Rheinische Post - Xanten and Moers
1800 Dollar für den Grenzübertritt
Die Zahl der Einwanderer aus der Ukraine und Russland, die über Mexiko in die USA wollen, ist gestiegen.
CHULA VISTA (ap) Phil Metzger verspricht eine reibungslose Einreise. Er wirbt mit beispiellosen Kontakten zu amerikanischen Grenzbeamten und zu Personen in Mexiko, die für die persönliche Sicherheit sorgen könnten. Und er wendet sich gezielt an Menschen, die Russisch sprechen. Das Asylgesuch in den USA sei zwar kostenlos, sagt der Pastor der Kirche Calvary San Diego. Er räumt aber ein, dass seine Dienste „nicht billig“sind.
In einem Interview mit einem russischsprachigen Youtube-Kanal prahlt Metzger ungeniert damit, dass er Zugriff auf das Computersystem der zuständigen US-Behörde habe, um Migranten auf eine Liste zu setzen. „Ich kontrolliere, wer rüberkommt“, sagt er. Bezüglich seiner Helfer in Mexiko bleibt er vage. Er betont aber, dass diese sich um seine „Klienten“kümmern würden – von deren Einreise nach Mexiko mit einem Touristenvisum bis zum Grenzübertritt in der Stadt Tijuana.
Die Möglichkeit, Asyl zu erhalten, ist eigentlich primär für diejenigen gedacht, die es besonders dringend benötigen. In den USA konnten Migranten wegen einer noch von ExPräsident Donald Trump eingeführten Pandemie-Regelung, die in wenigen Tagen ausläuft, seit März 2020 in mehr als 2,5 Millionen Fällen nicht einmal einen Antrag stellen.
Doch wie aus dem im November aufgezeichneten Interview mit Metzger hervorgeht, können die Beschränkungen umgangen werden. In seiner Kirche in Chula Vista, einem Vorort von San Diego, beschreibt er, wie er dabei seine Verbindungen zur US-Grenzschutzbehörde CBP nutzt. An vielen Grenzübergängen wird trotz der Beschränkungen pro Tag eine bestimmte Zahl von Migranten ins Land gelassen. Und wenngleich die CBP theoretisch immer das letzte Wort hat, erfolgt die Auswahl in der Praxis meist von Organisationen wie der von Metzger.
Nach einer Anfrage der Nachrichtenagentur AP, ob eine externe Gruppe das Vermitteln von Asylmöglichkeiten zum Geschäft gemacht haben könnte, betonte das US-Heimatschutzministerium, dass Ausnahmen von den bisherigen Einreise-Beschränkungen nicht mit einer Gebühr verbunden seien – und dass man jedem Vorwurf bezüglich Missbrauch des Systems nachgehen werde. Der Pastor aus Chula Vista reagierte nicht auf etliche Kontaktversuche im Laufe von einer Woche. Als ein Reporter ihn kürzlich an einem Werktag besuchen wollte, war sein Büro geschlossen.
Ausnahmen, also die Möglichkeit, trotz der Beschränkungen doch einen Asylantrag stellen zu dürfen, sind für besonders gefährdete Migranten vorgesehen – etwa für Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden oder aus anderen Gründen von Gewalt bedroht sind. Von einigen PartnerOrganisationen
der CBP heißt es allerdings, dass die Behörde die ihr vorgelegte Auswahl von Anwärtern nicht hinterfrage.
Die CBP macht keine Angaben dazu, wer ihre Partner bei der Auswahl sind – auch nicht dazu, in welchem Umfang einzelne Organisationen Vorschläge machen. Für die Migranten bedeutet dies, dass sie nur raten können, welche Gruppen tatsächlich über relevante Kontakte verfügen und bei welchen die Chancen am größten sind.
Im texanischen El Paso vergibt die CBP pro Tag 70 „Slots“. Die Hälfte davon verwaltet die Regierung des mexikanischen Bundesstaates Chihuahua. Über den Rest könnten Anwälte und Aktivisten entscheiden, sagt Nicolas Palazzo von der Organisation Las Americas Immigrant
Advocacy Center, die an dem Programm teilnimmt. Seinen Angaben zufolge gibt es Personen außerhalb seiner eigenen Organisation, die für diese Dienste Geld von den Migranten verlangen.
Am Grenzübergang im mexikanischen Piedras Negras entscheiden laut einem aktuellen Bericht der University of Texas die lokalen Behörden darüber, wer von den Ausnahme-Möglichkeiten profitiert. In Reynosa, nahe der texanischen Stadt McAllen, darf demnach eine Unterkunft für Migranten die Auswahl treffen. In San Diego gewähre die CBP täglich etwa 200 Menschen Ausnahmen, 40 davon würden unter Vermittlung der Calvary San Diego an russischsprachige Migranten vergeben, sagt Enrique Lucero, der in Tijuana für Migrationsangelegenheiten
zuständig ist.
Auffällig ist, dass seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine deutlich mehr russische Migranten in die USA einreisen dürfen als zuvor. Und etwa drei Viertel von ihnen kommen über mexikanische Grenzübergänge nach Kalifornien. Im Oktober wurde 3879 Russen eine Ausnahme von den Beschränkungen gewährt – dreimal so vielen wie im Vorjahreszeitraum. Im Fiskaljahr, das am 30. September endete, waren es insgesamt 21.626 Russen, mehr als fünfmal so viele wie im Fiskaljahr davor.
Metzger sagt in dem Youtube-Interview, seine Organisation erhalte jeden Tag mehr als tausend Anfragen. Die CBP lege fest, wie viele Menschen einreisen dürften, aber er entscheide, wer zum Zuge komme. „Ganz ehrlich, wir glauben, dass Gott uns eine Tür geöffnet hat“, sagt der Kalifornier, der lange Zeit in Osteuropa gelebt hat.
Wen Metzger in Mexiko beauftragt, ist unklar. Er sagt, er kenne die Leute nicht persönlich. Über einen Telegram-Account namens „Most V USA“werden für entsprechende Dienste Kosten von 1800 pro Erwachsenem als „Sonderpreis“bezeichnet – es dürften 1800 Dollar gemeint sein. Für verheiratete Paare werden demnach, bei Zahlung in bar, 3500 Dollar fällig. Wer online zahlt, erhält offenbar Vergünstigungen. „Sie zahlen nicht für den Grenzübertritt, sondern für die Beratung beim Grenzübertritt“, heißt es auf der Website von „Most V USA“.
Metzger hatte seine relativ große Kirche nach Beginn des Krieges für Flüchtlinge aus der Ukraine geöffnet. Die in immer größerer Zahl in Tijuana angekommenen Ukrainer waren zunächst angewiesen worden, sich an einem Grenzübergang nach San Diego zu registrieren, um auf eine Möglichkeit zur Einreise zu warten. Metzger sagt, seine Verbindungen zur CBP hätten sich im Laufe der Zeit verfestigt. „Nein, es ist nicht billig. Nein, es ist nicht einfach“, betont der Geistliche. „Aber wir sorgen dafür, dass es sicher ist und Sie in die Staaten einreisen können.“