Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Inflation sinkt – teuer bleibt es
Ein Schock für Deutschlands Verbraucher: Die Teuerungsrate ist 2022 auf den höchsten Stand seit mehr als 70 Jahren gestiegen. Im Dezember gab es zwar Besserung, aber eine schnelle Entspannung ist laut Ökonomen nicht zu erwarten.
WIESBADEN/BERLIN Was die Verbraucher im Portemonnaie im vergangenen Jahr bereits gespürt haben, ist nun auch statistisch verbrieft: Die Inflationsrate ist 2022 auf den höchsten Stand seit mehr als 70 Jahren angeschnellt. Die Verbraucherpreise in Deutschland erhöhten sich um durchschnittlich 7,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag mitteilte. Ein größeres Plus hatte es im wiedervereinigten Deutschland noch nicht gegeben. 2021 lag die Inflation noch bei 3,1 Prozent. Der Hauptgrund für den sprunghaften Anstieg: Die höheren Preise für Energie und Lebensmittel.
Und doch gibt es auch ein Licht am Ende des Tunnels: Für das gerade begonnene Jahr 2023 sagen viele Experten eine leichte Entspannung voraus. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) etwa rechnet mit einem Rückgang der Inflation im Jahresverlauf auf 5,4 Prozent.
Worauf begründen die Forscher ihre Hoffnung auf ein Abflauen der starken Teuerung? Mut macht vor allem der unerwartet starke Rückgang der Inflation zum Jahresende: Niedrigere Energiepreise und die staatliche Abschlagszahlung für Erdgas ließen die Verbraucherpreise im Dezember 2022 nur noch um 8,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat steigen. Im November war die Teuerungsrate auf 10,0 Prozent gefallen, nachdem sie im Oktober mit 10,4 Prozent auf den höchsten Stand seit 1951 geklettert war.
Allerdings verteuerte sich im Dezember erneut die Energie als Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine: Dieser Posten kostete durchschnittlich 24,4 Prozent mehr als im Dezember 2021, nachdem im November sogar ein Plus von 38,7 Prozent zu Buche geschlagen hatte. Öl und in der Folge auch Benzin, Diesel und Heizöl waren zuletzt an den Weltmärkten deutlich billiger zu haben. Nahrungsmittel verteuerten sich diesmal um 20,7 Prozent, Dienstleistungen um 3,9 Prozent.
Entwarnung geben Experten noch
Verbraucherpreisindex, Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent
10 %
8 6 4 2 0 6,2 % 1992 94 96 2,4 0,1 2,8 98 2000 02 nicht: „Das Schlimmste bei der Inflation haben wir wohl überstanden“, sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. „Aber so richtig durchatmen können wir noch nicht.“So habe sich in NRW die sogenannte Kerninflation – bei der die Energie- und Lebensmittelpreise herausgerechnet werden – sogar beschleunigt, 04 06 3,4 -0,5 08 10 2,5 12 nämlich von 4,6 auf 4,9 Prozent. Das belege, dass mehr Unternehmen außerhalb des Energiesektors ihre hohen Strom-, Heiz- und Spritkosten auf die Verbraucher umwälzten.
Das könnte die Europäische Zentralbank (EZB) beunruhigen. Sie hat im Sommer ihre jahrelange Nullzinspolitik beendet und den Leitzins in vier Schritten auf mittlerweile -0,3 14 16 2,3 18 -0,3 20 10,4 2022 2,5 Prozent angehoben. Sie dürfte in diesem Jahr noch mehrfach nachlegen, um die Inflationsrate im Euroraum näher in Richtung der angestrebten zwei Prozent zu bringen. KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib sagte: „Es wäre ein Fehler, wenn die EZB sich verleiten ließe, die Straffung der Geldpolitik vorzeitig zu beenden.“
„Die Inflation ist hoch und wird nur nach und nach zurückgehen“, hatte jüngst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel prognostiziert. Anders sieht das der Wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf, Sebastian Dullien: „Mit dem deutlichen Rückgang dürfte nun die Kehrtwende bei der Inflation geschafft sein“, sagte er. „Solange es keinen neuen, heftigen Energiepreisschock gibt, dürften wir auf absehbare Zeit in Deutschland nun keine zweistelligen Inflationsraten mehr sehen.“Die Inflation sei aber nur so stark gefallen, weil der Staat im Dezember für viele Bürger die Abschlagzahlungen für Gas übernommen habe, gibt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zu bedenken. „Die Bürger werden wegen des zögerlichen Vorgehens der EZB noch lange unter einer hohen Inflation leiden, auch wenn die Gasund Strompreisbremsen die Inflation in diesem Jahr drücken sollten.“
Auch an den Devisenmärkten blieb eine Reaktion nicht aus. So gab der Wechselkurs des Euro am Dienstag nach der Bekanntgabe der Inflationsdaten aus Deutschland um mehr als einen Cent nach. Am Nachmittag wurde die Gemeinschaftswährung bei 1,0571 US-Dollar gehandelt. (mit dpa und trt)