Rheinische Post - Xanten and Moers
Fleisch aus dem Labor bald im Regal
Früher galt der Verzicht auf Tierprodukte als Spinnerei, nun setzen sich vegane und vegetarische Ersatzprodukte durch. Auch solche aus Stammzellen von Tieren. Metro und Wiesenhof hoffen auf Durchbrüche – doch die EU bremst.
DÜSSELDORF Müssen die Festessen immer mit echtem Fleisch sein? Das fragen sich immer mehr Menschen, darunter auch der Autor dieses Textes: Die Gänsekeulen beim traditionellen Festessen waren bisher zwar unverzichtbar, doch in eine asiatische Gemüsepfanne am Neujahrstag kamen aus Soja hergestellte „Filet-Stückchen Hähnchen Art“auf den Tisch. Abgerundet mit süßer Sojasoße und Ananas schmeckte das ganz wunderbar.
Kein Einzelfall, diese Erfahrung. Denn Fleischersatzwaren liegen im Land der Bratwürste und Schweinebraten im Trend: Alleine im Jahr 2021 stieg die Produktion von Fleischalternativen basierend auf Pflanzen um 17 Prozent auf 98.000 Tonnen. Der Umsatz damit legte sogar um 22 Prozent auf 458 Millionen Euro zu, so das Statistische Bundesamt. „Fleischersatz ist für viele Menschen kein Verzicht, sondern Bereicherung für ihren Konsum- und Lebensstil“, sagte der Marktforscher Robert Kecskes von der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK). Dabei zeigen Studien der GfK, dass gerade in Großstädten wie München, Frankfurt, Köln oder Düsseldorf zum veganen Schnitzel oder Aufschnitt gegriffen wird, auf dem Land verändert sich die Ernährung etwas langsamer. Gerade die Eigenmarken der großen Handelsketten legen dabei zu, berichtet die GfK, während die teureren Bioläden ums Überleben kämpfen müssen.
Bereits jetzt kaufen 30 Prozent aller deutschen Haushalte mindestens einmal pro Halbjahr Fleischersatzprodukte,
weiteres Wachstum ist also drin, obwohl Vorzeigefirmen wie Beyond Meat aktuell weniger stark zulegen als einst erhofft, auch weil konventionelle Firmen immer stärker umsteuern. Der Fleischhersteller Rügenwalder Mühle verkaufte beispielsweise nach eigenen Angaben schon 2021 erstmals mehr vegane und vegetarische Produkte als klassische Fleisch- und Wurstprodukte.
Doch während Fleischersatzware bisher vorwiegend aus Soja oder auch aus Erbsen hergestellt wird, arbeiten Chemiker und Mikrobiologen auch an anderen Verfahren für die Ernährung der Zukunft. Das Geschäft könnte sich lohnen: Bis 2030 könnte der globale Verkauf von Fleischersatzprodukten auf 23 Milliarden
Euro steigen, schätzt die Strategieberatung Pricewaterhouse Coopers (PWC), was rund fünf Prozent der globalen Fleischproduktion ausmachen würde. Der Hauptvorteil der zunehmenden Abkehr von „normalem“Fleisch sei dabei, dass das Klima durch die Produktion von Alternativprodukten stark geschont wird, so PWC.
Die beste Perspektive scheinen dabei aktuell Start-ups zu haben, die Fleisch und Käse in Bioreaktoren nachbauen. Hierzulande gehören die Firmen Mushlab aus Hamburg und Forma aus Berlin zu den Vorreitern. „Proteine
aus dem Gärtank“, schrieb das „Handelsblatt“dazu. Mushlab, auf Deutsch also Pilzlabor, setzt dabei auf den Rohstoff Myzel, ein feines Wurzelwerk von Pilzen, das in der Lage ist, Umami-Aromen zu erzeugen, die wiederum dem herzhaft-würzigen Geschmack von Fleisch sehr nahekommen. Das geerntete Myzel wird mit einer Handvoll natürlicher Zutaten in wenigen Schritten zu leckeren und nährstoffreichen Lebensmitteln verarbeitet. Aktuell liegt der Kern der Arbeit noch auf Fleischersatzprodukten, doch die Vielfalt der Pilzorganismen und
Robert Kecskes Gfk-Marktforscher die einzigartigen Eigenschaften von Myzel ermöglichen auch die Entwicklung ganz neuer Lebensmittel.
Mit einer Show- und Experimentierküche wird ausprobiert, wie die neue Ware am schönsten und schmackhaftesten zubereitet werden kann. „Wir wollen die Welt verändern“,sagt Mazen Rizk, Gründer und Geschäftsführer von Mushlab. „Wir glauben, dass jeder, egal ob arm oder reich, nah oder fern, Zugang zu ausreichend nahrhaften Lebensmitteln haben sollte.“
Im Juli 2022 vereinbarte das Unternehmen mit der Bitburger-Brauerei, dass die den Hamburgern Produktionskessel oder auch Reste aus der Bierproduktion als Grundlage für die Fermentation zur Verfügung stellt. Das soll helfen, schon
bald ganz Deutschland mit Fleischbällchen und anderen Waren zu versorgen. „Wir sind startklar und skalieren unsere Produktion gerade hoch“, sagt Rizk, ein aus dem Libanon kommender promovierter Biotechniker.
Eine andere Option, um sich vom klassischen Fleisch zu emanzipieren, ist Laborfleisch, das sich aus Stammzellen von Tieren, aus Nährlösung oder auch aus Eiern von Geflügel gewinnen lässt. Die ersten Chicken-Nuggets aus dem Labor werden in Singapur bereits vermarktet, in Deutschland arbeitet der Metro-Ableger NX Food an dem Thema, Geflügel-Marktführer Wiesenhof stieg über seinen Mutterkonzern PHW schon 2018 beim israelischen Food-Start-Up Supermeat ein, das Stammzellen aus Hühnereiern gewinnt, um daraus dann Fleischstücke herzustellen. Ziel ist nun, diese Technologie auch in Europa einzuführen. Wiesenhof-Chef Peter Wesjohann sagt, er könne sich gut den Aufbau einer Fabrik für „cultivated meat“in Deutschland vorstellen.
Allerdings sorgt er sich, dass die komplizierten Zulassungsregeln in der EU ein solches Projekt verhindern. „Wenn da nicht etwas mehr Tempo gemacht wird in Brüssel, wird es am Ende so sein, dass die Genehmigung in den USA und in Asien vorliegt zum Verkauf und wir hier in Europa mal wieder zu spät dran sind“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“schon im Sommer. Er ergänzte: „Da sollte die Bundesregierung auf EU-Ebene Druck machen.”
„Fleischersatz ist für viele Menschen Bereicherung für ihren Konsumund Lebensstil“