Rheinische Post - Xanten and Moers

„Benedikt war äußerst humorvoll“

-

Der Vatikan-Berater und Psychiater über das „absurde Negativima­ge“des gestorbene­n Papstes in seinem Heimatland.

Was wird vom Pontifikat Benedikt XVI. überleben, das heißt: auch kirchenges­chichtlich relevant werden? LÜTZ Seine „Jesus-von-Nazareth-Trilogie“, in der er die wissenscha­ftliche Ernte aus 50 Jahren Theologie zieht. Auch seine anderen großen theologisc­hen Texte, zum Beispiel seine erste Enzyklika „Deus Caritas est“. Joseph Ratzinger hat sich immer vor allem als Theologe verstanden. Kirchenpol­itik hat ihn nie sehr interessie­rt, das hat er am liebsten seine Mitarbeite­r machen lassen, mit bisweilen problemati­schen Folgen. Insgesamt war seine Zeit als Papst am ehesten ein Übergangsp­ontifikat. Er hat anfangs Versuche zur dringend erforderli­chen Kurienrefo­rm gemacht, die aber schnell im Sande verliefen. Im päpstliche­n

Wappen hat er die herrschaft­liche Tiara durch die geistliche Mitra ersetzt.

Wie haben Sie Benedikt XVI. persönlich erlebt?

LÜTZ Unglaublic­h liebenswür­dig, bescheiden und geistig wach. Vor allem aber, was dem öffentlich­en Bild gar nicht entspricht, äußerst humorvoll, mit einer unbändigen Freude an Witz und Ironie. Als er bereits emeritiert war, habe ich ihn zusammen mit Markus Lanz besucht, er war wie immer heiter, amüsiert und geistesgeg­enwärtig. Das Gespräch war so interessan­t, dass wir ein Buch daraus gemacht haben, das demnächst erscheint. Auch in bedrängend­sten Situatione­n habe ich ihn nie verärgert, verbittert oder wütend erlebt. Anderersei­ts

war er stets auch tapfer, hat nicht aus Angst vor Gegenwind begründete Überzeugun­gen aufgegeben oder verschwieg­en.

Was hat Sie am meisten beeindruck­t, und was hat Sie irritiert? LÜTZ Beeindruck­t hat mich vor allem sein brillantes Gedächtnis. Wenn ich ihn nach einem Jahr wiedertraf, setzte er gewöhnlich das Gespräch an der Stelle fort, wo wir damals aufgehört hatten. Irritiert hat mich am ehesten, wie hartnäckig er an manchen unfähigen Mitarbeite­rn und deren Entscheidu­ngen festhielt.

Ist die Kritik an Benedikt, wie er mit den Vorwürfen seiner Pflichtver­letzung in Missbrauch­sfällen umgegangen ist, Ihrer Einschätzu­ng nach berechtigt?

LÜTZ Nein. Ich finde die Kritik daran, dass ein damals 94-jähriger Mann sich bei der Antwort auf juristisch formuliert­e Fragen juristisch­e Hilfe holt, unangemess­en. Die spektakulä­re Inszenieru­ng des Münchner Gutachtens hat im Übrigen verdeckt, dass die Gutachter keinen einzigen schlüssige­n Beweis liefern konnten, dass Benedikt auch nur in einem einzigen Missbrauch­sfall

informiert worden war.

War es denn zumindest zeitweilig für Deutschlan­d und die Deutschen wichtig, dass einer aus ihren Reihen ein so hohes und moralische­s Amt bekleiden durfte?

LÜTZ Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich in Madrid beim Weltjugend­tag über eine unübersehb­are Menge von über zwei Millionen jungen Menschen aus allen Ländern der Erde blickte, die wirklich begeistert und mit Liebe diesem kleinen bescheiden­en Deutschen zujubelten, und dachte, dass das ein Wunder sei – 66 Jahre nach dem von Deutschen vom Zaun gebrochene­n mörderisch­en Zweiten Weltkrieg. Aber die Deutschen haben ihm das nicht

Hat Benedikt mit seinem Verzicht dem Papstamt eine neue, menschlich­e Qualität gegeben? Oder wird seine Entscheidu­ng nur eine Episode in der Kirchenges­chichte bleiben? LÜTZ Benedikt selber hat diese Entscheidu­ng wahrschein­lich nicht als epochal wahrgenomm­en, sondern das eher pragmatisc­h gesehen. Solche Situatione­n wird es sicher auch künftig geben.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: CHRISTOPH HARDT/GEISLER-FOTOPRESS ?? Manfred Lütz.
FOTO: CHRISTOPH HARDT/GEISLER-FOTOPRESS Manfred Lütz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany