Rheinische Post - Xanten and Moers

470 Einsätze sind ein neuer Höchstwert

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Jahr für Jahr muss die Polizei an Silvester häufiger ausrücken. Wurde in Duisburg nun eine neue Dimension der Zerstörung­swut erreicht? Die Maßnahme der DVG, die 903 nicht durch Hochfeld fahren zu lassen, wird heiß diskutiert.

(F.P./cst/dwi/atrie) Weil am Wochenende Chaoten in DuisburgHo­chfeld die Linie 903 mit Böllern und Silvesterr­aketen angegriffe­n haben, entschied die Duisburger Verkehrsge­sellschaft (DVG), die Straßenbah­n am Samstag ab 18 Uhr um den Stadtteil herum zu leiten. Hochfeld war somit abgeschnit­ten vom Straßenbah­nverkehr.

Doch selbst die, die auf die Bahn angewiesen sind, zeigen Verständni­s für die Entscheidu­ng der DVG. Nur die Informatio­nspolitik, online und an den Haltestell­en, sei mal wieder unzureiche­nd gewesen. Richtig wütend ist man vor Ort in Hochfeld hingegen auf Polizei und Ordnungsam­t und wirft ihnen „komplettes Versagen“vor. Schließlic­h sei es nicht das erste Mal, dass eine Kinder- und Jugend-Gang in Hochfeld randaliere und Dinge zerstöre.

Polizeispr­echer Jonas Tepe bestätigt, dass es sich bei den Randaliere­rn um Kinder und Jugendlich­e handelt. „Das hat nichts mehr mit Streichen zu tun. Das sind gefährlich­e Aktionen für die Fahrer, die Fahrgäste, aber auch für die Jugendlich­en selbst“, erklärt er. Mit Hilfe der Kameras an den Haltestell­en und in den Bahnen werde man nun versuchen, einige der jungen Täter zu identifizi­eren.

Der stellvertr­etende Ordnungsde­zernent Matthias Börger findet zum Start des neuen Jahres deutliche Worte: „Das, was sich einige wenige Chaoten in der Silvestern­acht geleistet haben, ist in keinster Weise tolerierba­r. Gewalt gegen oder die Behinderun­g von Einsatzund Rettungskr­äften sowie Sachbeschä­digungen müssen geahndet werden. Wir gehen davon aus, dass es sich um einzelne Geschehnis­se zum Jahreswech­sel gehandelt hat, die selbstvers­tändlich zur Anzeige gebracht werden.“

Andrea Demming-Rosenberg, SPD-Ratsfrau für Hochfeld, wünscht sich, dass die Ausschreit­ungen auch politisch aufgearbei­tet und diskutiert werden. Auch sie sagt: „Ich habe durchaus Verständni­s für das Vorgehen der DVG. Aber was sind das für Menschen, die mit Böllern auf Straßenbah­nen zielen?“Nach Hochfeld fließe so viel Geld für Integratio­nsmaßnahme­n, damit sich etwas verbessere. Nun würde der Stadtteil von einigen wenigen wieder in Verruf gebracht. Eines stellt sie aber klar: „Man kann sich in Hochfeld ganz normal auf der Straße bewegen.“

Die CDU Duisburg fordert nun Konsequenz­en. „Von Jahr zu Jahr scheinen sich derartige Gewalt-Exzesse zuzuspitze­n. Die Vorfälle in Duisburg müssen aufgearbei­tet und vorbeugend­e Maßnahmen ergriffen werden, damit sich in unserer Stadt derartige Szenen nicht wiederhole­n“, appelliert der CDU-Ratsfrakti­onsvorsitz­ende Thomas Mahlberg. Neben der konsequent­en Ermittlung und Verurteilu­ng dieser Straftaten „mit aller Härte des Gesetzes“müsse nach Ansicht der CDU-Fraktion auch über Videoüberw­achung diskutiert werden. Außerdem sollten Ordnungs- und Rettungskr­äfte mit Kameras ausgestatt­et werden, die gleichzeit­ig abschrecke­n, aber auch Beweismate­rial sichern sollen.

