Rheinische Post - Xanten and Moers
Kongress ohne Führung
Erstmals seit einem Jahrhundert scheiterte die Wahl des „Speakers“für das US-Repräsentantenhauses.
WASHINGTON Der zweite Tag des Dramas um das dritthöchste Staatsamt in den USA begann, wie der erste aufgehört hatte: mit einem grimmig entschlossenen Kandidaten, der verspricht, so lange anzutreten, bis er den letzten Republikaner in seiner Fraktion überzeugt hat, für ihn zu stimmen. „Es wird passieren“, erklärte der bisherige Minderheitsführer Kevin McCarthy zu seinen Aussichten, den symbolischen Hammer des Speakers am Ende in der Hand zu halten. Unklar blieb, wie er angesichts einer hauchdünnen Mehrheit von vier Stimmen im Repräsentantenhaus den Widerstand auf dem rechten Flügel seiner Fraktion brechen wollte.
In den ersten drei Runden am Dienstag hatten ihm bis zu 20 Abgeordnete aus dem rechtsradikalen „Freedom Caucus“die Gefolgschaft verweigert. Mit dem Ergebnis, dass der neue Fraktionsführer der Demokraten, Hakeem Jeffries, mit 212 Stimmen vorn lag. „Wir müssen am Ende nur mehr als die 212 Stimmen bekommen, die die Demokraten haben“, erklärte McCarthy. Falls genügend seiner Widersacher einfach nicht mitstimmten oder auf die Aufstellung eines Gegenkandidaten verzichteten, bräuchte er nicht die magische Zahl von 218 für eine Mehrheit zu erreichen. Dann reichte eine relative Mehrheit.
„Das ist so absurd, dass ich dazu nichts sagen werde“, erklärte der
Rechtsaußen-Abgeordnete Matt Gaetz und Trump-Intimus aus Florida. Er sehe nicht, was McCarthy tun könne, um die Unterstützung seiner 20 zu allem entschlossenen Gegner tun könne. Gleiches äußerten andere Rebellen in der Fraktion, die in namentlicher Abstimmung offen ihre Opposition dokumentierten. Den Beweis traten die Rebellen bei der vierten und fünften Abstimmungsrunde am Mittwoch nach Rückkehr aus der abrupt beschlossenen Sitzungspause an. Der lauwarme Appell Trumps an die Fraktion, McCarthy zu wählen, hatte nicht einen Gegner bewegt – der Kalifornier verlor sogar eine Stimme.
Der „Freedom Caucus“hatte vor sieben Jahren schon einmal den Aufstieg McCarthy zum Speaker verhindert. Die Rechtsaußen in der
Partei halten den 57-jährigen Kalifornier für einen prinzipienarmen Karrieristen, der 14 der vergangenen 16 Jahre als Mitglied des Führungsteams der Fraktion diente.
In Erwartung eines schwierigen Wegs zum Speaker-Amt hatten die Unterstützer McCarthy bereits vor Wochen eine „Only Kevin“-Kampagne gestartet. Sie verteilten Anstecker unter den neugewählten Abgeordneten, die eine Aura des Unvermeidlichen verbreiten sollte. Der Kandidat selbst setzte auf den Effekt, als er vor der Eröffnung des 118. Kongresses in der neuen Fraktion hinter verschlossenen Türen verkündete: „Ich habe mir diesen Job verdient“.
Er reklamierte die Rückkehr der Republikaner zur Mehrheit im Repräsentantenhaus als seine Leistung. McCarthy schluckte seine anfängliche Kritik an Trumps mutmaßlichen Versuch eines Staatsstreichs am 6. Januar, leistete in Mar-a-Lago Abbitte und stellte anschließend Liz Cheney kalt. Zuletzt war McCarthy den Forderungen des „Freedom Caucus“so weit entgegengekommen, dass seine Macht als Speaker auf ein symbolisches Amt zusammengeschrumpft wäre.
Nicht genug für Scott Perry, den Führer der rechtsradikalen Abgeordnetengruppe, die mehr Einfluss in der Fraktion verlangt. Ginge es nach den Rechtsaußen, könnte ein einzelner Abgeordneter jederzeit die Abwahl des Speakers verlangen. Die Rechten verlangen Schlüsselpositionen in den Ausschüssen und wollen das Weiße Haus mit Ermittlungen überziehen.
Trotzig drohte McCarthy damit, Führungspositionen in der Fraktion und Positionen in den Ausschüssen für den rechten Flügel zurückzuhalten. Er habe die Nase voll von den „persönlichen Wunschlisten“einer Minderheit. Der Zentrist Don Bacon aus Nebraska brachte die Ungeduld in der Fraktion noch drastischer auf den Punkt. Er beschimpfte die Widersacher des „Möchtergern-Speakers“als „Taliban-20“, die die gesamte Partei in Geiselhaft nähmen.
Die Demokraten zeigen wenig Neigung, McCarthy aus der Patsche zu helfen. Ohne „Speaker“können die neuen Abgeordneten nicht eingeschworen, die Komitees nicht besetzt oder Gesetze beschlossen werden.