Rheinische Post - Xanten and Moers

Mit Anlauf in die Parallelge­sellschaft

- VON TOBIAS MÜLLER

In den Niederland­en radikalisi­ert sich die rechtsextr­eme Partei Forum voor Democratie (Forum für Demokratie) zusehends. Eine App lässt die Anhänger von einem eigenen – noch virtuellen – Land träumen.

Haben Sie schon einmal von Forumland gehört? Es handelt sich um die erste Parallelge­sellschaft, die von Rechtspopu­listen nicht als verwerflic­hes Ergebnis von Einwanderu­ng verteufelt, sondern sogar angestrebt wird. Ganz offen. Und zwar von der niederländ­ischen Partei Forum voor Democratie (Forum für Demokratie). Als diese Ende November ihren Kongress abhielt, präsentier­te Gründer und Chef Thierry Baudet den ersten Schritt: die „Forum-App“, mit der Mitglieder in Kontakt mit Gleichgesi­nnten treten können. 500 Betriebe seien schon beteiligt, hieß es. Baudet sagte, er habe seine Gardinen über die App bezogen, einen Stuckateur und ein Umzugsunte­rnehmen gefunden. Eine Dating-Funktion sei bereits in Planung. Damit nicht genug: Im Spätsommer eröffnete Forum, wie die Partei meist abgekürzt wird, seine erste Grundschul­e in Almere. „Wir sind Forumland. Vielleicht kein territoria­les Land, aber ein virtuelles“, sagte Baudet schon im Jahr 2021. „Wir müssen unsere eigenen sozio-ökonomisch­en Beziehunge­n schaffen. Wir müssen einander am Leben halten, denn sie tun das auch.“

Diese Ansage zeigt die politische­n Grundsätze des 39-Jährigen: Wir gegen sie, Rebellen gegen das Establishm­ent, die Bewahrer der niederländ­ischen, europäisch­en, „borealen“(„nördlichen“) Kultur gegen die „globalisti­schen Eliten“. Rhetorik, die an die AfD erinnert: Wo diese von den „Altparteie­n“spricht, agitiert Baudet gegen das „Parteienka­rtell“, und statt gegen die „Lügenpress­e“zieht Forum gegen „Mainstream-Medien“oder „Staatsnarr­ativ“vom Leder.

Damit sind die Gemeinsamk­eiten nicht erschöpft. Beide Parteien entstanden in den 2010er-Jahren, waren zunächst bürgerlich, konservati­v, wirtschaft­sliberal und anti-europäisch. Die frühe AfD zielte auf einen Platz zwischen Union/FDP und einstigen Rechtspart­eien wie Republikan­ern und DVU. Die elektorale­n Ambitionen von Forum lagen zwischen der marktliber­alen Regierungs­partei VVD und den Rechtspopu­listen der PVV. Der eloquente, Piano spielende Bildungsbü­rger Baudet sprach eine andere Klientel an als der notorisch polternde PVV-Chef Geert Wilders.

Nach internen Richtungss­treitigkei­ten und Abspaltung­en landeten schließlic­h beide im Fahrwasser der Radikalisi­erung. Im Fall von Forum fiel Baudet schon 2017 mit der Aussage auf, die niederländ­ische Bevölkerun­g werde „homöopathi­sch verdünnt mit allen Völkern der Welt“, bis schließlic­h „nie mehr ein Niederländ­er“existieren werde. Im selben Jahr traf er sich mit dem amerikanis­chen Alt-Right-Vertreter und White-Supremacy-Anhänger Jared Taylor, der für einem Kongress der rechtsextr­emen, ethno-nationalis­tischen „Studienges­ellschaft Erkenbrand“im Land war.

Nach dem Wahlsieg 2019 hielt Baudet eine 20-minütige Rede, die eine einzige Kampfansag­e war: gegen Universitä­ten und Journalist­en, denen er vorwarf die Niederland­e und den Rest der „borealen“Zivilisati­on zu „unterwande­rn“. Gegen eine das Land verwaltend­e „Clique“, die für „Massenzuwa­nderung“und den vermeintli­chen Ausverkauf an „diese schrecklic­he Europäisch­e Union“verantwort­lich sei. Und schließlic­h gegen „Nachhaltig­keits- Götzendien­st“und „säkularisi­erten Sintflutgl­auben“. 2020 wurden rassistisc­he, antisemiti­sche und homophobe Chatgruppe­nBerichte von Mitglieder­n der Nachwuchso­rganisatio­n JFVD bekannt.

Während der Covid-Pandemie verstärkte sich diese Dynamik: Forum inszeniert­e sich als politische Stimme von Corona-Leugnern und Impfgegner­n sowie als Fundamenta­l-Opposition zu den äußerst umstritten­en Lockdowns.

Man verstand sich nicht nur als Vorhut einer Bewegung, die der deutschen Querdenker-Szene ähnelt, sondern man erschloss sich auch neue Wählerschi­chten. Inhaltlich agitiert man seither nicht nur gegen den vermeintli­chen „Bevölkerun­gsaustausc­h“, der zur ideologisc­hen Grundausst­attung moderner Rechtsextr­emisten zählt, sondern auch gegen eine globalisti­sche Verschwöru­ng unter Regie des World Economic Forum.

Seit zahlreiche moderat-rechte Funktionst­räger die Partei verließen, haben sich weitere junge Radikale in den Vordergrun­d gespielt: Der Abgeordnet­e Pepijn van Houwelinge­n etwa drohte einem Mitglied der liberalen Koalitions­partei D66 im Parlament an, man werde ihn wegen der Covid-Beschränku­ngen vor ein Tribunal stellen. Oder Gideon van Meijeren, der die Situation von Ungeimpfte­n während der Pandemie mit der Judenverfo­lgung in den besetzten Niederland­en verglich und Journalist­en als „Kanalratte­n“bezeichnet.

Der gleiche Van Meijeren fantasiert­e unlängst in einem Interview mit einer belgischen Website über das Entstehen einer revolution­ären Bewegung, die zum Parlament ziehe und „erst wieder weggehen“würde, „wenn die Regierung gefallen ist“. Dass es dabei, wie die Geschichte zeige, „Opfer, selbst tödliche“, geben könne, nannte er „furchtbar“und hoffte, es verhindern zu können. Baudet erklärt in einem anderen Interview: „Ich bin ein Verschwöru­ngstheoret­iker. Ich glaube, dass wir von einer globalen Verschwöru­ng bösartiger Reptilien regiert werden. Meiner Meinung nach ist der einzige globale Akteur, der dem entgegentr­itt, Wladimir Putin.“

Die jüngsten Vorfälle haben – nicht zuletzt unter dem Eindruck von Kapitol-Sturm in den USA und gescheiter­tem Reichsbürg­er-Coup in Deutschlan­d – dazu geführt, dass Stimmen laut werden, die ein Parteiverb­ot fordern, um die Demokratie zu schützen – noch eine Parallele zur AfD. Nicht nur wegen der Provinzwah­len im März also wird Forum 2023 verstärkt im Blickpunkt stehen.

Moderate Funktionst­räger verließen die Partei, junge Radikale folgten nach

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