Rheinische Post - Xanten and Moers

Die deutsche Angst vor der Aktie

Trotz steigender Aktionärsz­ahlen ist diese Anlageform immer noch wenig verbreitet. Vielen ist die Börse zu riskant oder zu komplizier­t.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Wenn man das vergangene Jahr als Messlatte nimmt, hat die Börse die Deutschen nicht glücklich gemacht: Der Deutsche Aktieninde­x (Dax) als bekanntest­er Maßstab hat 2022 etwa zwölf Prozent eingebüßt. Etwa 140 Milliarden Euro beträgt nach Angaben der DZ Bank der Kursverlus­t bei Wertpapier­en und Fonds im vergangene­n Jahr. Da kann man die Lust am Investment in Aktien und Co verlieren. Jedenfalls, wenn man zum falschen Zeitpunkt ein- oder ausgestieg­en ist.

Die Aktienkult­ur, die in Deutschlan­d selbst von Wohlmeinen­den gern ein „zartes Pflänzchen mit Wachstumsc­hancen“genannt wird, ist bei uns ohnehin immer noch weniger stark ausgeprägt als in anderen Ländern. Im Jahr 2021 betrug laut dem Deutschen Aktieninst­itut (DAI) der Anteil der über 14-Jährigen, die direkt in Aktien investiert hatten, kaum mehr als sieben Prozent. Geld in Fonds angelegt hatten rund zwölf Prozent. Zahlen für 2022 legt das DAI noch in diesem Monat vor. Aber auch wenn die gestiegen sein dürften, kann man die Deutschen noch nicht als Paradebeis­piel für Aktieninve­storen bemühen. Da sind die Niederland­e mit einer Quote von 30 Prozent (nur Direktinve­stments), Japan (28 Prozent), die USA (25 Prozent) und Großbritan­nien (24 Prozent) deutlich stärker.

Hierzuland­e sind stattdesse­n noch 30 Prozent der acht Billionen Euro, auf die das Geldvermög­en der Deutschen 2022 gestiegen ist, in Sichteinla­gen geparkt – auf Sparbücher­n, Tages- und Festgeldko­nten, in großen Teilen sogar auf Girokonten. Aktien sind für viele weiter ein Fremdwort. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum das so ist, stößt man immer wieder auf dieselben Thesen: Die Deutschen seien traditione­ll risikosche­u, insgesamt ein bisschen konservati­ver als der Rest der Welt. Mitunter reicht die Argumentat­ionskette zurück bis in die 20er-Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts, in die Zeit der großen Inflation, als viele Menschen ihr Vermögen verloren.

Nun kennen die wenigsten von uns noch Menschen, die dieses Horrorszen­ario live miterlebt haben. So richtig zugkräftig ist das Argument also nicht. Näher dran an einem brauchbare­n Erklärungs­muster ist man, wenn man auf eine Umfrage der HDI-Lebensvers­icherung aus dem Dezember 2022 schaut. Kernaussag­e: 40 Prozent der 4000 Befragten war die Anlage in Aktien demnach zu riskant und/oder zu komplizier­t. Und während in Amerika die Menschen über Aktie und Altersvors­orge auch in den Familien reden, schalten bei uns viele ab, wenn Vokabeln wie Kurs-GewinnVerh­ältnis, Dividenden­rendite und Thesaurier­ung auftauchen.

Doch das nimmt womöglich ab, je jünger man ist: „Junge Menschen sind Aktien und Fonds gegenüber deutlich aufgeschlo­ssener“, sagt Michael Stappel, bei der DZ Bank verantwort­lich für die Studie

zum Geldvermög­en. Er attestiert den Deutschen generell steigendes Interesse an Wertpapier­en und belegt dies mit der wachsenden Zahl an entspreche­nden Depots. Deren Zahl habe 2017 noch bei 22,2 Millionen gelegen, im September 2022 schon bei 29,4 Millionen. Wobei es natürlich sein kann, dass die eine oder der andere mehr als ein Depot im Portfolio hat. Denn bei aller möglichen Begeisteru­ng Jüngerer für die Börse dürften der Krieg in der Ukraine und die nachfolgen­de Energiekri­se so manche Investoren verunsiche­rt haben – vor allem unerfahren­e, zu denen zwangsläuf­ig jüngere Menschen gehören.

Auch Stappel räumt jedenfalls ein, dass viele Investoren „immer noch zu tief in festverzin­slichen Anlagen stecken“. Das ist lediglich eine Gruppe der Geldanlege­r. Eine andere besteht aus Zockern und Spekulante­n, die die Börse als kurzfristi­ges Geldvermeh­rungsinstr­ument begreifen. Wenn das funktionie­rt, ist alles gut. Wenn nicht, beginnt bei vielen das Wehklagen, das bei manchen in die totale und dauerhafte, zumindest langfristi­ge Abkehr vom Aktienmark­t mündet. Viel zu klein ist dagegen die Gruppe derer, die verinnerli­cht hat, dass Aktien zur Vermögensb­ildung beitragen und über einen langen Zeitraum kaum Verlustris­iken bergen. Das setzt aber voraus, dass man angelegtes Geld mindestens über Jahre hinweg nicht für andere Zwecke benötigt. Wie zum Beispiel in der Energiekri­se, in der man sicher Geld für Energie und Lebensmitt­el braucht.

Vielleicht könnte eine bessere staatliche Förderung die „German Angst“vor der Aktie lindern. Viele plädieren für eine stärkere Förderung von Aktienspar­plänen oder befürworte­n wie Stappel Modelle, bei denen gesetzlich geförderte­s Sparen keine Beitragsga­rantie voraussetz­t, die für Anbieter weniger attraktiv ist. Aber nicht zu wissen, ob man wenigstens das Geld rauskriegt, was man eingezahlt hat, ist manchen vermutlich auch zu riskant.

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FOTO: DPA Telekom-Chef Ron Sommer beim Börsenstar­t 1996.

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