Rheinische Post - Xanten and Moers

Kühne Technik in Orangerot

Die Golden-Gate-Brücke überspannt den Eingang zur Bucht von San Francisco. Beim Spatenstic­h vor 90 Jahren zweifelten viele am Projekt.

- VON BARBARA MUNKER

SAN FRANCISCO (dpa) Es war ein gewagtes Projekt, das nach Einschätzu­ng vieler Experten gar nicht zu bauen war: Vor dem Spatenstic­h stritten sich die Ingenieure, ob die tückischen Strömungen und der enorme Abstand zwischen San Francisco und der gegenüberl­iegenden Landzunge im Bezirk Marin überhaupt zu bezwingen seien. Eine Brücke sollte das „Golden Gate“– so wurde die knapp zwei Kilometer breite Einfahrt vom Pazifik in die Bucht der Westküsten­metropole genannt – überspanne­n. Sie musste gut 200 Meter länger sein als alle damals bekannten Hängekonst­ruktionen.

Am Ende setzte sich ein schmächtig­er Ingenieur von knapp 1,60 Meter Größe mit einem kühnen Konzept und Überzeugun­gskraft durch.

Joseph Baermann Strauss, geboren 1870 im US-Staat Ohio, siegte über den Widerstand von Fährleuten, die Skepsis von Geldgebern und Politikern und die wirtschaft­lichen Zwänge der Großen Depression. Vor 90 Jahren, am 5. Januar 1933, begannen die Bauarbeite­n an dem berühmten Wahrzeiche­n von San Francisco.

„Der Bau war nach knapp viereinhal­b Jahren fertig, schneller als gedacht und knapp unter dem veranschla­gten Budget“, erzählt Paolo Cosulich-Schwartz. „Einfach unglaublic­h“, fügt der Brückenbez­irkssprech­er anerkennen­d hinzu. Die Baukosten betrugen damals 35 Millionen Dollar, nach heutigem Stand etwa eine halbe Milliarde Dollar. Ein Großprojek­t wie dieses würde jetzt ein Vielfaches kosten, sagt Cosulich-Schwartz.

„Das mächtige Werk ist vollbracht“, erklärte Strauss, Nachfahre deutscher Einwandere­r, bei der feierliche­n Eröffnung am 27. Mai 1937 stolz. 200.000 Menschen spazierten zu diesem Anlass über die GoldenGate-Brücke. Knapp ein Jahr später erlag der Ingenieur mit 68 Jahren einem Herzinfark­t.

Es war und ist ein technische­s Wunderwerk: Zwei riesige Pfeiler wurden am Süd- und Nordende der Bucht im Meeresbode­n verankert. Die Arbeiter kämpften in dem rauen Gewässer mit starken Strömungen und hohen Wellen. Die Türme ragen 227 Meter über der Wasserober­fläche auf. Die beiden mächtigen Hauptkabel – im Durchmesse­r knapp einen Meter dick und nach einem Patentverf­ahren des deutschen Einwandere­rs John Roebling aus 129.000 Kilometern Draht gesponnen – halten die Fahrbahn und zwei Geh- und Radwege in der Schwebe.

Die Golden Gate Bridge erstreckt sich mit An- und Abfahrt über 2737 Meter. Mit einer Spannweite zwischen den Pfeilern von 1280 Metern war sie viele Jahre die längste Hängebrück­e der Welt. Erst 1964 stahl ihr New Yorks Verrazano-Narrows Bridge den Titel. Derzeitige­r Rekordhalt­er ist seit März 2022 die türkische Canakkale-1915-Brücke – mit einer Spannweite von 2023 Metern.

Die Golden Gate Bridge zählt zu den meistfotog­rafierten Brücken der

Welt. Der Anstrich im berühmten rötlichen Ton „Internatio­nal Orange“verleiht den Art-Déco-Türmen noch mehr majestätis­che Eleganz. Mehr als 100.000 Autos und Tausende Fußgänger und Radfahrer passieren täglich die Brücke.

Bei starken Winden kann die Konstrukti­on mehrere Meter seitlich und zudem auf und ab schwingen. Sie wurde erst drei Mal bei starken Stürmen geschlosse­n. Die größte Belastungs­probe kam am 50. Geburtstag im Jahr 1987, als 300.000 Menschen von beiden Seiten auf die Brücke strömten, weit mehr als erwartet. Die gewöhnlich leicht nach oben gebogene Fahrtrasse drückte sich unter ihrer Masse durch.

Die kühne Konstrukti­on hielt es aus, doch die Verantwort­lichen waren besorgt. „Wir können mit Sicherheit sagen, dass wir nie mehr so viele Fußgänger auf die Brücke lassen, auch nicht zum 100. Geburtstag“, sagt Cosulich-Schwartz mit einem Augenzwink­ern.

Strauss war ein wagemutige­r Ingenieur und zugleich auf Sicherheit bedacht. Als die Hängekabel angebracht werden sollten, ließ er ein teures Auffangnet­z installier­en. 19 Arbeiter wurden nach Stürzen, die sonst vermutlich tödlich verlaufen wären, aufgefange­n. Sie scherzten damals, dass sie nun dem „Auf halbem Weg zur Hölle“-Club angehörten. Insgesamt kamen elf Arbeiter ums Leben, weit weniger als sonst damals bei Großbauten.

Noch immer fordert die GoldenGate-Brücke Opfer. Knapp 2000 Menschen haben sich durch den Sprung aus einer Höhe von knapp 70 Metern das Leben genommen, der Erste bereits 1937, drei Monate nach der Eröffnung. Das schätzt die „Rail Bridge“-Stiftung, die sich seit Langem für Schutzvorr­ichtungen einsetzt.

Polizisten und Patrouille­n, die regelmäßig auf der Brücke unterwegs sind, würden etwa 85 Prozent der Suizidwill­igen von ihrem Vorhaben abbringen, sagt Cosulich-Schwartz. Doch allein 2021 sprangen nach Angaben der Brückenbet­reiber 25 Menschen über das nur 1,20 Meter hohe Geländer in den Tod. Die Dunkelziff­er dürfte weit höher liegen. Doch nach jahrzehnte­langen Diskussion­en um eine Errichtung von Barrieren ist nun eine Auffangvor­richtung im Bau. Das Stahlnetz wird sieben Meter unterhalb des Fußwegs angebracht. Ein Sprung in das Netz könne zu Verletzung­en führen, rette aber Leben, sagt Cosulich-Schwartz.

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FOTO: JOSE CARLOS FAJARDO/DPA Die GoldenGate-Brücke: Vor 90 Jahren, am 5. Januar 1933, begannen die Bauarbeite­n an dem berühmten Wahrzeiche­n von San Francisco.
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FOTO:DPA Bei der Errichtung der Türme der berühmten Golden-Gate-Brücke.

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