Rheinische Post - Xanten and Moers
Ministerin mit Hang zu Fettnäpfchen
Trotz heftiger Kritik an ihrem Silvestervideo kann Christine Lambrecht offenbar auf Rückhalt des Kanzlers bauen. Eine mögliche Kabinettsumbildung könnte Olaf Scholz jedoch neuen personellen Spielraum verschaffen.
BERLIN Silvester ist vorbei. Doch der Rauch hat sich noch nicht verzogen. Markus Söder und Friedrich Merz greifen einen Böller politisch dankbar auf. Abgeschossen hat ihn die Verteidigungsministerin höchstpersönlich. Ausgerechnet. Christine Lambrecht sinnierte in der Silvesternacht in einem privat produzierten Video über das abgelaufene Jahr. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, sagt sie – während im Hintergrund Abschussgeräusche von Knallkörpern und das Zischen von SilvesterRaketen zu hören sind. Eine bizarre Szenerie. Fast wirkt es, als stünde die SPD-Politikerin gerade selbst im Kriegsgebiet.
Für die Unions-Spitze ein gefundenes Fressen zu Beginn des neuen Jahres. In einem Doppelinterview mit dem „Münchner Merkur“fordern sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder nun den Rücktritt der Ministerin. Für Oppositionsführer Merz zugleich auch eine willkommene Gelegenheit zur Attacke auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Wie lange will sich der Bundeskanzler das eigentlich noch anschauen? Jede Stunde, die Frau Lambrecht noch länger im Amt bleibt, schwächt mittlerweile die Autorität des Bundeskanzlers“, versucht Merz aus diesem nächsten Fehltritt der Verteidigungsministerin gleich auch eine Schwäche des Bundeskanzlers abzuleiten. Lambrecht sei frei von Sachkompetenz und mit der Aufgabe „vollkommen überfordert“, lästert Merz. Auch Söder poltert gegen die Ministerin: „Frau Lambrecht klebt fester an ihrem Amt als mancher Klimakleber auf der Straße.“
Lambrecht wird für Scholz allmählich zur „Ministerin Fettnäpfchen“– und zum Problem. Die 57 Jahre alte SPD-Politikerin fällt nicht das erste Mal mit einem Fehltritt auf, bei dem sich Privates oder Persönliches unangemessen mit ihrem politischen Amt mischt. Erst sorgte ihr Auftritt mit zum Gelände unpassenden Stöckelschuhen im roten Wüstensand beim Anti-Terror-Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten für Schlagzeilen. Dann produzierte ein Foto Nachfragen, das ihren Sohn vor einem Mitflug in einem Regierungshubschrauber auf dem Weg zu einem Truppenbesuch zeigt. Der 21-Jährige hatte das Bild bei Instagram veröffentlicht.
Schlagzeilen, über die sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geärgert haben dürfte, der die Juristin, die sich eigentlich aus der Politik zurückziehen wollte, für viele überraschend auf den Posten der Verteidigungsministerin befördert hatte. Lambrecht musste später im Jahr in der Sache sogar vor Gericht Auskunft darüber geben, wer das Foto gemacht hatte: sie selbst. Nun eben das Silvestervideo, privat aufgenommen und verbreitet, in dem Lambrecht wegen des Böllerlärms teilweise kaum zu verstehen ist.
Gleichwohl hat Lambrecht weiterhin öffentlichen Rückhalt des Bundeskanzlers. Auf die Frage, ob die Verteidigungsministerin weiter das uneingeschränkte Vertrauen des
Bundeskanzlers genieße, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Mittwoch: „Ja, selbstverständlich.“Er bekräftigte: „Der Bundeskanzler arbeitet gut und vertrauensvoll mit allen Kabinettskolleginnen und -kollegen zusammen. Und das gilt selbstverständlich auch für die angesprochene Ministerin.“
Mit Interesse wird nun erwartet, ob und wie sich die SPD auf der Jahresauftaktklausur ihrer Bundestagsfraktion in der kommenden Woche zu der Ministerin stellt. Schon kursieren – wie in solchen Fällen üblich – Namen möglicher Nachfolgerinnen. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), wird genannt, ebenso die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller (SPD).
Womöglich kommt es in nächster Zeit ohnehin zu einer Kabinettsneubesetzung
und damit zu personellem Spielraum für Scholz. Bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wird erwartet, dass sie in den nächsten Wochen ihre Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im kommenden Herbst in Hessen bekanntgeben wird. Faeser könnte allerdings bis zur Landtagswahl auch Innenministerin bleiben.
Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, inzwischen stellvertretender Außenminister seines Landes in Kiew, wollte am Mittwoch auf Lambrechts verböllerte Silvesteransprache nicht weiter eingehen. Die Menschen in der Ukraine hätten aktuell ganz andere Sorgen, erklärte Melnyk im Deutschlandfunk. Lambrecht wisse sehr genau, was die Ukraine aktuell benötige: Kampfpanzer, Munition, Artilleriesysteme. „Ich hoffe, dass Deutschland nachlegt“, so Melnyk.