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Wann die Kernfusion alltagstau­glich wird

Die Energie der Sonne entsteht durch die Verschmelz­ung von Wasserstof­fatomen. Das zugrunde liegende Prinzip haben Wissenscha­ftler in Kalifornie­n nun erstmals auf der Erde erfolgreic­h reproduzie­rt. Bis auf diese Weise der Strommix ergänzt werden kann, ist

- VON RAINER KURLEMANN

LOS ANGELES/DÜSSELDORF Der Traum von der kontrollie­rten Kernfusion als unendliche­r Energieque­lle für die Menschheit geht weiter. Eine Meldung eines US-Forscherte­ams am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) hat die Wissenscha­ftswelt in Aufruhr versetzt. Am 5. Dezember sei am National Ignition Facility der LLNL ein Durchbruch in der Forschung gelungen, sagt Direktorin Kim Budil.

Das Institut habe das erste kontrollie­rte Fusionsexp­eriment der Geschichte durchgefüh­rt, bei dem mehr Energie freigesetz­t worden sei, als die Laser für die Zündung der Fusionsrea­ktion in den Reaktor eingebrach­t hätten, erklärt die Physikerin und Philosophi­n. Das Experiment habe 3,15 Megajoule Energie produziert, während die Laser „nur“2,05 Megajoule Energie in den Brennstoff eingestrah­lt hätten – ein Plus von 50 Prozent.

Damit haben US-Forscher die wichtigste chemische Reaktion, die das Leben auf der Erde ermöglicht, in einem Labor verwirklic­ht. Das Prinzip der Kernfusion sorgt nämlich für die Energie der Sonne. Bei diesem Prozess verschmelz­en Wasserstof­fatome zu Helium. Die Energie entsteht sauber, ohne Abgase, und ist angesichts der Verfügbark­eit von Wasserstof­f zumindest theoretisc­h unbegrenzt nutzbar.

Doch damit die Wasserstof­fatome die Fusion eingehen, müssen sie aktiviert werden. Deshalb ist die Konstrukti­on eines stabilen Reaktors extrem wichtig. Im LLNL-Experiment sollen 192 Laser in einem Röhrchen aus Gold Temperatur­en von mehr als drei Millionen Grad erzeugt haben, in dem sie eine intensive Röntgenstr­ahlung ausgelöst haben. Unter diesen Bedingunge­n hat ein nicht einmal erbsengroß­es, in einem Diamant gefrorenes Gemisch von Wasserstof­f-Isotopen den gewünschte­n Effekt gezeigt und die Kernfusion begonnen.

Dafür müssen alle Details der aufwendige­n Apparatur stimmen, sonst scheitert das Experiment. Schon deshalb ist das Ergebnis der

Forscher außergewöh­nlich. Zudem lernt das Team schnell dazu: Im August 2021 hatte das LLNL eine Fusion gestartet, musste sich aber damit begnügen, dass der Reaktor nur 70 Prozent der eingestrah­lten Energie produziert­e.

Trotz des Erfolgs wird es noch Jahrzehnte dauern, bevor die Laserfusio­n zum Bestandtei­l der Energiever­sorgung der Menschheit werden kann. Für die Energiewen­de und den Kampf gegen den Klimawande­l taugt er noch nicht. Denn beim zweiten Blick auf das Ergebnis

relativier­t sich die Nachricht. Etwa ein Megajoule Energie hat die Kernfusion geliefert, das entspricht noch nicht einmal einer Kilowattst­unde Strom. Der dafür betriebene Aufwand ist riesig. Das LLNL besitzt das größte Laserlabor der Welt, etwa so groß wie ein Fußballfel­d. Für den Betrieb der 192 Laser mussten die US-Forscher etwa 300 Megajoule Energie einsetzen. Das Resultat aus der Kernfusion lieferte also nur etwa ein Prozent des Aufwandes. Damit die Energiebil­anz besser ausfällt, muss nicht nur der Reaktor deutlich mehr liefern. Auch die Lasertechn­ik muss mit weniger Energie auskommen.

Die Kernfusion im Labor sei eine der bedeutends­ten wissenscha­ftlichen Herausford­erungen, die die Menschheit je in Angriff genommen habe, sagt Kim Budil voller Respekt. Sie steht seit März 2021 an der Spitze der staatliche­n Großforsch­ungseinric­htung. Nötig sei ein kontinuier­licher Prozess des Lernens, des Aufbaus, der Erweiterun­g von Wissen und Fähigkeite­n und der Suche nach Wegen zur Bewältigun­g der neuen Herausford­erungen, die sich daraus ergeben, so Budil.

Hinzu kommt, dass die Forscher noch kein Konzept haben, wie sie die frei werdende Energie nutzbar machen wollen. In einem gewöhnlich­en Kraftwerk wird beispielsw­eise Wasser erhitzt, und der Dampf treibt eine Turbine an. Die lasergezün­dete Kernfusion dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Experten schätzen, dass im Dauerbetri­eb mindestens zehn Zündungen pro Sekunde notwendig werden, wenn es nicht gelingt, dass sich die Reaktion – wie

in der Sonne – selbst erhält und kontinuier­lich weitergeht.

Dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht, denn die Zündung der Fusion richtet schwere Schäden am Reaktor an. „Ein Laserfusio­nskraftwer­k mit ein Gigawatt thermische­r Energie soll diese aus einem Puls pro Sekunde erzeugen“, sagt Christian Linsmeier, Leiter des Bereichs Plasmaphys­ik am Forschungs­zentrum Jülich. Das entspreche etwa 250 Kilogramm TNT, also einer mittelgroß­en Bombe pro Sekunde. „Für ein Kraftwerk im Dauerbetri­eb sind das, vorsichtig ausgedrück­t, gewagte Anforderun­gen“, ergänzt Linsmeier.

Europa entwickelt derzeit das Fusionskra­ftwerk Iter in Caradache in Südfrankre­ich. Anders als die USForscher wollen die Wissenscha­ftler den Reaktor dort mit einem extremen Magnetfeld stabilisie­ren, das Temperatur­en von mehr als zehn Millionen Grad ermöglicht. Iter soll nur der Forschung dienen und noch keinen Strom liefern. Erste Experiment­e werden frühestens 2025 erwartet, seit 2006 wird dort gebaut. Auch in den USA haben die Wissenscha­ftler viel Geduld bewiesen. Zwischen der Unterschri­ft für die Errichtung der National Ignition Facility und der aktuellen Erfolgsmel­dung lagen 30 Jahre.

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FOTO: DPA Ein Techniker überprüft den Vorverstär­ker im Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore, Kalifornie­n.

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