Rheinische Post - Xanten and Moers
„Wer Polizisten angreift, greift den Staat an“
Der Beamtenbundchef fordert Ehrlichkeit: An den Silvester-Randalen seien meist Männer mit Migrationshintergrund beteiligt gewesen.
Herr Silberbach, was ging in Ihnen bei den Bildern der Gewaltexzesse in der Silvesternacht vor? SILBERBACH Ich habe gedacht: „Nicht schon wieder!“Das ist ja kein neues Thema und nicht auf den 31. Dezember beschränkt. Nehmen Sie Karneval, Maikundgebungen und andere Großevents. Ein Teil der Bevölkerung macht sich einen Spaß daraus, Polizei- und Rettungskräfte tätlich anzugreifen. Von den Beleidigungen spricht ja schon keiner mehr. Dann fällt es zunehmend schwer, Menschen für diese Jobs zu motivieren. Wir müssen uns fragen, wie wir die Beschäftigten besser schützen können.
Benötigen wir aus Ihrer Sicht ein Böllerverbot und härtere Strafen gegen Randalierer?
SILBERBACH Die Politik muss zunächst mal mit ihren Schaufensterreden aufhören. Wir brauchen nicht noch mehr Studien und Lagebilder. Das ist hilfloser Aktionismus, der am Thema vorbeigeht. Unsere Kollegen stehen da draußen im wahrsten Sinn des Wortes im Feuer. Wir brauchen auch keine Gesetzesverschärfung, die geltenden müssen nur konsequent angewandt werden.
Sie sehen ein Vollzugsproblem? SILBERBACH Exakt. Die Personallücke im öffentlichen Dienst liegt bei 360.000. Der Personalmangel bei der Inneren Sicherheit betrifft nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz. An Silvester gab es Hunderte Festnahmen. Dann wurden aber nur die Personalien aufgenommen und die Leute nach 24 Stunden auf freien Fuß gesetzt. Das versteht doch kein Mensch. Für eine adäquate Strafverfolgung bräuchte es Staatsanwaltschaften, die personell so gut ausgestattet sind, dass sie mit der Fülle an Verfahren klarkommen. Flankiert wird das vom Richtermangel. Es sorgt doch für Frust in der Bevölkerung, wenn Randalierer ungeschoren davonkommen, weil Verfahren verfristen. So erzeugen Sie außerdem bei den Tätern den Eindruck, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Der Respekt vor dem Staat kommt bei einer bestimmten Klientel völlig abhanden.
Diskutiert wird derzeit insbesondere der hohe Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sehen Sie da einen Zusammenhang? SILBERBACH Ich will da gar nicht herumeiern, so wie es die Politik derzeit leider tut. Wenn man sich die Silvester-Bilder aus Berlin anschaut, gibt es überhaupt keinen Zweifel, dass das weit überwiegend junge Männer mit Migrationshintergrund sind. Das ist auch keine Pauschalverurteilung, wenn man das so klar benennt. Migrantische Nachbarn und Geschäftsinhaber in Neukölln sind doch genauso entsetzt und nennen das Kind beim Namen. Nur unsere Politik schwurbelt rum, statt den eigenen Beschäftigten den Rücken zu stärken. Die Botschaft muss sein:
Wer Polizisten oder Rettungskräfte angreift, greift den Staat an und wird mit der vollen Härte verfolgt und bestraft.
Nordrhein-Westfalen hat gerade sein Ziel verfehlt, 3000 Polizisten einzustellen. Laufen wir Gefahr, dass der Staat langfristig seine Handlungsfähigkeit verliert? SILBERBACH Streichen Sie das Wort „langfristig“. Wir stehen unmittelbar davor, die Handlungsfähigkeit zu verlieren – nicht nur bei der Inneren Sicherheit. Um die vielen Krisen
und Transformationsprozesse zu bewältigen, brauchen wir einen funktionierenden Staatsapparat. Dazu müssen wir mehr junge Menschen gewinnen. Da ist der Öffentliche Dienst aber ganz schlecht aufgestellt. Viel zu lang haben sich die Arbeitgeber damit gerühmt, sie würden zwar nicht am meisten zahlen, hätten aber die besten Arbeitsbedingungen. Dabei haben sie nicht gemerkt, dass die Privatwirtschaft auch in Sachen Familienfreundlichkeit längst aufgeholt hat. Qualifizierte Berufseinsteiger können sich heute doch aussuchen, wohin sie gehen, und das ist leider in immer selteneren Fällen der Staatsdienst.