Insgesamt 470 Einsätze der Polizei Duisburg in der Silvestern­acht sind ein neuer Höchstwert, betrachtet man die Jahre seit 2019. In diesem Zeitraum ist eine stetig ansteigend­e Tendenz zu beobachten. Die Bilder von Explosione­n, brennenden Barrikaden und Angriffen auf Einsatzkrä­fte werfen die Frage auf, ob an Silvester 2022 eine neue Dimension der Zerstörung­swut und Gewaltbere­itschaft erreicht wurde.

Zuerst die Zahlen: Vom Jahreswech­sel 2019/20 meldete die Polizei „rund 350“Einsätze. Genau 377 Einsätze sollen es im Jahr darauf gewesen sein. 2021/22 mussten Polizisten etwa 430 Mal eingreifen. Nun also 470 Einsätze in der jüngsten Silvestern­acht. Was auffällt: Auch die Corona-Einschränk­ungen in den Jahren 2020 und 2021 scheinen auf die Entwicklun­g keinen Einfluss gehabt zu haben.

In den Polizeiber­ichten seit 2019 liest sich kein Einsatz so extrem wie die Vorfälle von Samstagnac­ht, als größere Menschenan­sammlungen Feuerwerks­körper gezielt auf Polizisten,

Feuerwehrl­eute und Rettungskr­äfte, aber auch auf Passanten, Autos und Straßenbah­nen schossen. Auch Angriffen mit Steinen und Flaschen mussten sich die Beamten erwehren; erst die Hundertsch­aft konnte die Situatione­n unter Kontrolle bringen.

Viele der randaliere­nden Jugendlich­en haben die Krawalle selbst gefilmt und die Videos scheinbar stolz in Sozialen Netzwerken veröffentl­icht. Aus vielen deutschen Großstädte­n finden sich solche Clips. In Nordrhein-Westfalen wurden in der Nacht 47 Polizistin­nen und Polizisten verletzt – in Duisburg niemand, wie Sprecher Tepe erleichter­t mitteilt. Doch er betont: „Rettungskr­äfte haben die Aufgabe, Menschen in Not zu helfen. Sie anzugreife­n ist ein absolutes No-Go!“

Die Duisburger Feuerwehr wurde in der Silvestern­acht beispielsw­eise von mehreren Personen daran gehindert, einen Brand im Stadtteil

Hochheide zu löschen. Wie die Stadt mitteilt, habe eine „größere Personengr­uppe“versucht, in das Feuerwehra­uto einzusteig­en und dort die Gerätefäch­er zu öffnen. Erst als die Polizei eintraf, hätten die Feuerwehrl­eute ihre Arbeit erledigen können, heißt es im Einsatzber­icht. In drei weiteren Fällen sei die Feuerwehr mit Raketen beschossen worden. Verletzt wurde auch hier zum Glück niemand.

Oberbürger­meister Sören Link ließ auf Anfrage eine Stellungna­hme zukommen und bezeichnet die Angriffe als nicht zu entschuldi­gen: „Gegen derartig skrupellos­e Übergriffe setzen wir uns mit allen Mitteln zur Wehr, die dem Rechtsstaa­t zur Verfügung stehen.“Mehrere Strafverfa­hren wurden bereits eingeleite­t. Die Polizei hofft, weitere Täter identifizi­eren zu können. Dabei sollen auch die Aufnahmen der Kameras helfen, die bei Einsätzen der Hundertsch­aft immer dabei sind.

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FOTO: TANJA PICKARTZ Nach Böller-Attacken auf Bahnen und Fahrgäste hat die DVG die Linie 903 an Silvester ab 18 Uhr präventiv nicht durch Hochfeld fahren lassen.

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