Zwar sei es möglich, dass Lieferkettenprobleme auftreten und die Energiepreise steigen würden – aber nicht gleichzeitig. „Eine Lieferkettenproblematik gäbe es, wenn die Produktion in China durch die Krankheitswelle massiv gestört würde“, sagte er unserer Redaktion. Das bedeute aber auch eine geringere wirtschaftliche Aktivität im Land – und somit keine höheren Preise für Rohstoffe und Vorprodukte. Bislang bewerte er das Ende der „Null-Covid“-Politik in China eher als positiv für die Lieferketten. Durch die Lockdowns waren sie stark ausgebremst worden, nun rechne er eher mit vereinzelten Problemen – wenn Arbeitskräfte wegen Krankheit ausfielen zum Beispiel. „Die Effekte werden aber deutlich geringer ausfallen als zu Zeiten der strikten „Null-Covid“Politik“, sagte Gern. Erhole sich die chinesische Wirtschaft mit den Lockerungen
weiter, könnten die Energiepreise anziehen. Doch auch da sieht Gern die Lage entspannt, wie er sagt, denn China müsse neben Corona seine große Immobilienkrise managen. So stark werde die Wirtschaft vorerst nicht wachsen. Insgesamt dürfte das chinesische Bruttoinlandsprodukt laut IfW in den kommenden Jahren um rund fünf Prozent steigen. 2022 waren es 2,9 Prozent.
Durch die Corona-Welle könnte die chinesische Konjunktur kurzfristig aber sogar noch gedrückt werden, prognostiziert der IfWExperte.
Offizielle Zahlen zur Produktion gebe es zwar bislang nicht, aber Gern habe sich die Autoverkäufe, Immobilienumsätze und Transportaufkommen angeschaut. Sie deuteten darauf hin, dass die erhöhte Ansteckungsgefahr die Menschen in China verängstigt in ihre Wohnungen treibe. Der Konsum und konsumnahe Dienstleistungen wie Restaurants und Friseure litten sehr stark. Möglicherweise könnten auch die Exporte aus Deutschland etwas zurückgehen, weil die Nachfrage nun sinke. Doch insgesamt schätzt Gern die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gering ein im Vergleich zu den negativen Folgen, die die Lockdown-Monate hatten. Sie werde durch die Lockerungen eher begünstigt als ausgebremst.
Die Wirtschaftsweise Malmendier blickt dagegen pessimistisch auf die kommenden Monate mit stark steigenden Infektionszahlen und den chinesischen Impfstoffen, die nicht zu wirken scheinen. Aus ihrer Sicht sollten westliche Vakzine für alle Menschen in China zugelassen und von der Regierung gekauft werden, um die Bevölkerung zu schützen. „Gleichzeitig wäre das enorm wichtig für die Wirtschaft, sowohl in China als auch bei uns und anderen Handelspartnern“, sagte sie.
Bislang ist das Vakzin von Biontech nur für Deutsche, die in China leben, zugelassen. „Viele Chinesen stehen dem Impfen sehr skeptisch gegenüber – und erst recht den Impfstoffen aus dem Ausland“, sagt Sinologin Susanne Baumann aus Düsseldorf. Sie hat selbst einige Jahre in der Volksrepublik gelebt, kennt dort viele Menschen. Ihrer Einschätzung nach hätten die meisten zwar noch großes Vertrauen in die Regierung, die ihnen zwei Jahre lang „Horrorgeschichten“über Impfstoffe wie den von Astrazeneca erzählt hätte. Doch nun seien die Menschen irritiert, dass sie sich doch alle impfen lassen sollten. Vor allem Ältere gäben sich skeptisch.
Baumann ist es ein Rätsel, warum China die Zeit der Lockdowns nicht für Impfkampagnen genutzt habe. Auch eine Impfpflicht gebe es nicht. Nun könne man die CoronaWelle nicht mehr aufhalten. „Es ist unglaublich, wie viel die Regierung versäumt hat“, sagt Baumann. Die Abkehr von der „Null-Covid“-Politik hätte aus ihrer Sicht viel glimpflicher ablaufen können.