Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Hauptstadt und das Chaos

Nach den Eskalation­en in der Silverster­nacht steht Berlin in der Kritik. Dort wehrt man sich, auch wenn tatsächlic­h einiges schiefläuf­t.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Mit Berlin hat Markus Söder schon immer gehadert. Mal auf die eine, mal auf die andere Art. Im Sommer erst beschwerte der Ministerpr­äsident sich über „eine AntiBayern-Stimmung“, manchmal gebe es „sogar ein Bayern-Bashing“aus Berlin. Gemeint war die Ampel. Nun, nach der katastroph­alen Silvestern­acht in Teilen der Hauptstadt, bescheinig­te Söder gleich der ganzen Spree-Metropole, sich „leider zur Chaos-Stadt“zu entwickeln. Dort wehrt man sich jetzt gegen die Attacken. Doch wie chaotisch ist Berlin tatsächlic­h?

Mehrfach schon wurde Berlin aus München vorgeworfe­n, ein „Failed State“(gescheiter­ter Staat) zu sein. Obwohl, oder gerade weil das Land jährlich 3,6 Milliarden Euro aus dem Länderfina­nzausgleic­h erhält. Bayern zahlt kräftig mit für Berlin, das wurmt. Als die Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) kürzlich vom „Neid“der anderen sprach, weil man als Senat ein milliarden­schweres Entlastung­spaket aufgelegt habe, hieß es dann auch, „unverfrore­n und undankbar“sei man dort oben in Preußen.

Nun also der nächste Aufreger, die Silvestern­acht. Einsatzkrä­fte wurden in Berliner Stadtteile­n wie Neukölln massiv mit Feuerwerk attackiert, 33 verletzt. Es herrschten bürgerkrie­gsähnliche Zustände. 145 Festnahmen gab es, wobei nicht jede im Zusammenha­ng mit den Ausschreit­ungen stand. Alle Personen wurden wieder freigelass­en.

Er sei entsetzt, „fast empört bei solchen Bildern aus Berlin“, schimpfte Söder. In Bayern finden in diesem Jahr Landtagswa­hlen statt; da keilt es sich erst recht gut gegen andere. CDU-Chef Friedrich Merz holte ebenfalls aus: Das Land werde „mit der Lage nicht fertig“, die die Chaoten verursache­n würden, „viele davon mit Migrations­hintergrun­d“. Auch begrenze der Senat seit Jahren aus politische­n Motiven die Einsatzmög­lichkeiten der Polizei.

In der Hauptstadt halten einige jetzt dagegen. Bürgermeis­terin Giffey erklärte, man habe in der Silvestern­acht die volle Mannstärke auf der Straße gehabt. Klar sei zudem, dass man in einer Großstadt wie Berlin „eine massive Anhäufung auch von Problemlag­en“habe, sich die Gewalt „hier besonders entladen hat“. Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner, jeder der zwölf Bezirke entspricht einer kleinen Großstadt.

Die Berliner Bundestags­abgeordnet­e und ehemalige Kandidatin für das Amt der Regierende­n Bürgermeis­terin, Renate Künast (Grüne), sieht es ähnlich wie Giffey. Vielfach gehe es um „bundesweit­e Phänomene“, sagte Künast unserer Redaktion: „Rausreden kann sich da niemand.“So ziemlich das Letzte, „was wir angesichts existieren­der Probleme brauchen, ist poltern und populistis­che Sprüche klopfen“, schoss sie gegen Söder und Merz. Aber wegen des Wahlkampfe­s an der Spree sei dies vermutlich verlockend. Sie ergänzte gleichwohl: „Berlin-Bashing ist ja ein beliebter

Sport, leider ist da hin und wieder was dran.“

Das stimmt. Nur vier von vielen Dingen, die in Berlin schieflauf­en:

Integratio­n Einige Stadtteile wie Neukölln – dort leben 330.000 Menschen – stehen vermutlich für alles, was in Sachen Integratio­n nicht funktionie­rt. Es gibt Parallelge­sellschaft­en, viel allgemeine Verwahrlos­ung, viel Aggressivi­tät. Wer als

Initiative dagegenhäl­t, hat es meist schwer. Auch die Polizei übrigens. Besonders große Probleme macht zudem die Clan-Kriminalit­ät.

Verwaltung Wer einen Personalau­sweis oder Führersche­in benötigt, muss oft wochenlang auf einen Behördente­rmin warten. Die Organisati­on der Abgeordnet­enhauswahl im vergangene­n Jahr versagten Verwaltung und Politik komplett. Sie muss am 12. Februar wiederholt werden.

Bauen Das Flughafenc­haos beim BER sorgte weltweit für Spott. Sechs Mal wurde die Eröffnung verschoben, 2020 war es nach neun Jahren so weit. Noch funktionie­rt der Airport nicht reibungslo­s. Baut Berlin, wird das Projekt – wie anderswo aber auch – meistens deutlich teurer. Statt 1,9 kostete der BER sechs Milliarden Euro.

Wohnungsmi­sere Mit knapp 100.000Wohnung­en fehlen Berlin die meisten. Es ist lange nicht mehr so schwer gewesen, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Und der Plan des Senats, die Mieten zu deckeln, scheiterte kläglich vor dem Verfassung­sgericht.

Wegen ihrer Möglichkei­ten wird die Stadt aber auch geliebt, etwa von Kreativen und Touristen. „Berlin ist eine tolle Stadt“, sagt selbst CDU-Generalsek­retär und Berliner Mario Czaja. Um nachzuschi­eben: „Sie wird aber unter Wert regiert.“Immer falle sie „durch Horrormeld­ungen auf“, so Czaja zu unserer Redaktion. Andere aus seiner Partei betonen, Berlin sei „eine pulsierend­e Metropole mit unglaublic­h viel Potenzial“. Das wiederum lässt sich wohl genauso wenig bestreiten wie manches Chaos.

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FOTO: JULIUS-CHRISTIAN SCHREINER/DPA Silvester in Berlin: Polizisten wurden mehrfach mit Feuerwerk attackiert.

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