Bei dem Beispiel der NRW-Polizei hat es aber nicht an den Bewerbern gemangelt. Müsste die Polizei ihre Anforderungen womöglich absenken?
SILBERBACH Das ist doch seit Jahren längst gang und gäbe. Wir dürfen das Rad aber nicht überdrehen und zu US-Verhältnissen kommen, wo ein achtwöchiger Grundkurs ausreicht, um Polizist zu werden. Die Politik der Sparwut und der Billigheimerei der vergangenen Jahrzehnte führt doch gerade dazu, dass das Kartenhaus über der Politik in sich zusammenbricht.
Gerade erst wurde scharf darüber diskutiert, das Berufsbeamtentum zu stutzen.
SILBERBACH Das war eine von Carsten Linnemann angestoßene und vom Steuerzahlerbund befeuerte krude Debatte. Wir müssen die Menschen nicht aus dem Staatsdienst vertreiben, sondern sie dafür gewinnen. Wenn ein Unternehmer heute eine Produktionshalle anbauen will, wartet er sechs Jahre auf die Genehmigung, weil die Vorschriften zu kompliziert sind und Techniker in den Planungsbehörden fehlen. Da muss die Politik sich auch mal ehrlich machen. Sie kann auch nicht einfach mal so einen Ganztagsanspruch beschließen, wohl wissend, dass Zehntausende Erzieher fehlen. Und nehmen Sie noch den Lehrermangel hinzu, dann hat man eine Erklärung dafür, warum Deutschland in den Bildungsstudien immer weiter abrutscht.
Am 24. Januar startet die Tarifrunde für Bund und Kommunen. Sie verlangen für die Beschäftigten 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro. Die Arbeitgeber nennen das inakzeptabel. Wie heiß wird die Runde?
SILBERBACH Es wird konfliktreich, denn die Arbeitgeber verfallen da gerade in alte Wehklage-Muster. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass sie in der Krise etwas für die Beschäftigten tun müssen – Energiepreisbremse hin oder her. Denn die reicht bei Weitem nicht. Zudem mussten die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst jetzt sehr lange mit ansehen, wie sich in anderen Bereichen die Einkommenssituation
Jahr für Jahr verbessert hat.
Moment. Sie haben in den vergangenen Jahren aber deutlich aufgeholt.
SILBERBACH Es stimmt, dass die Schere zur Privatwirtschaft etwas geschlossen wurde. Im Gegenzug gab es allerdings auch Arbeitsverdichtung. Wir werden nie so gut verdienen wie die Privatwirtschaft. Aber die Schere darf nicht zu weit auseinandergehen.
Wie bewerten Sie den Stand bei der Digitalisierung der Verwaltung? SILBERBACH Ein Trauerspiel. Das Onlinezugangsgesetz ist eine Hochglanzbroschüre ohne echten Bezug zur Realität. In den Behörden werden heute noch kiloweise Aktenordner über die Flure geschoben. Wir müssen wegkommen von den Klein-klein-Lösungen, bei der jede Kommune vor sich hinwerkelt. Das mag zwar örtliche Wirtschaftsförderung für den IT-Unternehmer sein, bringt uns aber nicht voran. Und wir müssen mutiger werden. Während in anderen Ländern wie etwa Dänemark Projekte schon ab einer Zielerreichung von 50 Prozent in der Praxis ausprobiert werden, planen wir uns im theoretischen Raum zu Tode, bis wir 99,9 Prozent Rechtssicherheit haben. Erfolgreich ist unser Weg ja nachgewiesenermaßen nicht.