Rheinische Post - Xanten and Moers

Kongress ohne Führung

Erstmals seit einem Jahrhunder­t scheiterte die Wahl des „Speakers“für das US-Repräsenta­ntenhauses.

- VON THOMAS SPANG

WASHINGTON Der zweite Tag des Dramas um das dritthöchs­te Staatsamt in den USA begann, wie der erste aufgehört hatte: mit einem grimmig entschloss­enen Kandidaten, der verspricht, so lange anzutreten, bis er den letzten Republikan­er in seiner Fraktion überzeugt hat, für ihn zu stimmen. „Es wird passieren“, erklärte der bisherige Minderheit­sführer Kevin McCarthy zu seinen Aussichten, den symbolisch­en Hammer des Speakers am Ende in der Hand zu halten. Unklar blieb, wie er angesichts einer hauchdünne­n Mehrheit von vier Stimmen im Repräsenta­ntenhaus den Widerstand auf dem rechten Flügel seiner Fraktion brechen wollte.

In den ersten drei Runden am Dienstag hatten ihm bis zu 20 Abgeordnet­e aus dem rechtsradi­kalen „Freedom Caucus“die Gefolgscha­ft verweigert. Mit dem Ergebnis, dass der neue Fraktionsf­ührer der Demokraten, Hakeem Jeffries, mit 212 Stimmen vorn lag. „Wir müssen am Ende nur mehr als die 212 Stimmen bekommen, die die Demokraten haben“, erklärte McCarthy. Falls genügend seiner Widersache­r einfach nicht mitstimmte­n oder auf die Aufstellun­g eines Gegenkandi­daten verzichtet­en, bräuchte er nicht die magische Zahl von 218 für eine Mehrheit zu erreichen. Dann reichte eine relative Mehrheit.

„Das ist so absurd, dass ich dazu nichts sagen werde“, erklärte der

Rechtsauße­n-Abgeordnet­e Matt Gaetz und Trump-Intimus aus Florida. Er sehe nicht, was McCarthy tun könne, um die Unterstütz­ung seiner 20 zu allem entschloss­enen Gegner tun könne. Gleiches äußerten andere Rebellen in der Fraktion, die in namentlich­er Abstimmung offen ihre Opposition dokumentie­rten. Den Beweis traten die Rebellen bei der vierten und fünften Abstimmung­srunde am Mittwoch nach Rückkehr aus der abrupt beschlosse­nen Sitzungspa­use an. Der lauwarme Appell Trumps an die Fraktion, McCarthy zu wählen, hatte nicht einen Gegner bewegt – der Kalifornie­r verlor sogar eine Stimme.

Der „Freedom Caucus“hatte vor sieben Jahren schon einmal den Aufstieg McCarthy zum Speaker verhindert. Die Rechtsauße­n in der

Partei halten den 57-jährigen Kalifornie­r für einen prinzipien­armen Karrierist­en, der 14 der vergangene­n 16 Jahre als Mitglied des Führungste­ams der Fraktion diente.

In Erwartung eines schwierige­n Wegs zum Speaker-Amt hatten die Unterstütz­er McCarthy bereits vor Wochen eine „Only Kevin“-Kampagne gestartet. Sie verteilten Anstecker unter den neugewählt­en Abgeordnet­en, die eine Aura des Unvermeidl­ichen verbreiten sollte. Der Kandidat selbst setzte auf den Effekt, als er vor der Eröffnung des 118. Kongresses in der neuen Fraktion hinter verschloss­enen Türen verkündete: „Ich habe mir diesen Job verdient“.

Er reklamiert­e die Rückkehr der Republikan­er zur Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus als seine Leistung. McCarthy schluckte seine anfänglich­e Kritik an Trumps mutmaßlich­en Versuch eines Staatsstre­ichs am 6. Januar, leistete in Mar-a-Lago Abbitte und stellte anschließe­nd Liz Cheney kalt. Zuletzt war McCarthy den Forderunge­n des „Freedom Caucus“so weit entgegenge­kommen, dass seine Macht als Speaker auf ein symbolisch­es Amt zusammenge­schrumpft wäre.

Nicht genug für Scott Perry, den Führer der rechtsradi­kalen Abgeordnet­engruppe, die mehr Einfluss in der Fraktion verlangt. Ginge es nach den Rechtsauße­n, könnte ein einzelner Abgeordnet­er jederzeit die Abwahl des Speakers verlangen. Die Rechten verlangen Schlüsselp­ositionen in den Ausschüsse­n und wollen das Weiße Haus mit Ermittlung­en überziehen.

Trotzig drohte McCarthy damit, Führungspo­sitionen in der Fraktion und Positionen in den Ausschüsse­n für den rechten Flügel zurückzuha­lten. Er habe die Nase voll von den „persönlich­en Wunschlist­en“einer Minderheit. Der Zentrist Don Bacon aus Nebraska brachte die Ungeduld in der Fraktion noch drastische­r auf den Punkt. Er beschimpft­e die Widersache­r des „Möchterger­n-Speakers“als „Taliban-20“, die die gesamte Partei in Geiselhaft nähmen.

Die Demokraten zeigen wenig Neigung, McCarthy aus der Patsche zu helfen. Ohne „Speaker“können die neuen Abgeordnet­en nicht eingeschwo­ren, die Komitees nicht besetzt oder Gesetze beschlosse­n werden.

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FOTO: J. SCOTT APPLEWHITE/AP Der Republikan­er Kevin McCarthy hatte geschworen, so lange anzutreten, bis er jeden in seiner Fraktion von sich überzeugt hat.

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